Von Süden her drang das dumpfe Dröhnen des sich nähernden Hubschraubers an Erlis Ohr, und er verließ das Hauptsteuerungspult, ohne sich umzudrehen.
Sven setzte den Hubschrauber fast auf die Stufen des Aufgangs zur Zentralstation. Osa schaute verwundert um sich, ohne sich zum Aussteigen zu entschließen. Henry sprang auf das Gras und half ihr auf den Boden. Strahlende Sonne, weicher, grüner Rasen, darin leuchtende Blumen, schattige Baumkronen über dem Ganzen. Osa flüsterte hingerissen: „Ich habe gelesen, daß es so etwas gibt, aber daß es so wundervoll ist, habe ich mir nicht vorgestellt.“
Henry legte seinen Arm um ihre Schultern und führte sie die Stufen hinauf.
Sven hatte zwei Blaster auf dem Rücken. Er folgte ihnen.
Auf dem Korridor, der zur Verbindungsabteilung führte, trafen sie Erli.
„Ich freue mich, Henry!“ Er gab der Frau die Hand. „Guten Tag, Osa!“
„Ich bin Seona, Osa ist doch tot.“
Erli blickte Henry flüchtig an und schien alles zu begreifen.
Henry stand mit gesenktem Kopf da und hielt Osa an der Hand.
„Na gut. Wir haben wenig Zeit. Geht in die Verbindungsabteilung. Wir müssen entscheiden, was wir weiter tun.“
Sven ging noch vor den anderen in die Abteilung und unterrichtete Eva davon, daß die Frau Seona genannt sein wollte.
Als die anderen kamen, ging ihnen Eva entgegen und sagte einfach: „Guten Tag, Seona!“
„Guten Tag…“
„Ich heiße Eva. Das ist Erli. Alle anderen kennst du ja bereits.“
„Eva. Das ist ein sehr schöner Name. Was soll ich jetzt tun?“
„Seona, dir gefällt es doch so, aus dem Fenster zu schauen“, sagte Henry. Er führte sie sacht an das Fenster und ließ sie in einem Sessel Platz nehmen. „Schau mal, wie schön es dort ist!
Es gibt keine Gleitpflanzen und keine Schleimsäckchen.“
Osa saß stumm im Sessel.
Erli nahm die Funkverbindung mit Traikow auf. Bei ihm lag nichts Wesentliches vor. Erli bat ihn, an seinem Platz zu verbleiben, aber an ihrem Gespräch per Funk teilzunehmen.
Dann berichtete jeder kurz darüber, was er gesehen hatte, welche Gedanken und Vermutungen ihm gekommen waren, wobei der Akzent auf den besonders merkwürdigen, schwer erklärlichen Momenten lag.
„Seit unserer Landung auf dem Eremiten sind fünf Stunden vergangen“, sagte Erli. „Alles ist hier seltsam und unverständlich. Doch ich glaube, jeder von uns hat seine Hypothesen und Vermutungen. Wer möchte zuerst sprechen?“
„Es sind siebeneinhalb Stunden vergangen“, korrigierte ihn Sven.
„Nein, es sind erst fünf Stunden“, entgegnete Erli entschieden. „Das ist unschwer festzustellen. Also, wer ist der erste?“
„Fang du an, Erli.“
„Nein, ich werde der letzte sein. Henry, du machst den Anfang!“
Wirt war ein paar Sekunden still, dann sagte er: „Ich weiß nicht, wodurch Esra und Jumm umgekommen sind und was ihr Tod für Folgen gehabt hat. Jedenfalls konnte die Selva irgendwie in die Basis eindringen. Es hat ein Orkan gewütet, der die Schutzbarrieren und Gebäude vernichtete, alles andere hat dann die eingedrungene Selva besorgt. Wenigstens ist es auf der zweiten Basis so gewesen. Ich bin überzeugt, daß es in allen anderen genauso ist.“
„Zur gleichen Zeit soll das überall passiert sein?“ fragte Erli.
„Das glaube ich nicht“, entgegnete Henry. „Der Orkan hat eine Basis nach der anderen erfaßt.“
„Ein Orkan auf dem gesamten Territorium des Eremiten?“
staunte Sven. „Das ist wohl wenig wahrscheinlich. Hier ist früher noch nicht einmal heftiger Wind gewesen!“
„Soweit wir zurückdenken können, hat es das tatsächlich nicht gegeben. Trotz alledem hat aber hier ein Orkan gewütet“, widersprach Erli. „Ich habe gesehen, was auf dem Terrain der Zentrale vor sich gegangen ist. Hunderte von Metern hoch ist sperriges Zeug aufgetürmt worden. Der Orkan ist von Norden gekommen, und nach der von ihm aufgetürmten sperrigen Barrikade zu urteilen, muß es ein ganz entsetzlicher Orkan gewesen sein, der sich etliche tausend Kilometer nach Süden ausgedehnt hat. Entwickelt hat er sich wohl einige tausend Kilometer von der Zentrale entfernt. Deshalb will mir scheinen, daß die Hypothese, die Basen seien von einem Orkan verwüstet worden, manches erklärt. Beispielsweise ist wohl klar, daß die Menschen sich im anderen Falle in Hubschraubern bis zur Zentrale hätten retten können. Daß es niemand getan hat, besagt ja, daß es einen Orkan gegeben hat. Das ist eine unbestreitbare Tatsache. Unklar bleibt nur, weshalb er überhaupt aufkam. Was kannst du noch sagen, Henry?“
„Gar nichts. Der Orkan und die Selva. Keiner ist darauf vorbereitet gewesen.“
„Gut. Sven, jetzt bist du an der Reihe.“
„Von der Zentrale bis zur zweiten Basis habe ich vier Energiebarrieren gezählt. Auf dem Rückflug sind wir von jeder zurückgestoßen worden und abgeprallt wie ein Korken aus dem Wasser. Demnach nehmen die Barrieren die elektromagnetischen Wellen auf und werfen sie zurück. Deshalb erhielten die Basen keine Verbindung mit der Zentrale.“
„Die Verbindung war sofort abgerissen, nachdem im Hauptsteuerungspult mit Esra und Jumm irgendwas passiert ist“, schaltete sich Eva ein. „Als ich nämlich hier hinunterkam und versucht habe, mit jemandem Funkverbindung zu bekommen, hat schon kein Mensch mehr geantwortet.“
„Das bedeutet also, daß die Energiebarrieren gleich zu Beginn des Orkans entstanden sind oder sogar noch etwas früher“, schlußfolgerte Sven.
„Es spricht doch wohl eher alles für ein gleichzeitiges Entstehen“, ließ sich Nikolais Stimme aus dem Lautsprecher vernehmen. „Andernfalls wäre die Evakuierung zur Zentrale geglückt. Was hat sie eigentlich verhindert? Der Orkan?“
„Stimmt. Ich hörte, wie Esra, als er noch lebte, verlangt hat, alle sollten unverzüglich in die Zentrale zurückkehren.“
„Demzufolge gab es einen Befehl zur raschen Evakuierung!
Warum hast du das vorher nicht erzählt? Folglich wußten einige, daß es eine Katastrophe geben wird!“
„Das war, als ich aus dem Raum des Steuerungspultes ging.“
„Das Zeichen zur unverzüglichen Rückkehr haben sie also gleichzeitig erhalten“, sagte Sven. „Der Orkan kam von Norden. Doch warum ist den Basen das Evakuieren nicht gelungen? Den Basen, die in nächster Nähe der Zentrale lagen, insbesondere aber den im Süden gelegenen? Man kann ja nicht annehmen, daß der Orkan überall zur gleichen Zeit entstanden ist!“
„Richtig, Sven. Ich habe die aufgetürmten, sperrigen Barrikaden nur auf der Nordseite gesehen. Das beweist doch, daß der Orkan von Norden gekommen ist.“
„Aber dann muß man ja auch annehmen, daß die Geschwindigkeit, mit der er sich ausbreitete, etliche tausend, ja zehntausend Kilometer pro Stunde betragen haben muß. Daran kann ich nicht glauben.“
„Du wirst es wohl glauben müssen, Sven“, meinte Erli.
„Denn nur so können wir uns erklären, weshalb sie nicht abfliegen konnten, nachdem sie das Signal zur raschen Rückkehr erhalten hatten!“
„Aber dann ist wieder diese blitzschnelle Geschwindigkeit für die Ausbreitung des Orkans einfach unerklärlich.“
„Einverstanden. Ich würde jedoch trotzdem gerade an dieser Version festhalten“, sagte Erli. „Gleich nachdem Esra an die Basen das Zeichen zur unverzüglichen Rückkehr durchgegeben hatte, sind die Energiebarrieren entstanden, der Orkan setzte ein, und allmählich drang die Selva zu den Basen vor.
Was hast du dazu noch zu sagen, Sven?“
„Mir ist eines unverständlich. Aber das betrifft uns persönlich. Wir sind sechs Stunden geflogen. Ich habe berichtet, was wir auf der zweiten Basis gemacht haben. Das war nicht in einer halben Stunde zu schaffen.“
„Mitunter erledigt der Mensch in einer Stunde so viel, wie er zu einem anderen Zeitpunkt kaum innerhalb von vierundzwanzig Stunden tun könnte“, warf Erli ein, doch Sven unterbrach ihn.
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