»Und was ist mit uns?« fragte sie. »Was geschieht mit uns?«
»Sie werden Markovier werden, Mavra«, sagte er. »Das ist aus mehreren Gründen notwendig, und nicht der kleinste davon ist der, daß der Schacht auf das markovische Gehirn eingestellt ist und man ein Markovier sein muß, um zu begreifen, was er ist und leistet. Außerdem bekommen Sie dann ein vollständiges Bild davon, was Sie mir auftragen werden. Das ist das Schlimmste, Mavra. Sie werden genau wissen, wie die Auswirkungen der Reparatur sein werden — falls der Schaden sich beheben läßt. Das werden wir nicht wissen, bis wir im Inneren sind.«
Er erwähnte den Gedemondaner natürlich nicht. Er hatte keine Ahnung, was er mit dem Wesen anfangen sollte, aber es würde rasch beseitigt werden müssen oder im Weg sein. Eigentlich verdiente es eine Belohnung, aber er wußte noch nicht recht, wie sie aussehen sollte. Die Möglichkeit, daß es einen Gedemondaner mit Zugang zum Schacht gab, erschien nicht gerade erfreulich.
Es war ganz dunkel geworden, und Mavra sagte mit einer Geste zu dem Gedemondaner, aber zu beiden:»Da! Man kann von hier die Sterne sehen.«
Die beiden anderen schauten hinauf, und in der weiten Lücke zwischen dem Ende der Klippen und der Äquatorbarriere waren die Spiralen und spektakulären Muster des Sechseck-Welt-Himmels deutlich sichtbar. Es war der eindrucksvollste Himmel aller bewohnbaren Planeten, den Brazil je gekannt hatte, erfüllt von riesigen Nebeln und leuchtenden Gasen. Der Gedemondaner blickte aber nicht lange hinauf; er kannte das schon zu gut.
Niemand besaß eine Uhr oder konnte angeben, wieviel Zeit verging; sie würden einfach warten müssen, bis das Licht endlich aufflammte.
Ach was, dachte er. Ebensogut konnte er den Gedemondaner gleich fragen.
»Sprecher? Was wünschen Sie sich? Was soll ich für Sie und mit Ihnen machen?«
Der Gedemondaner zögerte nicht.
»Für mich selbst wünsche ich nichts, außer zu meinem Volk zurückgebracht zu werden«, erklärte er. »Für mein Volk wünsche ich, daß du untersuchst, warum das Experiment, das hier gelungen war, draußen scheiterte, und du das Notwendige veranlaßt, damit beim nächstenmal wenigstens erträgliche Aussichten bestehen.«
Brazil nickte. Das hörte sich plausibel an. Er machte sich aber Gedanken über das Wesen, ob es wirklich ganz aufrichtig war. Sehr oft landete mehr als eine Rasse auf einem bestimmten Planeten, sobald ein Muster festgelegt war, manchmal durch Absicht, weil sie etwas beizusteuern haben mochte, ab und zu auch durch Zufall. Völlig exakt lief das Verfahren nicht ab. Den insektenartigen Ivrom etwa war es beim letztenmal gelungen, durch Zufall oder ihre eigene Einwirkung ein paar Brutwesen mit auf die Erde zu befördern, und sie waren zur Grundlage für viele Legenden über Feen, Kobolde und andere schalkhafte Geister geworden. Auch einige von anderen; auf der Alten Erde hatte es einmal eine Kolonie von Umiau gegeben, dort Meerjungfrauen genannt, der Theorie zufolge, daß vielleicht eine zweite Rasse in den Meeren leben konnte, während die erste sich auf dem Land ausbreitete.
Die Rhone — Abkömmlinge der Dillia-Zentauren — hatten schon früh Raumfahrt entwickelt. Eine Forschungsgruppe war auf der Alten Erde abgestürzt, als ihre menschlichen Bewohner sie noch für eine flache Scheibe auf dem Rücken einer Schildkröte oder dergleichen gehalten hatten, und es war ihnen gelungen, dort zu überleben, verehrt sogar von manchen primitiven Menschen als Götter oder gottähnliche Wesen. Für die rohe Barbarei der Erde waren sie jedoch zu weise und zu friedlich; man hatte sie schließlich gejagt und ausgerottet. Er selbst hatte dafür gesorgt, daß ihre Überreste zerstört wurden und bis auf die Legende davon, was der Mensch den großen Zentauren angetan hatte, nichts blieb. Aber als die Rhone, ins Unglück geraten, den Weltraum zuerst verloren, dann wiedergewannen und die von Menschen bewohnten Bereiche erneut erforschten, hatten sie auf irgendeine Weise vom Schicksal der frühen Forscher erfahren. Die Menschen waren in ihren kollektiven Alpträumen aufgetaucht, lange vor der dauerhaften Entdeckung, und das hatte sie von der Menschheit ferngehalten, obwohl sie zur praktischen Partnerschaft bereit gewesen waren.
Was die Gedemondaner anging, so gab es Legenden sowohl auf der Heimatwelt der Rhone wie auf der Alten Erde, von riesigen menschenartigen, geheimnisvollen Wesen, die sich im höchsten Gebirge und in der fernsten Eiswüste herumtrieben, während der ganzen Geschichte den technologischen Menschen meidend, abgesehen von kurz erhaschten Blicken, Legenden, halb geglaubten Geschichten. Waren einige davon, die Yeti, die Sasquatch und andere, wirklich die weiterentwickelten Nachkommen von Gedemondanern, die aus irgendeinem Grund auf den falschen Planeten geraten waren? Er fragte sich das selbst.
Die Zeit schleppte sich hier am Äquator, an der Avenue mühsam dahin. Mehr als einmal hatte der eine oder andere von ihnen das Gefühl, es müßten mehr als sieben Stunden vergangen sein, sie hätten den Augenblick entweder verpaßt, oder dieser Zugang funktioniere nicht, oder irgendein anderes Problem sei aufgetaucht.
Das Warten war das Allerschlimmste, entschied Mavra.
Plötzlich sagte der Gedemondaner:»Ich spüre, daß jemand in der Nähe ist.« Seine Stimme klang besorgt.
Brazil und Mavra schauten sich in der Dunkelheit um, konnten aber nichts Ungewöhnliches sehen oder hören. In beiden lauerte die Angst, daß die bewaffnete Truppe sie im letzten Augenblick einholen würde, daß Serge Ortega und seine Leute den Borgo-Paß nicht lange genug hatten halten können.
Der Gedemondaner spürte ihre Angst.
»Nein. Nur drei. Sie scheinen rechts von uns zu sein. Es ist sehr merkwürdig. Sie scheinen im massiven Fels zu sein und schnell auf uns zuzukommen.«
Mavras Kopf zuckte hoch.
»Es sind die Dahbi!« sagte sie scharf. »Sie können das!«
»Ich habe den Kerl schon zum zweitenmal unterschätzt«, knurrte Brazil. »Während Serge und seine Leute die Armee aufhalten, umgeht Sangh den Paß auf die einzige Weise, zu der er imstande ist. Der Hinterhalt im Paß hat ihm verraten, was er wissen wollte — daß wir hier sind. Wenigstens kann er auf diesem Weg keine Waffen mitnehmen.«
»Er braucht sie nicht«, gab sie zurück. »Die Vorderbeine sind wie Schwerter, die Kiefer wie Schraubstöcke. Und wir haben auch keine Waffen.« Sie schaute sich um. »Und können nirgends hin.«
»Außer hinein«, sagte er seufzend. »Aber darauf dürfen wir uns nicht verlassen.«
Der Gedemondaner drehte sich um und starrte auf eine Felswand, keine fünfzehn Meter von ihnen entfernt. An drei Stellen wurde es im Gestein heller. Sie sahen entsetzt und gebannt zu, wie drei geisterhafte Wesen aus dem Granit quollen, sich zu verfestigen schienen und vor ihnen standen, ein riesiges vor ihnen, zwei etwas kleinere dahinter, gespenstischen Laken mit zwei schwarzen Ovalen als Augen gleichend.
Brazil glotzte sie an. Das sind also die Dahbi, dachte er. Er erinnerte sich undeutlich an sie. Auch hier Legenden und Kollektiverinnerung. Und der Große in der Mitte mußte -»Nathan Brazil, ich bin Gunit Sangh«, sagte der Anführer. »Ich bin hier, um Sie zurückzuholen.«
Brazil wollte vortreten, um mit dem Gedemondaner Körperberührung herzustellen, damit er antworten konnte, aber der Gedemondaner beachtete ihn nicht und trat auf den Dahbi-Anführer zu.
»Sie haben verloren, Sangh«, sagte der Gedemondaner mit einer fast perfekten Nachahmung von Brazils Stimme und Aussprache. »Selbst wenn wir jetzt mit Ihnen zurückgingen, steht unsere eigene Truppe hinter der Ihren am Paß. Es mag sein, daß Sie durch Wände gehen können, aber mich können Sie da nicht mitnehmen.«
»Das brauche ich nicht«, erwiderte Sangh zuversichtlich. »Wir nehmen Sie als Geisel mit und gehen durch den Paß zu meinen eigenen Truppen, die ihn inzwischen besetzt haben werden. Dann brauchen wir ihn nur zu halten, bis der Rest meiner Armee nachrückt, um uns abzuholen. Ihre armselige Streitmacht dazwischen kann nicht viel ausrichten. Bedenken Sie, wie gut Ihr kleiner Trupp den Paß bis jetzt gegen uns hat halten können.«
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