Der Ingenieur stand auf. Man sah ihm an, dass sich seine Laune etwas gebessert hatte. Jetzt begriffen sie schon, dass die Halle in Sektionen eingeteilt war, die lediglich durch den inneren Zusammenhang der Zyklen voneinander getrennt waren. Die Produktionsvorrichtungen, der sich schlangelnde, rüsselartig zuckende, schnaufende Wald, waren überall die gleichen. Einige hundert Meter weiter stießen sie auf eine Sektion, die dieselben Bewegungen wie die vorigen vollführte, sich wand, schmatzte, schnaufte, aber in ihren Leitungen gar nichts mitführte, überhaupt nichts in die offenen Brunnen warf, nichts aus der Höhe fallen ließ oder verschlang. Sie bearbeitete, häufte und schmolz-nichts. Überall da, wo sie bei den anderen Sektionen glühende Halbprodukte oder die schon erkaltenden bearbeiteten Gegenstände beobachten konnten, fanden sie hier nur Leere. Zunächst glaubte der Ingenieur, das Produkt sei vielleicht so durchsichtig, dass man es nicht sehen könne. Er beugte sich weit über die Ausstoßaggregate vor, und mit den Händen etwas von dem zu erfassen, was aus den offenen Schlünden hätte herausfliegen müssen, aber er griff ins Leere.
„Eine verrückte Sache“, murmelte der Chemiker entsetzt. Der Ingenieur war gar nicht mehr so sehr erschüttert. „Sehr interessant“, sagte er nur, und sie gingen weiter.
Sie näherten sich einem Raum, aus dem lauter Lärm erscholl. Ein Lärm, der weich klang, gerade deshalb aber um so betäubender war, etwa wie wenn Millionen schwerer, feuchter Lederdecken auf eine große, schwach gespannte Trommel fallen. Plötzlich wurde es heller.
Aus Dutzenden keulenförmiger Zapfen, die oben an der Decke pendelten, prasselte ein wahrer Regen von schwarzen Gegenständen herab, prallte gegen die sich ihnen mal von der einen, mal von der anderen Seite entgegenwölbenden, durchsichtig grauen Membranen, die senkrecht gespannt waren und gleichmäßig wie Blasen anschwollen, als wären sie mit Gas gefüllt. Danach wurden die Teile auf halbem Weg von schnell arbeitenden Schlangenarmen erfaßt, die wie ein Strudel anmuteten, und kamen als Hagel unten an. Hier ordneten sich die Objekte nebeneinander zu Karrees, in geraden Reihen, während von der entgegengesetzten Seite in gewissen Abständen eine gewaltige Masse herauskroch, plattgedrückt wie der Kopf eines Wals, und mit einem langen Seufzer mehrere Reihen der „Fertigprodukte“ auf einmal aufsaugte. „Das Lager“, erläuterte der Ingenieur phlegmatisch. „Von oben kommen sie in fertigem Zustand herunter, und das ist wie ein Transportband, es nimmt sie mit und führt sie in den Umlauf zurück.“
„Woher willst du wissen, dass es sie wieder zurückführt? Vielleicht ist es hier anders?“ fragte der Physiker. „Weil das Lager voll ist.“ Keiner hatte das zwar ganz begriffen, aber sie schwiegen und gingen weiter. Es war gegen vier, als der Koordinator die Rückkehr anordnete. Sie befanden sich in einer Sektion, die aus zwei Abteilungen bestand. Die ersteerzeugte dicke Schilder, die mit ohrenförmigen Griffen versehen waren, die andere schnitt die Griffe ab und befestigte an ihrer Stelle Teile von elliptischen Ringen. Darauf wanderten die Schilder in die Bodenkammern, woher sie „glattrasiert“, wie der Doktor es nannte, zurückkamen, um von neuem dem Prozeß des Anschweißens der ohrenförmigen Griffe ausgesetzt zu werden.
Als die Männer wieder in die Ebene hinaustraten und bei noch ziemlich hoch stehender Sonne die Richtung einschlugen, in der sie das Zelt und die Sachen zurückgelassen hatten, sagte der Ingenieur: „So jetzt wird das allmählich klar.“
„Wirklich?“ fragte der Chemiker mit einer Spur von Ironie.
„Jawohl“, bestätigte der Koordinator. „Und was meinst du?“ wandte er sich an den Doktor. „Eine Leiche“, erwiderte der.
„Wieso Leiche?“ fragte der Chemiker, der offenbar nichts verstand. „Eine Leiche, die sich bewegt“, fügte der Doktor hinzu. Eine Weile gingen sie stumm weiter. „Darf ich endlich erfahren, was das bedeutet?“ fragte der Chemiker ein wenig verärgert.
„Ein ferngesteuerter Komplex zur Erzeugung diverser Teile, der mit der Zeit völlig außer Kontrolle geraten ist, weil er ohne jede Aufsicht war“, erklärte der Ingenieur. „Ach! Und wie lange, meinst du?“
„Das weiß ich nicht.“
„Sehr grob geschätzt und mit großem Risiko kann man die Hypothese aufstellen, dass es mindestens sechzig Jahre sind“, sagte der Kybernetiker. „Vielleicht noch mehr.
Wenn ich erführe, dass es vor zweihundert Jahren geschah, würde ich mich auch nicht wundern.“
„Oder vor tausend Jahren“, fügte der Koordinator lässig hinzu. „Wie dir bekannt sein dürfte, geraten beaufsichtigende Elektronenhirne in einem Tempo außer Kontrolle, das dem Irradiationsfaktor entspricht“, begann der Kybernetiker. Aber der Ingenieur unterbrach ihn: „Sie können nach einem anderen Prinzip arbeiten als unsere, und wir wissen ja überhaupt nicht, ob es Elektronensysteme sind.
Ich selbst bezweifle das. Der Baustoff ist nichtmetallisch, halbflüssig.“
„Einzelheiten sind nicht so wichtig“, sagte der Doktor. „Aber was haltet ihr davon? Das heißt, welche Horoskope stellt ihr? Ich sehe nur düstere.“
„Du denkst an die Bewohner des Planeten?“ fragte der Chemiker. „Ja, ich denke an die Bewohner dieses Planeten.“
In später Nacht erreichten sie den Hügel, über dem der Rumpf des Raumschiffes aufragte. Um den Marsch zu beschleunigen, aber auch, um einer Begegnung mit den Bewohnern der Schonung auszuweichen, hatten sie sie dort durchquert, wo die Büsche gut ein Dutzend Meter auseinandertraten.
Es war, als hätte ein gewaltiger Pflug das Gestrüpp beiseite geräumt, auf den umgelegten Schollen wucherten nur die samtenen Flechten. Jähe Dämmerung legte sich über die Ebene, als die schräge Silhouette der Rakete schon deutlich zu erkennen war. Sie konnten also auf die Taschenlampen verzichten. Hunger quälte sie, aber noch mehr die Erschöpfung. So beschlossen sie, das Zelt draußen aufzustellen. Vom Durst gepeinigt, denn das Wasser war ihnen auf dem Rückmarsch ausgegangen, begab sich der Physiker durch den Tunnel in die Rakete. Er blieb lange weg. Sie pumpten gerade das Zelt auf, als sie ihn unter der Erde schreien hörten. Sie eilten zum Eingang und halfen ihm heraus.
Seine Hände zitterten. Er war so aufgeregt, dass er kaum ein Wort hervorbrachte.
„Was ist los! Beruhige dich!“ redeten sie auf ihn ein. Der Koordinator packte ihn fest bei den Schultern. „Da“, er deutete auf den dunklen Rumpf über ihnen, „da war jemand.“
„Wie?“
„Woran hast du das erkannt?“
„Wer war da?“
„Das weiß ich nicht.“
„Woran hast du erkannt, dass jemand da war?“
„An … an den Spuren. Ich betrat versehentlich den Steuerraum. Wir hatten ihn vorher mit Sandvollgeschüttet, jetzt ist keiner da.“
„Wieso ist keiner da?“
„Er fehlt. Es ist fast sauber.“
„Und wo ist der Sand geblieben?“
„Das weiß ich nicht.“
„Hast du in die anderen Räume geschaut?“
„Hab ich. Das heißt, ich hatte vergessen, dass im Steuerraum Erde lag, und dachte mir zunächst gar nichts, ich wollte ja nur trinken. Ich ging also in das Lager, fand das Wasser, hatte aber nichts zum Schöpfen, so ging ich in deine Kabine — und da … “
„Was zum Teufel!“
„Alles war mit Schleim bedeckt.“
„Mit Schleim?“
„Ja, mit durchsichtigem, klebrigem Schleim. Sicherlich habe ich noch was an meinen Schuhen! Ich sah gar nichts, erst später merkte ich, dass die Sohlen klebten.“
„Vielleicht sind die Behälter leck, oder es ist eine chemische Reaktion eingetreten. Du weißt doch, dass die Hälfte der Gefäße im Labor zerschlagen ist.“
„Red keinen Unsinn! Leuchte hier, auf die Füße.“ Der Lichtfleck wanderte nach unten. Die Schuhe des Physikers glänzten an einigen Stellen, als hätten sie einen Überzug aus farblosem Lack. „Das ist noch kein Beweis dafür, dass dort jemand gewesen ist“, erwiderte der Chemiker.
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