„Versuche die Verbindung in Ordnung zu bringen!“
„Ich versuch’s“, flüsterte Wirt.
Die Zentrale gab auf die Rufe keine Antwort. Das Brummen und dumpfe Krächzen wurde zuweilen von absolutem Schweigen abgelöst.
„Sven und Wirt lauschten wortlos den unverständlichen Geräuschen und Lauten.
Erli hatte den Saal wieder betreten und gab sich Mühe, nicht zu den beiden Sesseln zu sehen. Er stellte die Taschenlampen so auf, daß sie den Raum gleichmäßig erhellten. Dann machte er sich einen Plan, wie er ungefähr vorgehen wollte. Zuerst wollte er feststellen, was im System der Automaten los war, danach die Informationsspeicher ansehen, die Magnetbänder der Rechenmaschinen und die Autographen prüfen. Mit der Untersuchung der sterblichen Überreste der beiden Wissenschaftler wollte er seine Nachforschungen hier abschließen.
Bereits bei flüchtigem Hinsehen stellte er fest, daß die Ventilationsschächte vollkommen zerstört und die Kompressoren in einen Haufen Blech verwandelt worden waren. Eine unter Putz liegende elektrische Leitung konnte er nicht entdecken, aber alle Schalter und Steckdosen waren kaputt. Der Plast war rissig, die Kontakte waren mit einer dicken Rostschicht überzogen, es war sinnlos zu versuchen, etwas einzuschalten: Bei einer einzigen Berührung hingen sofort die Kabel und Gummischnüre der Apparate herunter und waren nicht mehr zu gebrauchen. Irgendeine Seuche, eine heimtückische Krankheit schien das Material, aus dem die Apparaturen und Mechanismen gefertigt waren, befallen zu haben. Lediglich Wände und Fußboden, die aus hitzebeständigem Plast waren, wirkten wie neu.
Die Hebel der Apparaturen rasteten nicht ein, die Tastaturen ließen sich nicht niederdrücken oder verloren bereits bei einer leichten Berührung ihre Spannung und kehrten nicht mehr in ihre Ausgangsstellung zurück.
Von den Bändern der autographischen Anlagen war überhaupt nichts übriggeblieben. Die Magnettrommelspeicher der Rechenmaschinen waren verzogen die Tonbänder hatten sich in Staub verwandelt. Informationsträger waren auch in den Blöcken der Informationsspeicher nicht erhalten geblieben.
Erli ging vorsichtig von einem Gerät zum anderen und gab sich Mühe, mit nichts in Berührung zu kommen; doch hin und wieder fiel etwas krachend zu Boden, schwebte als graue Staubwolke davon oder zerfiel in formlose Plast-Teile und verrostetes Metall.
Trotz alledem war in diesem Chaos defekter, wertlos gewordener Apparaturen und Gegenstände so etwas wie eine Gesetzmäßigkeit zu beobachten. Der Äquator des Planeten verlief direkt durch die Mitte des Saales. Alles, was sich in unmittelbarer Nähe dieser Linie befunden hatte, war mehr zerstört worden als die Dinge, die an den gegenüberliegenden Wänden gewesen waren.
Der Tod hat am Äquator begonnen, sagte Erli zu sich selbst.
Dann betrat er das große Hufeisenpult und blieb an dem Sessel stehen, in dem wahrscheinlich Philipp Esra gesessen hatte.
Zweifellos hatte er in dem Moment, als ihn der Tod ereilte, gesessen. Das bezeugte die Haltung des Skeletts. Aber die Zeit hatte auch ihn nicht verschont, und der Schädel starrte mit leeren Höhlen aus der Sessellehne hervor. Erli harrte etwa eine Minute an diesem Platz aus.
Eine traurige Geschichte…
Er versuchte sich vorzustellen, was Philipp Esra wohl in dem Augenblick gemacht hatte, als er starb. Welche Programmtasten mochte er gedrückt haben? Woran hatte er gedacht? Was wollte er gerade tun? Und Edwin Jumm? Worüber hatten sie vor dem Tod gesprochen? Was hatte das Wort „Schaukel“ zu bedeuten?
Im Ergebnis seiner Besichtigung kam Erli zu keiner einzigen Schlußfolgerung. Esra und Jumm waren nicht mehr unter den Lebenden. Alles, was sich im Hauptpult befunden hatte, war untauglich geworden, zerfallen oder zerstört. Doch es blieb unverständlich, weshalb dies eingetreten war. Eine Epidemie?
Warum dann nur hier in der Kuppel der Zentrale? Und in welcher Beziehung stand das zur Linie des Äquators?
Wie kam er übrigens dazu, daß sich dies alles nur im Hauptpult zugetragen haben sollte? Weil der Korridorring nicht von der Zerstörung betroffen war? Das hatte wohl nichts zu bedeuten; denn auch hier, im Raum des Hauptpultes, sah der Fußboden wie neu aus.
Erli trat hinaus auf den Korridor und betrachtete ihn eingehend.
Wenn er es nicht erwartet hätte, würde er es wahrscheinlich jetzt auch nicht bemerkt haben, genau wie beim ersten Mal. An den Wänden im Korridor fand er etliche Risse. Die Plastverkleidung der Wände war gesprungen. Erli riß die Fenster im Korridor auf. Er wollte sehen, was dort auf dem Boden über der imaginären Linie des Äquators los war. Doch die Dächer der Zentralstation zogen sich einige hundert Meter nach allen Seiten hin. Er konnte im Erdboden infolge der großen Entfernung nichts feststellen. Über die Dächer schien allerdings so etwas wie ein dunkler Streifen entlangzulaufen.
Es gab schon irgendeine Gesetzmäßigkeit bei dem Ganzen, aber vorläufig war nicht dahinterzukommen.
„Erli“, ließ sich Traikow vernehmen, „gleich ist die Verbindung mit Wirt fällig. Was hast du inzwischen herausbringen können?“
„Hier ist alles zerstört. Wie lange wart ihr unterwegs?“
„Zwölf Tage“, entgegnete Traikow verwundert.
„Und was meinst du, wenn ich dir jetzt sage, daß ihr ungefähr fünfhundert Jahre nicht auf dem Eremiten gewesen seid? Nun, was ist? Warum bist du so still?“
„In gewisser Hinsicht können es auch fünfhundert Jahre gewesen sein.“
„Nein, nicht in gewisser Hinsicht, sondern es ist so, wie ich sage. Ich befinde mich im Augenblick im Hauptsteuerungspult.
Ich versichere dir, daß hier einige hundert Jahre vergangen sind. Vielleicht auch nur einige Jahrzehnte. Darin liegt aber im wesentlichen gar kein Unterschied. Was ist denn, wenn ihr tatsächlich einige hundert Jahre für euren Flug gebraucht habt?“
„Erli, ich komme gleich mal zu dir.“
„Nicht nötig, Nik. Ich bin nicht verrückt. Auf dem Eremiten sind einige Tage vergangen, das bestätigt ja auch Eva. Hier sind es aber einige hundert Jahre. Vielleicht hängt es mit dem Einfall eines Virus zusammen?“
„Und wie wäre es, wenn die Besitzer dieses Planeten zurückgekommen sind?“
„Dann diese Grausamkeit? Dann würde auch uns nichts Gutes bevorstehen. Es gibt hier eine eigenartige Gesetzmäßigkeit.“
„Was ist es?“
„Ich muß es erst überprüfen.“
„In Ordnung, ich schalte mich aus.“
Erli begab sich hinunter in den dritten Ring, denn er hatte beschlossen, ihn nochmals entlangzugehen und festzustellen, was in den Laboratorien passiert war, die, genau wie das Hauptpult, über der Äquatorlinie lagen.
Das Hauptpult befand sich im rechten Flügel. Erli ging den linken entlang. Er war jedoch noch nicht weit gekommen, als ihn Traikow nochmals rief. Er war irgendwie erregt, obwohl er sich bemühte, ruhig zu sprechen: „Erli, kannst du mal zu mir kommen?“
„Was ist passiert?“
„Wirt und Thomson antworten nicht.“
Erli machte sofort kehrt zum rechten Flügel.
„Irgendwas heult bei ihnen. Zuerst war überhaupt nichts zu hören, dann ganz schwach, ähnlich einem Ultraschall. Und jetzt ist es ein durchdringendes Heulen.“
Was sollte ihnen denn zugestoßen sein? Auf die Hubschrauber war doch vollkommen Verlaß. Eigentlich war hier auf alles Verlaß, und trotzdem war viel verdorben worden.
Erli öffnete die Tür zum Saal. Traikow saß mit dem Rücken zu ihm und schrie ins Mikrofon: „Ich rufe Wirt! Hier Traikow!
Ich rufe Wirt! Geht auf Empfang!“
Er wiederholte alles noch einmal, nachdem er das Untergestell auf einen anderen Platz gerückt hatte. Erli ließ sich in einen Sessel fallen und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
„Sie geben keine Antwort“, sagte Nikolai und drehte sich zu ihm um.
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