»Es ist gar kein Schiff da?«
»Selbstverständlich ist ein Schiff da. Die Capetown Maru, ein netter kleiner Frachter. Er lädt gerade Kaffee und Gewürze. Wenn die Frachträume voll sind, die Schulden beglichen und die Genehmigungen unterzeichnet, dann geht die menschliche Fracht an Bord. Diskret, wie ich hoffe.«
»Was ist mit Diane? Ist Diane in Teluk Bayur?«
»Bald«, sagte Ina mit einem bedeutungsvollen Blick auf Jala.
»Ja, bald«, erwiderte er.
Teluk Bayur mochte einst nur ein schläfriger Handelshafen gewesen sein, doch wie alle modernen Häfen war dieser inzwischen zu einer Stadt für sich geworden, einer Stadt, die nicht für Menschen gemacht war, sondern für Frachtgut. Der eigentliche Hafen war begrenzt und umzäunt, aber um diesen Kern herum hatte sich ergänzendes Gewerbe angesiedelt wie Bordelle um einen militärischen Stützpunkt: nachgeordnete Spediteure und Expediteure, LKW-Kollektive, die mit umgebauten Mehrachsern arbeiteten, undichte Öldepots. Wir ließen das alles schnell hinter uns — Jala wollte uns untergebracht wissen, bevor die Sonne unterging.
Bayur Bay selbst war ein Hufeisen aus öligem Salzwasser. Kais und Molen leckten daran wie Betonzungen. An die Küste grenzend, breitete sich das geordnete Chaos des Handels im großen Maßstab aus: die vor- und nachgeordneten Lagerhäuser und Stapelplätze, die Kräne, die sich wie riesige Gottesanbeterinnen an den Laderäumen der Containerschiffe gütlich taten. Wir hielten bei einem Wachhäuschen, und Jala reichte dem Posten irgendetwas durchs Wagenfenster — einen Passierschein, Bestechungsgeld, vielleicht beides. Der Posten winkte uns durch, Jala winkte liebenswürdig zurück und fuhr auf das Gelände innerhalb des Stahlzauns, brauste mit, wie mir schien, halsbrecherischer Geschwindigkeit an einer ganzen Reihe von CPO- und Avigas-Tanks vorbei. »Ich habe Ihnen hier eine Bleibe für die Nacht organisiert«, sagt er. »In einem der Lagerhäuser auf dem Dock E habe ich ein Büro. Da ist nur unbewehrter Beton drin, da stört Sie keiner. Morgen früh werde ich Diane Lawton dorthin bringen.«
»Und dann fahren wir ab?«
»Geduld. Sie sind nicht die Einzigen, die rantau machen — nur die Auffälligsten. Es könnte Komplikationen geben.«
»Welcher Art?«
»Na, die New Reformasi natürlich. Die Polizei durchkämmt das Hafengelände von Zeit zu Zeit, auf der Suche nach Illegalen und Bogenflüchtlingen. Meistens finden sie auch ein paar. Oder auch mehr als ein paar, je nachdem, wer die Hand aufgehalten hat und wie viel hineingeflossen ist. Im Moment gibt es großen Druck aus Jakarta, also wer weiß? Außerdem ist davon die Rede, dass es einen Arbeitskampf geben könnte — die Gewerkschaft der Stauer ist ausgesprochen militant. Wenn wir Glück haben, können wir ablegen, bevor der Konflikt beginnt. Sie müssen also für eine Nacht im Dunkeln auf dem Fußboden schlafen. Ina und En bringe ich fürs Erste zu den anderen Dorfbewohnern.«
»Nein«, sagte Ina bestimmt. »Ich bleibe hier bei Tyler.«
Jala sah sie an und sagte etwas auf Minang.
»Nicht lustig«, erwiderte sie. »Und auch nicht wahr.«
»Was dann? Du traust mir nicht zu, dass ich ihn sicher unterbringe?«
»Was habe ich je davon gehabt, dir zu trauen?«
Jala grinste. Seine Zähne waren tabakbraun. »Abenteuer.«
»Das kann man wohl sagen.«
Also landeten wir, Ibu Ina und ich, am Nordende eines Lagerhallenkomplexes etwas abseits der Docks, in einem trostlosen rechteckigen Raum, der einst, so Ina, als Büro des Zollaufsehers gedient hatte, bevor das Gebäude wegen anstehender Reparaturen am porösen Dach vorübergehend geschlossen worden war.
Eine Wand des Raums war ein Fenster aus drahtverstärktem Glas. Ich blickte hinab in einen tiefen, kahlen Stauraum, blass vom Betonstaub. Stützpfeiler aus Stahl ragten wie rostige Rippen aus einem schlammigen, von Pfützen übersäten Boden. Das einzige Licht kam von Sicherheitslampen, die in großen Abständen an den Wänden hingen. Insekten waren durch die Öffnungen des Gebäudes eingedrungen, schwärmten in Wolken um die vergitterten Glühbirnen, gingen ein, bildeten Haufen aus leblosen Hüllen. Es gelang Ina, eine Schreibtischlampe zum Leuchten zu bringen. Leere Pappkartons stapelten sich in einer Ecke. Ich faltete die trockensten auseinander und legte sie übereinander, um daraus zwei primitive Matratzen zu machen. Keine Decken. Aber es war eine sehr warme Nacht. Die Monsunzeit stand bevor.
»Glauben Sie, Sie können schlafen?«, fragte Ina.
»Ist nicht das Hilton, aber besser krieg ich’s nicht hin.«
»Oh, das meinte ich nicht. Ich spreche vom Lärm. Können Sie bei dem Lärm schlafen?«
Teluk Bayur stellte nachts keineswegs den Betrieb ein, das Beladen und Entladen dauerte vierundzwanzig Stunden am Tag. Sehen konnten wir es nicht, aber wir konnten es hören: das Geräusch von schweren Motoren und gequältem Metall und in Abständen das Donnern tonnenschwerer Frachtcontainer in Bewegung. »Hab schon unter schlimmeren Bedingungen geschlafen«, sagte ich.
»Das bezweifle ich, aber es ist nett, dass Sie es sagen.«
Zunächst schlief keiner von uns. Stattdessen saßen wir beim Schein der Schreibtischlampe und unterhielten uns sporadisch. Ina fragte nach Jason. Ich hatte ihr einige der längeren Abschnitte zu lesen gegeben, die ich während meiner Krankheit niedergeschrieben hatte. Jasons Übergang ins Vierte Alter, sagte sie, scheine weniger schwierig gewesen zu sein als meiner. Nein, erwiderte ich, ich hätte bei dieser Schilderung nur die Bettschüsseldetails weggelassen.
»Aber seine Erinnerung? Es gab keinen Verlust? Er hat sich keine Sorgen deswegen gemacht?«
»Er hat nicht viel darüber gesprochen. Bestimmt hat er sich Sorgen gemacht.« Einmal, als er gerade aus einem seiner Fieberanfälle auftauchte, hatte er sogar verlangt, ich solle sein Leben für ihn aufzeichnen: Schreib es für mich auf Ty, hatte er gesagt. Schreib es auf, falls ich alles vergesse.
»Aber keine Graphomanie bei ihm.«
»Nein, zu Schreibwut kommt es, wenn das Gehirn seine eigene Artikulationsfähigkeit neu zu vernetzen beginnt, aber es ist nur eines der möglichen Symptome. Die Geräusche, die er machte, waren vermutlich seine spezielle Manifestation dieses Vorgangs.«
»Das haben Sie von Wun Ngo Wen erfahren.«
Ja. Oder aus seinen medizinischen Archiven, die ich später studierte.
Ina war noch immer von dem Marsianer fasziniert. »Diese Warnung an die Vereinten Nationen, wegen Überbevölkerung und Ressourcenknappheit — hat Wun je mit Ihnen darüber gesprochen? Ich meine, in der Zeit, bevor…«
»Ich weiß. Ja, doch, ein bisschen.«
»Was hat er gesagt?«
Das war anlässlich einer unserer Unterhaltungen über das eigentliche Ziel der Hypothetischen gewesen. Wun hatte ein Diagramm aufgezeichnet, das ich jetzt für Ina auf dem staubigen Parkettboden reproduzierte: eine senkrechte und eine waagrechte Linie, die einen Graphen definierten. Die Senkrechte stand für Bevölkerungszahlen, die Waagerechte für die Zeit. Eine gezackte Kurve kreuzte mehr oder weniger horizontal über die Graphenebene.
»Entwicklung der Bevölkerung in der Zeit«, sagte Ina. »So viel verstehe ich. Aber was genau wird gemessen?«
»Jede Tierpopulation stellt ein relativ stabiles Ökosystem dar. Seien es Füchse in Alaska oder Brüllaffen in Belize. Die Population schwankt abhängig von äußeren Faktoren — ein besonders kalter Winter etwa oder eine Zunahme von natürlichen Feinden —, aber sie ist jedenfalls kurzfristig stabil.«
Was jedoch, hatte Wun gefragt, wenn wir eine intelligente, Werkzeuge gebrauchende Spezies über einen längeren Zeitraum betrachten? Ich malte Ina den gleichen Graphen noch einmal auf, nur diesmal bewegte sich die Kurve stetig nach oben.
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