Er lachte.
»Du hast genug fremdartige Formen auf dieser Welt und im Universum gesehen, um zu wissen, daß die Menschheit weder einzigartig noch das Modell für die Schöpfung gewesen ist. Die Markovier haben sich auf natürliche Weise entwickelt. Unter Bedingungen, die völlig andere waren als beim Menschen, ganz andere als bei den meisten Rassen unseres Universums. Was für dich gräßlich ist, war für sie sehr praktisch. Nach ihren Maßstäben bin ich hochgewachsen, dunkelhaarig und gutaussehend.«
»Es wäre leichter, wenn Sie nicht so stinken würden«, erklärte sie.
»Was soll ich tun?« fragte er und täuschte verletzten Stolz vor. »Also fangen wir an. Wenn du den Mut aufbringst, wirst du diesen Geruch als exotisches Parfüm empfinden.«
»Das bezweifle ich«, murmelte sie, aber als er, die Tentakel als Beine benutzend, davonging, folgte sie ihm und staunte über die Leichtigkeit und Sicherheit seiner Bewegungen.
»Die Markovier mögen zwar fremdartig aussehen, sogar abstoßend, doch sie waren in mehr als nur geistiger Beziehung unsere Verwandten«, erklärte Brazil, als sie weitergingen. »Diese Lebensform atmete eine Atmosphäre, die verträglich ist mit dem, was du gewöhnt bist. Die Zusammensetzung ist ein wenig anders, aber nicht so sehr, wie man erwarten würde. Und die Zellstruktur, der ganze Organismus, beruht auf Kohlenstoff und funktioniert ganz ähnlich wie die anderen Kohlenstoff-Wesen, die wir so gut kennen. Er ißt, schläft, geht sogar auf die Toilette wie ganz normale Leute, obwohl in diesem Stadium Schlaf nicht unabdingbar bist. Sie sind darüber hinausgewachsen und erlangten die Fähigkeit zu willkürlichen Stillegungen, was denselben Zweck erfüllt. Jedenfalls waren sie uns biologisch so ähnlich, daß sie mit dem übereinstimmten, was wir von anderen Lebensformen wissen. Sie verstoßen gegen keine Gesetze.«
Er trat auf einen Gleitweg auf der anderen Seite einer einen Meter hohen Sperre. Als er sah, daß sie ihm gefolgt war, hieb er mit einem Greifarm auf die Sperre, und der Gleitweg setzte sich in Bewegung. Als sie davongetragen wurden, ging das Licht hinter ihnen aus, und die Lichter in ihrem Bereich und unmittelbar davor schalteten sich ein.
»Das ist der Gleitweg zum Schacht-Zugangstor«, sagte er. »Früher wechselte jeden Tag an jeder Avenue eine Schichtbesatzung. Die Arbeiter und Techniker kamen herein, wie jetzt wir, und fuhren zu ihren Arbeitsplätzen hinunter. Gegen das Ende zu, als nur die Projektleiter übrig waren, beschränkten sie den Zugang bei jeder Avenue auf Mitternacht, und jeweils auf kurze Zeit, vor allem dazu, daß die Grenz-Sechsecke mit ihrem eigenen Wachstum und ihrer Entwicklung fortfahren konnten. Die Zugänge wurden später nur auf die Projektleiter beschränkt, die sich den jeweiligen Rassen angeschlossen hatten, damit niemand hereinstürzen konnte, der es sich anders überlegt hatte. Als ich das letztemal hier war, stellte ich sie darauf ein, daß sie nur auf mich reagierten, weil es theoretisch möglich war, daß jemand das Problem der Schlösser löste.«
Sie fuhren in unheimlicher Stille weiter, während vor ihnen Lichter aufflammten und hinter ihnen die anderen erloschen. Der Gleitweg selbst leuchtete, so weit sie hinausblicken konnte, obwohl keine Lichtquelle erkennbar war. Sie bemerkte, daß der Gleitweg schneller wurde und sie jetzt nicht nur vorwärts, sondern auch hinabfuhren, in die Tiefen des Planeten hinein. Sie gelangten in eine schwach beleuchtete Kammer, und unter ihnen wurde ein von Licht umrandetes großes Sechseck sichtbar.
»Das ist das Zugangstor vom Schacht«, sagte er. »Eigentlich nur eines von sechs. Es kann dich hinführen, wohin du auf der Sechseck-Welt oder im Schacht willst. Wir gehen zum großen Kontrollraum und zu den Überwachungsstationen. Ich muß zuerst alles überprüfen und feststellen, ob alles wie geplant ablaufen wird, und dann natürlich klären, wie stark der Schacht beschädigt ist. Vielleicht hat Obie sich geirrt, und wir brauchen nichts Drastisches zu tun.«
Er stieg vom Gleitweg, als er das Sechseck erreichte, und trat hinein. Sie zögerte kurz, dann folgte sie ihm. Alles Licht verschwand, und einen Augenblick lang glaubte sie zu fallen, dann war die ganze Welt plötzlich wieder von hellem Licht überflutet, und sie stand abermals auf festem Boden.
Es war eine riesige Kammer, vielleicht einen Kilometer im Durchmesser weit, halbkreisförmig, und die Decke wölbte sich hinauf und über ihnen. Hunderte von Korridoren führten in alle Richtungen. Das Tor befand sich in der Mitte der Kuppel, und Brazil trat rasch hinaus, gefolgt von Mavra, die nervös war, weil sie befürchtete, das Tor könnte sie an irgendeinen entlegenen Ort des Komplexes befördern, wo man sie nie mehr finden würde.
Wände, Decke, sogar der Boden, alles schien aus winzigen, sechseckigen Kristallen aus poliertem weißem Glimmer zu bestehen, die das Licht zurückwarfen und wie Millionen Diamantensplitter glitzerten.
Brazil blieb stehen und zeigte mit einem Tentakel über die Schulter zum Tor. Von Kraftfeldern gehalten, mitten zwischen Tor und Kuppeldach, schwebte ein riesiges Modell der Sechseck-Welt, das sich ganz langsam drehte. Es besaß eine Tag/Nacht-Grenze, war auf der einen Halbkugel dunkel, und schien aus demselben Material wie die Wände zu bestehen, obwohl die Sechsecke an dem Modell sehr groß waren und es an den Polen dunkle Stellen und ein dunkles Band rund um den Äquator gab. Die Kugel war bedeckt von einer dünnen, durchsichtigen Schale, die ebenfalls in Abschnitte aufgeteilt zu sein schien. Die durchsichtigen Sechsecke paßten genau auf die darunterliegenden.
»Es sieht nicht so hübsch aus wie die echte Welt vom Weltraum aus«, meinte Mavra, »aber eindrucksvoll ist es doch.«
»Man sieht die kleinen Unterschiede in zurückgespiegeltem Licht auf jedem Sechseck«, erklärte er. »Das ist markovische Schrift. Die Nummern gehen von 1 bis 1560, in einer Mathematik, die auf der Sechs beruht, versteht sich. Die Ziffern sind aber nicht in irgendeiner Reihenfolge angebracht, weil hier über eine Million Rassen geschaffen wurden, und nur die letzte Gruppe, die letzten 1560, verblieben ist. Sobald eine Rasse gebilligt wurde, nahm man sie heraus, baute das Rechteck für den neuen Versuch um und teilte eine neue Ziffer aus den geleerten Sechsecken zu. So kann Glathriel Nummer 41 sein und Ambreza, gleich daneben, 386. Ein bißchen unübersichtlich, aber es spielte ja keine Rolle.«
»Sehr eindrucksvoll und dekorativ«, erklärte sie lobend.
Er lachte.
»Ach, das ist nicht nur Dekoration. Das ist das Gehirn, das die Sechseck-Welt betreibt. Das Arbeitsmodell für den Schacht der Seelen. Eigentlich das Herz des Ganzen, weil es auch die Hauptenergiequelle für den Schacht ist und die Grundgleichungen liefert, die nötig sind, damit die Welt richtig funktionieren kann. In gewissem Sinn ist das ein gigantisches Computerprogramm. Es bezieht seine Energie aus einer Singularität, die bis in ein Alternativ-Universum reicht. Wenn der Schacht nicht leicht zu reparieren ist, müssen wir ihn von dort ablösen. Das wird sich auf die Sechseck-Welt nicht auswirken, aber alle Programme im Schacht selbst löschen. Wenn wir den Anschluß wiederherstellen, nimmt er alles auf, als handele es sich um völlig neue Daten. Da das langsam und stufenweise zugeführt wird, wartet das Programm, wenn es beschädigte Bereiche findet, und es setzen Notprogramme ein, um das zu reparieren oder zu ersetzen, was nötig ist.«
»Sie können es nicht nur bei den beschädigten Stellen abschalten?«
»Nein. Das wäre eine gute Idee und theoretisch vielleicht sogar ausführbar, aber wir brauchten hier das gesamte Computerpersonal der Markovier, um das zu bewältigen. Es würde bedeuten, daß alles völlig neu programmiert werden muß — also ein neues Programm zu schreiben ist. Das kann man bei der Sechseck-Welt tun, aber nicht bei dem großen Computer, weil sie nie geglaubt haben, das müßte ein zweitesmal geschehen.«
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