„Verzeih, Henry“, sagte Erli. „Du wirst zu Osa fliegen. Bestimmt, wir werden das gleich beschließen. Wir gehen jetzt in die Zentralstation, und dort wird alles entschieden.“
Henry versuchte sich zu beherrschen, stand auf, und alle vier begaben sich zur Zentralstation.
„Über was für eine Schaukel mag Stakowski eigentlich gesprochen haben?“ fragte Erli Sven. „Habt ihr keine Vorstellung, was er im Sinn gehabt haben könnte?“
„Absolut keine Ahnung“, entgegnete Sven.
„Vorher ist überhaupt nicht davon die Rede gewesen?“
„Ich habe nichts dergleichen gehört.“
Sie blieben an dem Verbindungspult stehen.
„Wie soll man sich denn diese Schaukel vorstellen?“ fragte Nikolai plötzlich. Alle schauten ihn verwundert und verständnislos an.
„Wie kann man die Schaukel am einfachsten schematisch darstellen?“
Erli zeichnete auf ein Blatt Papier über das gesamte Format eine Gerade und durchschnitt sie in der Mitte durch eine kurze Gerade mit kleinem Neigungswinkel.
„So ähnlich würde ich sie auch zeichnen“, sagte Sven. „Doch wozu das alles? Hast du irgendwo so etwas gesehen?“
„Hab’ ich, ist noch gar nicht lange her, nicht nur einmal.
Möglich, daß es vorige Woche war, kann aber auch schon länger zurückliegen. Aber wo und weshalb? Daran kann ich mich nicht erinnern. Doch ich werde mir Mühe geben.“
„Im Moment ist da nichts zu machen?“
„Nein.“
„Gib dir große Mühe, dich zu erinnern“, meinte Sven. „Vielleicht liegt gerade darin des Rätsels Lösung. Aber erst einmal werden wir unseren Aktionsplan ausarbeiten. Wir können nicht die gesamte Zeit über zusammenbleiben. Deshalb müssen wir die Verbindung untereinander aufrechterhalten. Wir brauchen ein Zentrum, dem wir alle Informationen, die wir gesammelt haben, übermitteln. Einer von uns muß ständig hier in der Zentralstation sein. Am besten am Verbindungspult. Das wäre außerdem für den Fall gut, wenn plötzlich einer von ihnen zu sprechen anfinge… Wer bleibt hier? Henry hat dazu selbstverständlich keine Lust.“
„Nein.“
„Wer wird es also machen? Ich muß mit Henry fliegen, obwohl er das auch allein könnte.“
„Nein“, wiederholte Henry.
„Erli weiß hier zuwenig Bescheid…“
„Eva“, meinte Nikolai. „Solange sie schläft, werde ich hierbleiben. Und wenn sie aufwacht… Sicherlich werde ich dann für mich eine passendere Arbeit finden…“
„Gut.“ Sven erhob sich und schritt im Zimmer auf und ab.
„Jeder muß ein Funkgerät bei sich haben, damit er nach draußen und drinnen Verbindung aufnehmen kann. Die Verbindung darf nie unterbrochen werden. Jeder ist weiterhin verpflichtet, wenigstens einen leichten Blaster bei sich zu haben, weil wir nicht wissen, was hier vor sich gegangen ist. Henry und ich fliegen mit dem Hubschrauber in die Base von Osa. Mehr als vier Stunden werden wir dazu nicht benötigen.“
„Dort arbeitet der Turm nicht“, sagte Henry. „Ich habe den gesamten Frequenzbereich gehört.“
„Früher hätten vier Stunden ausgereicht. Doch ohne Turm…
Ich weiß nicht, ob ich es mit Hilfe der Karte schnell finde.“
„Ich bin dort gewesen“, sagte Henry. „Wir werden es rasch finden.“
„Dann wollen wir gleich losfliegen. Erli, versuche die Tür zum Stab einzuschlagen!“
„Eva sagte doch, sie habe den Schlüssel“, warf Nikolai ein.
„Ja, richtig, wie konnte ich das bloß vergessen! Um so besser. Also dann los. Was wir nach ein paar Stunden tun werden, weiß ich nicht.“
„Daran wollen wir nicht herumrätseln“, sagte Nikolai, und sie gingen auf den Korridor.
Sven sagte: „Falls diejenigen zurückkommen, die vor uns hier waren… Wenn sie uns feindlich gesinnt sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als mit ›Veilchen‹ zu starten. Übrigens würde ich das auch tun, wenn ich davon überzeugt wäre, daß wir hier allein sind.“
Sie brauchten fünf Minuten, um die transportablen Funkgeräte und die Blaster zu suchen. Sven und Henry eilten zum Standort der Hubschrauber. Nikolai schaltete alle Empfangsgeräte des Verbindungspultes ein. Erli ging in Evas Unterkunft.
Erli beschloß, Eva nicht zu wecken. Ein paar Stunden würden sie ohne sie auskommen. Für sie war es am besten, sich tüchtig auszuruhen. Er zog etliche Kästchen und Schubladen ihres Schreibschrankes auf, aber er fand darin keine Schlüssel. Der Schlüssel hing mit einem kleinen Medaillon an einem Kettchen auf der Brust des Mädchens. Er war bemüht, sie nicht zu wekken, öffnete das Kettchen behutsam und zog es vorsichtig zu sich heran. Das Mädchen bewegte sich ein wenig, griff nach seiner Hand, doch wachte dabei nicht auf. Endlich hatte er den Schlüssel. Er nahm sich nicht die Zeit, das Kettchen wieder zu schließen. Leise verließ er das Zimmer.
Vor der Zimmertür des Hauptpultes blieb er stehen, holte tief Luft, schaltete die Funkverbindung ein und fragte Traikow:
„Nik, sind sie schon abgeflogen?“
„Ja. Alles lief normal. Alle zwanzig Minuten werde ich mit ihnen sprechen. Du kannst dich vollkommen deiner Aufgabe widmen.“
„Na, ausgezeichnet.“
„Wo bist du im Moment?“
„Ich öffne die Tür zum Hauptpult. Den Schlüssel habe ich gerade gefunden.“
Erli öffnete die Tür. Stickige Luft kam ihm entgegen. Darüber staunte er. Sollte tatsächlich die Ventilation nicht funktionieren? Auch die kleinen Lampenautomaten brannten nicht.
Kaum wahrnehmbar leuchtete die Decke auf, nach Norden und Süden fast ein wenig heller, in der Mitte war ein völlig dunkler Streifen. Bei dieser Beleuchtung konnte man schwerlich etwas erkennen, und Erli kam nur tastend voran. Eine kleine Hilfe war der Lichtstreifen, der durch die geöffnete Tür hereinfiel.
Die Innenausstattung im Raum des Hauptpultes kannte er nicht, doch seine Augen hatten sich inzwischen etwas an das Halbdunkel gewöhnt. Er bewegte sich sogar ein wenig sicherer, doch seine Sicherheit verflog mit einem Male, als er mit seiner Hand an die Sessellehne kam und der Stoffbezug ihm zwischen den Fingern zu Staub zerfiel. Erli zuckte zusammen und blieb stehen. Es war wohl doch besser, eine Taschenlampe zu nehmen. Aber warum funktionierte die Beleuchtung nicht?
Mit Hilfe des Lichtscheines fand er rasch zur Tür zurück und tastete sich zum Lichtschalter. Er knipste, aber es ging nicht, die Teile des Schalters fielen geräuschvoll zu Boden.
„Erli“, rief ihn Traikow an. Er zuckte überrascht zusammen und antwortete: „Ja, Nik.“
„Was ist bei dir los?“
„Ich begreife überhaupt nichts…“
„Soll ich helfen?“
„Nein, Nik. Sag mir lieber, wie ich schnell zu einer Taschenlampe kommen kann!“
„Eine Taschenlampe? Bist du denn unter der Erde?“
„Denk nicht, daß ich spinne. Die Automatik funktioniert nicht, und der Schalter ist mir in der Hand zerfallen.“
„Da wird wohl nur in den Wirtschaftsräumen etwas zu finden sein, sonst kaum. Soll ich dir eine hinbringen?“
„Ich mach’ das schon selbst. Du darfst nicht weg vom Verbindungspult.“
„Die Verbindung kommt erst in dreißig Minuten. Das schaffe ich.“
„Nein, Nik. Jede Sekunde kann jemand rufen.“
Erli fuhr auf der Rolltreppe hinunter, lief abermals den dritten Korridor entlang und kroch in den unterirdischen Durchgang.
Der Kolben seines Blasters schlug ihm gegen den Rücken. Erli kam sogar der Gedanke, daß hier, in der Zentralstation, eine Waffe doch völlig sinnlos sei. Die Lichterkette begleitete ihn und war ihm immer ein Stück voraus. Hier funktionierte alles vollkommen normal. In dem Wirtschaftsraum gab es eine Informationsmaschine. Erli drückte den Knopf „Autonome Beleuchtung“, merkte sich die Nummer der Sektion und lief weiter. Die Tür zur Sektion öffnete sich vor ihm bereits, als er auf sie zueilte. Es war keine Zeit, darüber nachzudenken. Er ergriff eine kleine Taschenlampe und steckte sie in seinen Anzug. Auf den Regalen fand er noch zwei große, die er in die Hände nahm. Dann überlegte er einen Moment und nahm noch zwei. Mehr konnte er nicht tragen.
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