Sie schüttelte nur verneinend den Kopf.
„Erli!“ hatte Konrad Stakowski geschrieben. „Wir haben immerhin erreicht, was wir wollten. Wir können die Zeit lenken und dirigieren. Ich bin überzeugt, daß du unser Werk fortsetzt. Ich habe die Vorstellung, daß die Zeit an einem Pol beschleunigt, am anderen verlangsamt wird. Das bedeutet, daß die Menschen Experimente, für die sie früher Jahre gebraucht haben, in Sekundenschnelle durchführen könnten. Ich kann mir gar nicht ausmalen, was die Menschheit alles erreichen könnte, wenn sie in die Lage versetzt ist, die Zeit zu dirigieren, das heißt, ihr zu befehlen, sich dem Willen der Menschen unterzuordnen und nach deren Gutdünken zu vergehen…
Es ist sehr schade, daß diese Entdeckung eine Katastrophe zur Folge hatte. Doch ich hege die Überzeugung, daß du die Arbeit weiterführst; ich bin bemüht, dir dabei zu helfen…
Falls der Journalist in dir den Physiker besiegen sollte, hast du hier den Anfang deines Buches.
Wir haben nicht in Erfahrung bringen können, was für eine Zivilisation auf dem Eremiten ihre Spuren hinterlassen hat.
Vielleicht hat es überhaupt keine andere Zivilisation gegeben.
Möglicherweise wird diese Anlage in zwanzig Jahren auf der Erde gebaut und hierher auf den Eremiten übertragen, in der Zeit versetzt. Auf der Erde werden ja schon seit langem Untersuchungen durchgeführt, die das Ziel haben, die Zeit zu beherrschen, sie zu lenken und zu dirigieren. Esra und Jumm haben für diese Idee gelebt.
Wir haben sehr lange nicht begreifen können, was die Zentrale mit ihren Energiespeichern und Basen eigentlich darstellte.
Doch dann entdeckten wir den Strahlungsring des Eremiten und haben daraus allmählich gefolgert, daß man damit experimentell die Möglichkeit eines wechselseitigen Übergangs von Zeit und Raum ausprobieren konnte. Die Hauptgruppe der Expedition hat sich mit der Untersuchung des Eremiten beschäftigt. Sie versuchte herauszufinden, was eigentlich auf dem Eremiten vorhanden war. In einer der zahlreichen Räumlichkeiten der Zentrale wurden Arbeitsaufzeichnungen gefunden. Es waren gewöhnliche Arbeitsaufzeichnungen, denen man nicht viel entnehmen konnte, doch immerhin war es etwas. Wir haben daraus ersehen, daß jemand bereits versucht hatte, Experimente mit Zeit und Raum anzustellen. Das erstaunlichste daran war, daß diese Notizen in einer Sprache der Erde vorgenommen worden waren. An einigen Stellen stand deine Unterschrift.
Ich unterhielt mich mit Lej darüber. Sie sagte mir, sie habe von dir keinerlei Notizen, keine Dokumente, rein gar nichts.
Ich konnte es nicht begreifen, wo du dich schon einmal mit derartigen Experimenten hättest beschäftigen können. Mir war jedenfalls darüber nichts bekannt.
Auf unser Experiment haben wir uns mit aller Sorgfalt vorbereitet. Vier Tage, nachdem ›Veilchen‹ vom Eremiten abgeflogen war, bestand Eva darauf, mit dem Experiment zu beginnen.
In der Zentrale verblieben lediglich Esra, Jumm und Eva.
Alle anderen flogen mit den Hubschraubern in die Basen. Es mußte ein großangelegtes Experiment sein, doch wir hatten nicht genügend Leute.
Am elften Tag um sieben Uhr meldeten alle zwanzig Basen, daß sie zur Durchführung des Experiments bereit seien. Das Experiment begann sieben Uhr fünfzehn. Esra gab die Kommandos über die Außenverbindung durch und schaltete die Energiespeicher ein. Jumm bearbeitete die Ergebnisse des Experiments mit dem Computer und führte im Programm des Experiments Änderungen und Korrekturen durch.
Bis gegen acht Uhr lief alles genauso wie in den kleineren, vorbereitenden Experimenten… Die Speicher gaben siebzig Prozent der Energie ab, dabei wurde eine Veränderung der Raumkrümmung im lokalen Gebiet des Eremiten nicht festgestellt. Esra fing an, nervös zu werden. Ungefähr gegen acht Uhr drei signalisierten die Apparaturen eine Deformation des Raums. Die Zeitbeschleunigung war gleich null. Esra beschloß, das Experiment einzustellen. Jumm bestand auf seiner Wetterführung. Eine Minute später war klar, daß ihr Streit sinnlos war. Das Experiment war außer Kontrolle geraten. Esra schaltete die Speicher aus, doch die Deformation des Raums blieb bestehen. Das wurde von allen zwanzig Basen bestätigt.
Doch dann verschwand die Deformation, aber dafür setzte eine rasante Beschleunigung der Zeit ein, die sich ganz besonders am Äquator bemerkbar machte. An den Polen trat diese Zeitbeschleunigung nicht auf. Um acht Uhr zehn hörte die Zeitbeschleunigung auf, und die Apparaturen registrierten eine Raumdeformation. Die Zeitbeschleunigung war geringfügig.
Eine Sekunde in der Stunde.
Esra gab die Meldung an alle durch, daß das Experiment außer Kontrolle geraten war. Alle sollten sich zur Rückkehr in die Zentrale bereit machen.
Das Hin- und Herschaukeln im Raum-Zeit-System dauerte noch zweiundzwanzig Minuten… Dann wuchs die Zeitbeschleunigung gewaltig an. Die Verbindung zwischen den Basen und der Zentrale brach ab. Jetzt sind bereits fünf Jahre vergangen, aber wir sind immer noch nicht aus den Kellergeschossen heraus. Erli, wie ist es aber nun, wenn das deine zukünftigen Arbeitsaufzeichnungen gewesen sind? In diesem Falle müßten wir überhaupt nicht nach einer anderen Zivilisation suchen, denn dann hätten wir ja selbst alles geschaffen.
Erli, du mußt herausfinden, wie man Herr über die Zeit werden kann…“
Sie konnten bereits die zweite Basis vor sich erkennen.
„Erli“, sagte Henry. „Ich möchte hier für ein paar Minuten Station machen. Kannst du mich verstehen?“
„Ja, Henry.“ Er schaltete das Mikrofon aus.
Vierzehn Hubschrauber verharrten an ein und derselben Stelle, und einer setzte in kühnem Bogen zur Landung an. In den Strahlen der aufgehenden Sonne glich er einem kleinen, goldenen Käfer.