„Der Gast. Leuchte mal besser, tiefer, noch tiefer — ja! Er rührt sich nicht. Er rührt sich überhaupt nicht. Groß wie ein Elefant“, sagte er dumpf. „Ist er an die Sammelschienen gekommen?“ fragte der Koordinator. Er konnte nichts erkennen, weil ihm die Taschenlampe das Guckloch verdeckte. „Er wird wohl eher zwischen die gerissenen Leitungen gekrochen sein. Ich sehe die Enden unter ihm hervorragen.“
„Was für Enden?“ fragte der Physiker ungeduldig.
„Die vom Hochspannungskabel. Stimmt, er bewegt sich nicht. Also was, machen wir auf?“
„Wir müssen.“ Der Doktor schob den Hauptriegel zurück. „Vielleicht verstellt er sich nur?“ gab hinten jemand zu bedenken. „Sich so gut zu verstellen, das kann nur eine Leiche.“ Der Doktor presste das Gesicht an das zweite Visier, bis der Koordinator die Taschenlampe wegnahm.
Die Stahlriegel schnappten weich zurück. Die Tür war offen. Eine Weile wollte niemand über die Schwelle treten. Der Physiker und der Kybernetiker schauten ihren Vordermännern über die Schultern. Im Hintergrund lag eine im Licht schwach glänzende, bucklige, nackte Masse auf den zertrümmerten Platten der Bildschirme, eingezwängt zwischen die gewaltsam beiseite geschobenen Trennwände. Hin und wieder huschte ein leises Zittern über die Masse. „Er lebt“, flüsterte der Physiker mit einem Würgen in der Kehle. Scharfer, ekelhafter Brandgeruch, wie von versengtem Haar, stand in der Luft. Ein zarter graublauer Rauchfaden zerfloß im Lichtkegel.
„Für alle Fälle“, sagte der Ingenieur, hob den Elektrowerfer, drückte den durchsichtigen Kolben an die Hüfte und richtete ihn auf die unförmige Masse. Es zischte. Die funkenlose Entladung traf den schwappenden Leib unterhalb des Buckels, der sich in der Mitte wölbte. Der mächtige Körper spannte sich und blähte sich auf, sackte dann in sich zusammen und lag noch platter da als zuvor. Die oberen Ränder der weißen Trennwände erbebten dabei, die große Masse bog sie auseinander. „Schluß“, erklärte der Ingenieur und trat über die hohe stählerne Schwelle. Alle folgten ihm. Vergebens suchten sie nach den Beinen, den Tastorganen, dem Kopf dieses Wesens. Als träge Masse ruhte es auf der herausgerissenen Sektion des Transformators, ohne feste Form — der Buckel hing nach einer Seite über, wie ein loser Sack voll Gelee. Der Doktor berührte den toten Leib. Er bückte sich. „Das alles ist eher wohl…“, murmelte er. „Riecht mal daran.“ Er hielt seine Hand hin. An den Fingerspitzen glitzerte es wieTropfen von Fischleim. Der Chemiker überwand als erster seinen Ekel. Er schrie erstaunt auf.
„Kennst du das?“ fragte der Doktor.
Alle schnupperten nun und erkannten den bitteren Geruch wieder, der die „Fabrikhallen“ erfüllt hatte.
Der Doktor fand in der Ecke einen Hebel, der sich von der Achse ziehen ließ. Er schob das breitere Ende unter den Leib und versuchte, ihn auf die Seite zu wälzen. Auf einmal rutschte er aus, das Ende des Hebels durchstach die Haut, und der Stahl drang fast bis zur Hälfte in das Gewebe.
„Ein Pech ist das“, knurrte der Kybernetiker. „Jetzt haben wir nicht nur ein Wrack, sondern auch noch einen Friedhof!“
„Du tätest besser daran, uns zu helfen!“ schimpfte der Doktor, der sich allein bemühte, den gewaltigen Leib umzudrehen. „Warte, mein Lieber“, sagte der Ingenieur. „Wie ist das möglich, dass so ein Stück Vieh ein Aggregat in Gang setzen kann?“ Alle sahen ihn verblüfft an.
„In der Tat.…“, stammelte der Physiker. „Was macht's?“ fügte er dümmlich hinzu. „Selbst wenn wir dabei platzen sollten, wir müssen ihn umwenden, ich sage euch, wir müssen!“ befahl der Doktor.
„Kommt mal alle her, nein, nicht von der Seite. So! Nicht ekeln! Was ist?“
„Warte!“ Der Ingenieur ging hinaus und kam nach einer Weile mit den Stahlstangen wieder, die sie zum Graben des Tunnels benutzt hatten. Sie schoben sie wie Hebebäume unter den toten Leib und hoben sie auf das Kommando des Doktors an. Der Kybernetiker schüttelte sich, seine Hand war am glatten Stahl abgerutscht und hatte die nackte Haut des Geschöpfes berührt. Mit entsetzlichem Klatschen wälzte es sich träge auf die Seite. Sie sprangen zurück. Jemand schrie auf.
Wie aus einer riesigen, spindelförmig verlängerten Auster schob sich ein zweihändiger kleiner Rumpf aus den dicken, flügelartig zusammengelegten, faltigen fleischigen Hüllen und glitt durch das eigene Gewicht nach unten, bis er mit den knotigen Fingerchen den Fußboden berührte. Er war kaum größer als ein Kinderrumpf, wie er so an den sich dehnenden Häuten der blaßgelben Bindelappen baumelte und nach und nach aufhörte zu wackeln. Der Doktor faßte als erster Mut, ging heran, ergriff ein Ende der weichen, vielgelenkigen Hand, und der kleine, blaß geäderte Torso spannte sich und zeigte ein flaches Gesichtchen, ohne Augen, mit klaffenden Nüstern und etwas Zerfetztem, das wie eine zerbissene Zunge aussah, dort, wo beim Menschen der Mund ist. „Ein Edenbewohner…“, sagte der Chemiker dumpf. Der Ingenieur, der vor Erschütterung kein Wort hervorbrachte, setzte sich auf den Generator und rieb sich, ohne es zu merken, an seiner Kombination die Hände ab. „Ist das ein Wesen, oder sind es zwei?“ fragte der Physiker, der aus der Nähe zuschaute, wie der Doktor die Brust des hilflosen kleinen Rumpfes berührte.
„Zwei in einem oder eins in zweien — oder sind es vielleicht Symbionten? Nicht ausgeschlossen, dass sie sich periodisch trennen.“
„Ja, wie dieses Teufelswerk mit dem schwarzen Haar“, meinte der Physiker. Der Doktor nickte, ohne seine Untersuchung zu unterbrechen. „Dieser Große hier hat weder Beine noch Augen noch einen Kopf, gar nichts!“ sagte der Ingenieur und steckte sich eine Zigarette an, was er sonst nie tat. „Das wird sich erst erweisen“, antwortete der Doktor. „Ich denke, ihr habt nichts dagegen, wenn ich eine Sektion vornehme. Wir müssen ihn so oder so zerstückeln, weil wir ihn sonst nicht hinaustragen können. Ich hätte gern jemanden, der mir assistiert, aber das kann unangenehm werden. Wer meldet sich freiwillig?“
„Ich.“ — „Meinetwegen ich.“ Fast gleichzeitig riefen es der Koordinator und der Kybernetiker. Der Doktor erhob sich von den Knien. „Zwei, noch besser. Ich suche jetzt die Instrumente, das wird eine Weile dauern. Ich muss gestehen, unser Aufenthalt hier ist mit ziemlichen Komplikationen verbunden. Noch etwas mehr davon, und wir brauchen eine ganze Woche, um einen Schuh sauber zu bekommen — man kriegt nichts fertig, was man angefangen hat.“Der Ingenieur und der Physiker traten auf den Gang hinaus. Der Koordinator kehrte gerade aus dem Verbandsaal zurück. Er hatte eine Gummischürze umgebunden und die Ärmel hochgekrempelt und trug ein Nickeltablett voll chirurgischer Instrumente. Er blieb bei ihnen stehen. „Ihr wißt, wie ein Reiniger arbeitet. Wenn ihr rauchen wollt, macht es oben.“ Sie gingen zum Tunnel. Der Chemiker schloss sich ihnen an. Für alle Fälle nahm er den Elektrowerfer mit, den der Ingenieur im Maschinenraum zurückgelassen hatte.
Die Sonne stand hoch am Himmel, klein und abgeflacht wie immer. In der Ferne zitterte die erhitzte Luft wie Gelee über dem Sand. Sie setzten sich in den langen Schattenstreifen der Rakete. „Ein sehr seltsames Tier und eine sehr seltsame Geschichte, wie es den Generator in Gang bringen konnte.“ Der Ingenieur rieb sich die Wange, die Stoppeln stachen nicht mehr. Sie hatten alle Barte bekommen und sagten stets, dass sie sich rasieren müssten, aber irgendwie fand keiner Zeit dazu. „Jetzt freut mich, offen gesagt, von alledem noch am meisten, dass der Generator überhaupt Strom gibt. Das bedeutet, dass wenigstens die Wicklungen ganz sind.“
„Und der Kurzschluss?“ bemerkte der Physiker. „Macht nichts, da ist eine automatische Sicherung herausgesprungen, völlig belanglos. Der mechanische Teil ist zwar ganz und gar zu Bruch gegangen, aber dagegen werden wir schon Rat wissen. Die Lager, wir haben welche zur Reserve da, man muss sie nur suchen. Natürlich, theoretisch kann man die Wicklung ebenfalls reparieren, aber so mit bloßen Händen würden wir dabei grau werden. Ich glaube jetzt, ich habe einfach deshalb keine Hand gerührt, um mir alles genau anzusehen, weil ich Angst hatte, ich finde dort nur noch Pulver vor, und ihr könnt euch denken, was dann aus uns würde.“
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