»Ich möchte mit dir reden«, sagte er.
Was eine durchaus interessante Aussage war von einem Mann, der Molly Seagrams sexuelle Spionageaktion finanziert, wenn nicht gar erdacht hatte. Mein erster, wahrscheinlich gesunder Impuls war, gleich wieder aufzulegen, aber als Geste erschien mir das unangemessen.
»Es geht um Jason«, fügte er hinzu.
»Dann reden Sie doch mit Jason.«
»Das kann ich nicht, Tyler. Er hört mich nicht an.«
»Wundert Sie das?«
Er seufzte. »Okay, du stehst natürlich auf seiner Seite. Aber ich will ihm ja nichts Böses. Und es ist sogar dringend. In Bezug auf sein eigenes Wohl.«
»Ich weiß nicht, was das heißen soll.«
»Und ich kann es am Scheißtelefon nicht erklären. Ich bin gerade in Florida, zwanzig Minuten von dir. Komm ins Hotel, ich geb dir einen aus und du kannst mir ins Gesicht sagen, dass ich mich verziehen soll. Bitte, Tyler. Acht Uhr, Hotelbar im Hilton, an der Fünfundneunzig. Vielleicht rettest du jemandem das Leben.«
Er legte auf, bevor ich antworten konnte.
Ich rief Jason an und erzählte ihm, was gerade passiert war.
»Wow«, sagte er. »Wenn die Gerüchte zutreffen, ist E. D. im Umgang sogar noch unangenehmer als früher. Sieh dich vor.«
»Ich hatte eigentlich nicht die Absicht hinzufahren.«
»Musst du natürlich auch nicht. Aber… vielleicht solltest du.«
»Ich hab genug von E. D.s Tricks, vielen Dank.«
»Vielleicht wär’s aber besser, wenn wir wüssten, was ihn umtreibt.«
»Soll das heißen, du willst, dass ich mich mit ihm treffe?«
»Nur, wenn du dich dabei wohl fühlst.«
»Wohl fühlen?«
»Es ist natürlich deine Entscheidung.«
Also setzte ich mich in mein Auto und fuhr über den Highway, vorbei an Unabhängigkeitstagbeflaggung (morgen war der 4. Juni) und fliegenden Fahnenhändlern (ohne Lizenz, jederzeit darauf gefasst, in ihren verwitterten Pick-ups das Weite suchen zu müssen), während ich in Gedanken noch einmal all die Fahr-zur-Hölle-Reden rekapitulierte, die ich mir in den vergangenen Monaten für E. D. Lawton ausgedacht hatte. Als ich beim Hilton ankam, war die Sonne hinter den Dächern verschwunden und die Uhr am Empfang zeigte 20:35.
E. D. saß in der Bar an einem Tisch, seinen Drink vor sich. Er wirkte erst überrascht, mich zu sehen. Dann aber erhob er sich, packte meinen Arm und bugsierte mich auf die Sitzbank ihm gegenüber.
»Was zu trinken?«
»So lange bleib ich nicht.«
»Trink etwas, Tyler. Es verbessert die Einstellung.«
»Hat es Ihre Einstellung verbessert? Sagen Sie einfach, was Sie wollen, E. D.«
»Oha, daran erkenne ich, ob einer wütend ist — wenn er meinen Namen ausspricht wie eine Beleidigung. Warum bist du so sauer? Wegen der Sache mit deiner Freundin und dem Arzt, wie hieß er gleich, Malmstein? Ich habe das nicht arrangiert. Ich habe nicht mal meine Einwilligung dazu gegeben. Die Leute, die für mich gearbeitet haben, waren ein wenig übereifrig. Die Sache wurde einfach in meinem Namen abgewickelt. Nur, dass du’s weißt.«
»Das ist eine ziemlich erbärmliche Entschuldigung für ein derartiges Verhalten.«
»Ist es wohl. Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage. Und bitte um Verzeihung. Können wir jetzt von etwas anderem sprechen?«
An diesem Punkt hätte ich einfach gehen können. Dass ich es nicht tat, lag vermutlich an der Besorgnis, ja Verzweiflung, die er verströmte. E. D. war noch immer zu jener gedankenlosen Herablassung imstande, die ihn seiner Familie so teuer gemacht hatte, aber er besaß nicht mehr die alte Selbstsicherheit. In der Stille zwischen seinen Wortausbrüchen konnte er die Hände nicht still halten, er rieb sich das Kinn, faltete eine Serviette zusammen und wieder auseinander, strich sich über die Haare. Schweigen breitete sich aus, bis er einen guten Schluck von seinem zweiten Drink genommen hatte (nein, vermutlich nicht erst der zweite — die Vertrautheit, mit der die Kellnerin ihn bedient hatte, ließ anderes vermuten).
»Du hast Einfluss auf Jason«, sagte er schließlich.
»Wenn Sie mit Jason reden wollen, warum tun Sie es nicht auf direktem Wege?«
»Weil das nicht geht. Aus naheliegenden Gründen.«
»Was soll ich ihm denn sagen?«
E. D. starrte erst mich an, dann seinen Drink. »Du sollst ihm sagen, dass er den Stecker aus dem Replikatorenprojekt ziehen muss. Buchstäblich. Den Kühlschrank abstellen. Schluss machen.«
Jetzt war es an mir, ungläubig dreinzublicken. »Es muss Ihnen doch klar sein, wie abwegig das ist.«
»Ich bin nicht blöd, Tyler.«
»Also, warum…«
»Er ist mein Sohn.«
»Wie haben Sie denn das herausgefunden?«
»Weil wir politischen Streit hatten, ist er plötzlich nicht mehr mein Sohn? Glaubst du, ich bin so oberflächlich, dass ich das nicht trennen kann? Dass ich ihn nicht liebe, nur weil ich anderer Meinung bin?«
»Ich weiß von Ihnen nur das, was ich gesehen habe.«
»Du hast gar nichts gesehen.« Er hielt kurz inne, dann sagte er: »Jason ist nur eine Marionette in den Händen von Wun Ngo Wen. Ich möchte, dass er aufwacht und begreift, was gespielt wird.«
»Sie haben ihn dazu erzogen, eine Marionette zu sein. Ihre Marionette. Es gefällt Ihnen nur nicht, dass jetzt jemand anders einen derartigen Einfluss auf ihn hat.«
»Blödsinn, totaler Blödsinn. Oder, na gut, wenn wir hier schon mal am Beichten sind, vielleicht ist es so, ich weiß nicht, vielleicht brauchen wir alle mal eine Familientherapie, aber darum geht’s hier nicht. Es geht darum, dass alle mächtigen Leute in diesem Land auf Wun Ngo Wen und sein beschissenes Replikatorenprojekt abfahren. Aus dem offensichtlichen Grund, dass es billig ist und dem Wahlvolk einleuchtend erscheint. Wen kümmert’s da, wenn es nicht funktioniert, denn alles andere funktioniert ja auch nicht, und wenn nichts funktioniert, dann ist das Ende nahe und alle unsere Probleme erscheinen in einem anderen Licht, im Licht der roten Sonne nämlich. Stimmt’s? Ist es nicht so? Sie reden es schön, sie bezeichnen es als Spiel mit offenem Ausgang, aber in Wirklichkeit ist es ein Taschenspielertrick, um das Volk bei Laune zu halten.«
»Interessante These, aber…«
»Würde ich mich hier mit dir unterhalten, wenn ich das Ganze nur für eine interessante These hielte? Stell mir die richtigen Fragen, wenn du anzweifelst, was ich sage.«
»Welche denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel: Wer genau ist eigentlich Wun Ngo Wen? Wen repräsentiert er und was will er wirklich? Anders als er im Fernsehen glauben machen will, ist er nämlich nicht Mahatma Gandhi in der Munchkin-Version. Er ist hier, weil er etwas von uns will. Etwas, das er von Anfang an wollte.«
»Den Start der Replikatoren.«
»Offensichtlich.«
»Ist das ein Verbrechen?«
»Die bessere Frage wäre: Warum starten die Marsianer diese Aktion nicht selbst?«
»Weil sie nicht davon ausgehen können, dass sie für das gesamte Sonnensystem sprechen. Weil ein solches Projekt nicht unilateral in Angriff genommen werden kann.«
E. D. verdrehte die Augen. »Das sind die Sachen, die man halt so sagt, Tyler. Über Multilateralismus und Diplomatie zu sprechen, erfüllt den gleichen Zweck wie ›Ich liebe dich‹ zu sagen: man kriegt das Höschen leichter runter. Es sei denn natürlich, die Marsianer sind wirklich engelsgleiche Wesen, die vom Himmel herabgestiegen sind, um uns von allem Übel zu erlösen. Und ich nehme mal an, dass du das nicht glaubst.«
Wun hatte dies so oft von sich gewiesen, dass ich kaum widersprechen konnte.
»Ich meine, sieh dir ihre Technologie an. Diese Leute betreiben seit tausend Jahren Biotechnik. Wenn sie die Galaxie mit Nanobots bevölkern wollten, hätten sie das schon längst tun können. Also: Warum haben sie es nicht getan? Warum? Offensichtlich doch, weil sie Angst vor Vergeltungsmaßnahmen haben.«
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