Und so wies sie Asams Zuneigung ab, freundlich, aber entschieden. Sie sah, daß ihn das schmerzte, und aus diesem Grund tat es ihr auch weh. Doch alles andere war einfach nicht fair, für sie und für ihn nicht.
Am vierten Tag ihrer Wanderschaft waren sie der Erschöpfung nahe. Es war sehr hart gewesen, die Eishänge zu begehen, wo niemals eine Schmelze eintrat, und die Gipfel besaßen nur wenige und schwer zu bewältigende Pässe. Sie wußte, daß sie alle beide nicht mehr lange durchhalten konnten. Sie erreichten die Hütte, ein viel kleineres Gebäude als sonst, weil das ein Übergangspunkt zu anderen Tälern und kein Hauptlager war. Als es dunkel wurde, machten sie es sich bei einem hellodernden Kaminfeuer bequem, und sie waren so müde, daß sie kaum ein Wort miteinander sprachen. Mit der Nacht sank eine Stille herab, die so absolut war, daß sie unnatürlich erschien, unterbrochen nicht einmal von Worten. Es gab nichts als das knackende Feuer und ihre langsamen Atemzüge, als sie eindösten.
Sie schlief unruhig, weil sie einfach zu müde war, und das Knirschen, so, als stapfe ein schweres, großes Tier durch den Schnee, nahm sie nur halb wahr. Hatte es das wirklich gegeben, oder war es ein Traum? Oder vielleicht ein Echo ihrer Hoffnungen? Sie wußte es nicht und war viel zu erschöpft, um sich damit zu befassen.
Die Tür öffnete sich laut knarrend, aber sie regten sich beide nicht. In Gedemondas regte man sich, wenn das erwünscht war.
Der Gedemondaner stand aufrecht wie ein Mensch oder Affe, und mit fast drei Metern Höhe berührte er beinahe die Decke. Sein Gesicht war hundeähnlich, mit einer langen, schmalen Schnauze, vorne schwarz, aber seine Augen glichen in hohem Maß denen eines Menschen oder Dillianers. Sie waren groß und von dunstigem, hellem Blau. Er war bedeckt mit schneeweißem, fast blendendweißem Pelz, sehr wolligem, wie dem eines Schafes, und an beiden Kopfseiten hingen lange Ohrschlappen herab.
Der Gedemondaner schenkte den Schlafenden zunächst wenig Beachtung, ging zu den Traglasten und durchsuchte sie beiläufig. Er stieß auf Asams Zigarren, zog eine heraus und betrachtete sie prüfend, als versuche er dahinterzukommen, was das sei. Er fuhr mit einer schmalen, rosigen Zunge über die Hülle, legte den Kopf auf die Seite, als denke er nach, zuckte dann leicht die Achseln und steckte die Zigarre in eine unsichtbare, beuteltierartige Bauchtasche.
Schließlich schien er zufrieden zu sein, bis er die Karte von Gedemondas bemerkte. Er entrollte sie und betrachtete sie kurze Zeit. Aus seinem Inneren drang ein seltsames, rasch klickerndes Geräusch, das ein leises Lachen sein mochte. Mit seinen sonderbaren biegsamen Händen — drei Finger und Daumen — rollte er die Karte wieder zusammen und legte sie zurück. Im Ruhestand bildeten die Hände fast kreisrunde Polster, die kaum Ähnlichkeit mit Händen besaßen.
Das Wesen drehte sich um und ging nach hinten, wo die Ställe waren. Es betrachtete Asam kurz, der friedlich schlief.
Dann ging es zum nächsten Stall, wo Mavra jetzt in tiefem Schlummer lag, wie betäubt.
Die beiden kleinen Polster griffen zuerst zu ihrem Kopf und schienen ihn zu streicheln. Eine Hand entrollte sich und zog vorsichtig die langen blonden Haare weg, so daß die häßlich aussehende Beule an ihrem Kopf deutlich sichtbar wurde. In der Hoffnung, sie werde sich von selbst entleeren und abheilen, war sie von den Dillianern nicht verbunden worden.
Die Hand formte sich wieder zu einem Polster, und aus der merkwürdig aussehenden behaarten rosigen Handfläche drang eine klebrig aussehende Absonderung. Der Gedemondaner hielt mit seiner anderen Hand die Haare fest und legte das kleine Polster mit der Absonderung wie eine Kompresse auf die Schwellung.
Zum erstenmal schien das Wesen zu bemerken, daß die blauen Flecken eben dies waren und die Verbände andere Wunden bedeckten. Vorsichtig nahm es die Verbände ab und betrachtete die Verletzungen. Es fiel ihm ein wenig schwer, Mavra hinten aufzustellen, und einmal zog er sie sogar vorsichtig aus dem Stall heraus, aber weder sie noch Asam wurden wach.
Ein zweiter Gedemondaner kam herein und betrachtete die beiden Schläfer, dann nickte er dem ersten zu, der sich mit Mavra beschäftigte. Er schien sofort zu spüren, daß die beiden verletzt waren, und machte sich bei Asam ans Werk, dessen Wunden — tiefer und schwerer, als er Mavra oder den anderen gegenüber zugegeben hatte — schmerzhafter waren.
Im Verlauf ihrer geheimnisvollen Behandlung gab der zweite Gedemondaner einen Brummlaut von sich und zeigte auf Asams Kehle. Der erste nickte, zeigte auf Mavra und schüttelte den Kopf. Der Sinn war klar. Asam hatte einen Übersetzer-Kristall; mit ihm konnten sie reden, aber nicht mit Mavra, und es war unverkennbar, daß sie mit Mavra sprechen wollten.
Sie begriffen, daß sie vor einem Problem standen. Sie brauchten einen Sprachenspezialisten, aber den gab es hier nicht. Sie mußten die beiden an einen anderen Ort transportieren, fragten sich jedoch, wie weit die zwei fortgebracht werden konnten. Aber sie befanden sich während der Jagdzeit in einer öffentlich zugänglichen Hütte an einem öfter benützten Steig. Keiner wollte hier warten und Gefahr laufen, entdeckt zu werden.
Sie dachten beide nach. Die Debatte war völlig stumm geführt worden, nicht einmal telepathisch. Sie hatten einfach die Wörter gekannt, auf die es ankam, und mit der einen oder anderen Geste war ein ganzes Gespräch bewältigt worden.
Einer von ihnen traf eine Entscheidung und ging zu Asam, der immer noch schlief, um Laute von sich zu geben, die wie das Jaulen eines kleinen Hundes klangen. Immer noch erfaßt von der Kraft, die beide gebrauchten, also nach wie vor im Hypnoseschlaf, begann Asam zu sprechen.
»Mavra Tschang, höre uns.«
»Ich höre euch«, erwiderte sie wie in Betäubung, die Augen geschlossen, gleichmäßig atmend, und als sie es sagte, wiederholte Asam es.
Der Gedemondaner nickte, offenbar zufrieden. Der andere verstand ihn instinktiv. Es war nicht ideal, aber man mußte mit dem zurechtkommen, was man zur Verfügung hatte.
»Der Schacht ist beschädigt«, sagte der Gedemondaner durch Asam. »Wir wissen es. Wir spürten es, als es geschah. Er ist eine Maschine, aber in vieler Beziehung auch wie ein lebender Organismus. Er ist in höchster Qual. Wir haben euch medizinisch behandelt, und das fiel leicht. Der Schacht braucht diese Hilfe auch, kann sich aber nicht selbst helfen. Das ist uns ebenfalls klar. Wir werden euch helfen, das zu tun, denn unser eigener Blick ist unklar, unsere Gemüter werden davon beeinflußt, weil wir auf den Schacht eingestimmt sind.« Er schwieg kurze Zeit. »Sprich jetzt zu uns.«
»Brazil versucht den Schacht zu reparieren«, erklärte sie. »Die Nationen tun sich zusammen, um ihn aufzuhalten. Es wird Krieg geben. Jede Hilfe ist dringend nötig.«
»Wir verstehen den Plan«, teilte ihr der Gedemondaner mit. »Wir hatten auch unseren Anteil an Neuzugängen, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Sechsecken sind euch diese von geringem Nutzen. Sie gleichen uns äußerlich, gewiß, doch unsere Kräfte entstehen durch Ausbildung, Studium, immense Konzentration schon vor der Geburt, sogar durch Zuchtwahl im Hinblick auf gewisse Dinge. Das ist nichts, was man über Nacht lernen kann, nur im Laufe eines ganzen Lebens. Sprich jetzt.«
»Aber wir brauchen eure Kräfte«, sagte sie. »Wir brauchen sie um jeden Preis.«
»Wir verstehen. Du mußt begreifen, daß wir nur Boten sind. Wir erfuhren von eurer Gegenwart erst, als wir die Heftigkeit des Überfalls auf euch spürten. Wir beiden waren euch am nächsten und beeilten uns, so gut wir konnten. Aber wir sind nicht jene, die ihr braucht, oder jene, die entscheiden. Wir können von euch nur die Tatsachen übernehmen und sie an Weisere weitergeben. Sprich jetzt.«
»Dann müssen wir mit euch dahin gehen, wo jene sind, die helfen können«, betonte sie.
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