Jack L. Chalker
Exil Sechseck-Welt
In den Gaemesjun-Labors, Makeva
Es war nicht die Tatsache, daß Gilgam Zinders Laborassistentin einen Pferdeschwanz hatte, die am sonderbarsten erschien; das wahrhaft Seltsame war, daß sie ihren Zustand nicht als merkwürdig oder ungewöhnlich zu empfinden schien.
Zinder war hochgewachsen und dünn, ein hagerer Mann mit grauen Haaren und einem langen, grauen Spitzbart, der ihn noch älter erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit war, und eingefallener dazu. Seine blaugrauen Augen, gerötet und umgeben von dunkelnden Schatten, verrieten seine Überarbeitung. Er hatte seit zwei Tagen nicht daran gedacht, etwas zu essen, und Schlaf war eine theoretische Sache geworden.
Es war auch ein sehr eigenartiges Labor, angelegt etwa wie ein Amphitheater, mit einem kreisförmigen, erhöhten Podium, ungefähr vierzig Zentimeter über dem Boden, das als Bühne diente. Über der Bühne hing ein Gerät, das einer großen Kanone glich, aber in einem kleinen Spiegel endete, aus dem eine winzige Spitze ragte.
Eine Galerie führte um die Apparatur herum; hier, entlang der Wände, gab es Tausende von blinkenden Lampen, Skalen und Schaltern und vier Steuerkonsolen, gleichmäßig um den Kreis darunter verteilt. An einer davon saß Zinder; ihm unmittelbar gegenüber saß ein viel jüngerer Mann in glänzender Schutzkleidung an einer zweiten. Zinders Labor-Overall sah aus, als sei er im letzten Jahrhundert angefertigt worden.
Die Frau, die auf der erhöhten Scheibe stand, war von unauffälligem Aussehen, Ende dreißig und ein wenig dicklich und schlaff, von der Sorte, die ordentlich angezogen viel besser aussieht als nackt, was sie jetzt war.
Nur hatte sie einen Pferdeschwanz, lang und buschig.
Sie blickte verwirrt und etwas ungeduldig zu den beiden Männern hinauf.
»Also, was ist?«rief sie hinauf.»Wollen Sie denn nichts tun ? Es ist kalt hier unten.«
Ben Yulin, der jüngere Mann, lächelte und beugte sich über das Geländer.
»Peitschen Sie eine Weile mit Ihrem Schwanz, Zetta. Wir arbeiten, so schnell wir können!«rief er freundlich hinunter.
Und sie bewegte den Schwanz wirklich hin und her, langsam, gewohnheitsmäßig, um ihrer Verärgerung Ausdruck zu geben.
»Es fällt Ihnen wirklich kein Unterschied auf, Zetta?«fragte Zinders dünne, scharfe Stimme.
Sie blickte verwirrt, sah dann an sich hinunter und fuhr mit den Händen über ihren Körper, den Schwanz eingeschlossen, wie um herauszufinden, was sie meinten.
»Nein, Dr. Zinder. Wieso? Ist etwas an mir — verändert?«erwiderte sie zögernd.
»Wissen Sie, daß Sie einen Schwanz haben?«drängte Zinder. Sie wirkte verständnislos.
»Selbstverständlich habe ich einen Schwanz«, erwiderte sie, als wolle sie sagen: Was ist denn daran merkwürdig?
»Sie finden das nicht, äh, seltsam oder ungewöhnlich?«warf Ben Yulin ein.
Sie zeigte sich aufrichtig verwirrt.
»Aber nein, natürlich nicht. Weshalb denn?«
Zinder schaute zu seinem jungen Assistenten hinüber, der auf der anderen Seite der offenen Bühne fast fünfzehn Meter entfernt war.
»Eine interessante Entwicklung«, meinte er.
Yulin nickte.
»Bohnentöpfe hervorzubringen, dann die Arbeit mit den Versuchstieren, das bewies, was wir erreichen konnten, aber ich glaube nicht, daß ich mit so etwas gerechnet habe.«
»Ist Ihnen die Theorie noch geläufig?«fragte Zinder.
»Gewiß. Wir verändern innerhalb des Feldes die Wahrscheinlichkeit. Was wir mit jemandem oder etwas im Feld machen, ist für sie normal, weil wir ihre Grund-Stabilisierungsgleichung verändert haben. Wenn wir das im großen Maßstab tun könnten…«
»Allerdings«, sagte Zinder nachdenklich.»Eine ganze Bevölkerung könnte verwandelt werden, ohne jemals etwas davon zu ahnen.«Er drehte sich um und blickte wieder zu der Frau mit dem Pferdeschwanz hinunter.»Zetta?«rief er.»Wissen Sie, daß wir keine Schwänze haben? Daß auch niemand sonst, den wir kennen, einen Schwanz hat?«
Sie nickte.
»Ja, ich weiß, daß es für Sie ungewöhnlich ist. Aber was soll's? Ich habe nicht gerade versucht, ihn zu verstecken.«
»Hatten Ihre Eltern Schwänze, Zetta?«fragte Yulin.
»Natürlich nicht!«gab sie zurück.»Was soll denn das alles?«
Yulin sah den älteren Wissenschaftler an und sagte:»Wollen Sie noch weitergehen?«
»Warum nicht?«meinte Zinder achselzuckend.»Ja, ich würde gern mit einer Psychosonde feststellen, wie tief das reicht, aber wenn wir es einmal gemacht haben, können wir es jederzeit. Prüfen wir eines nach dem anderen.«
»Okay. Also, was nun?«
Zinder sah kurze Zeit versonnen vor sich hin, dann berührte er plötzlich einen Sensor neben der eingelassenen Mikro- und Lautsprecherkombination.
»Obie?«rief er hinein.
»Ja, Dr. Zinder?«erwiderte die Stimme des Computers, der sich ringsum hinter den Wänden befand — eine angenehme, sachliche und freundliche Tenorstimme.
»Hast du vermerkt, daß die Versuchsperson nicht weiß, daß wir sie in irgendeiner Weise verändert haben?«
»Vermerkt«, bejahte Obie.»Wollen Sie, daß sie es weiß? Die Gleichungen sind in dieser Situation nicht ganz so stabil, aber sie werden halten.«
»Nein, nein, schon gut. Wie ist es mit der inneren Haltung ohne körperliche Veränderung? Ist das möglich?«
»Eine viel unbedeutendere Änderung«, erklärte der Computer.»Aber deshalb auch leichter und schneller umkehrbar.«
»Also gut, Obie. Wir haben ein Pferd in die Systemmatrix übertragen, so daß du es vollständig hast, und Zetta hast du auch vollständig.«
»Wir haben das Pferd nicht mehr«, betonte Obie.
»Aber du hast die Daten dazu, nicht?«sagte Zinder mit einem ungeduldigen Seufzer.»Da kommt der Schwanz her, nicht?«
»Ja, Doktor«, antwortete Obie.»Ich sehe jetzt, daß das wieder nur eine Redewendung war. Tut mir leid.«
»Schon gut. Paß auf, wir versuchen etwas Größeres. Hast du den Ausdruck und Begriff Zentaur in deinem Gedächtnis?«
Obie dachte vielleicht eine Millisekunde lang nach.
»Ja. Aber es wird einige Mühe erfordern, sie in einen zu verwandeln. Immerhin geht es um die innere Installation, kardiovaskuläre Systeme, zusätzliche Nervenanschlüsse und dergleichen.«
»Aber kannst du es tun ?«fragte Zinder etwas überrascht.
»O ja.«
»Wie lange?«
»Zwei oder drei Minuten«, erwiderte Obie.
Zinder beugte sich vor. Das Mädchen mit dem Schweif ging ein wenig nervös auf dem Podium hin und her und machte einen sehr unbehaglichen Eindruck.
»Assistentin Halib! Bitte, hören Sie auf, hin und her zu laufen, und kehren Sie in die Mitte der Scheibe zurück!«rügte er sie.»Wir sind beinahe soweit, und Sie haben sich ja freiwillig gemeldet.«
»Verzeihung, Doktor«, sagte sie seufzend und trat in die Mitte. Zinder sah zu Yulin hinüber.
»Auf mein Zeichen!«rief er, und Yulin nickte.
»Los!«
Die kleine, spiegelähnliche Scheibe an der Decke schob sich hinaus, der kleine Punkt in der Mitte zielte nach unten, und plötzlich war der ganze Bereich des Podiums in bläßlichblaues Licht getaucht, das zu funkeln schien und die Frau einhüllte. Sie wirkte erstarrt, unfähig, sich zu bewegen. Dann flackerte sie plötzlich mehrmals wie ein Projektionsbild und war mit einem Schlag verschwunden.
»Die von der Versuchsperson bekannte Stabilitätsgleichung ist neutralisiert«, sagte Yulin in seinen Aufzeichner. Er hob den Kopf und sah Zinder an.»Gil?«rief er ein wenig beunruhigt.
»Ja?«
»Angenommen, wir bringen sie nicht zurück? Ich meine, was wäre, wenn wir sie einfach neutralisiert hätten?«sagte Yulin nervös.»Würde sie existieren, Gil? Hätte sie jemals existiert?«
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