Sie machte sich auch wegen Doug Archer große Sorgen.
Er war in der vergangenen Nacht mit dem schüchternen Eifer eines jungen Hundes in ihr Bett gekrochen. Catherine betrachtete dies als eine Geste der Freundschaft, blickte aber mit Unbehagen auf die Konsequenzen. Sie hatte noch nicht mit vielen Männern geschlafen, weil sie sich immer viel zu sehr für sie engagierte. Ihr fehlte die Fähigkeit zum unverbindlichen Sex. Das war zweifellos ein Vorteil im Zeitalter von Aids, aber zu oft sah sie sich vor die Entscheidung zwischen Frustration einerseits und einer Beziehung, die sie nicht wollte oder brauchte, andererseits gestellt. Zum Beispiel Archer: Wer war dieser Mann wirklich?
Sie streifte ihn mit einem Seitenblick, wie er neben ihr saß in seiner Levi’s, dem zerzausten Haar und einem seltsamen knappen Grinsen im Gesicht und Ben zuhörte, dem porzellanweißen Zeitreisenden. Douglas Archer, der all das irgendwie zu genießen schien. Der die unheimliche Seite an dem Geschehen liebte.
Sie wollte ihn warnen. Sie wollte zu ihm sagen: Hör dir nur all diese Geschichten an. Ein desertierter Soldat aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert, ein Tunnel, in dem Zeitgespenster ihr Unwesen treiben und manchmal Leute »mitnehmen«, ein Mann namens Tom Winter, der in der Vergangenheit verschollen ist…
Aber Doug saß da wie ein Junge, der sich gespannt eine Abenteuergeschichte anhört.
Sie sah zu Ben Collier — zu diesem Mann, der zehn Jahre tot gewesen war und das mit dem Gleichmut eines Finanzfachmanns ertragen hatte, der sich zur Konferenz seines Bankenvorstands verspätet hatte — und runzelte die Stirn.
Er will etwas von uns, dachte Catherine.
Er wird nichts fordern. (Das war ihr klar.) Er droht uns nicht. Er wird nicht betteln. Er lässt es sogar zu, dass wir ablehnen. Er lässt uns auch wieder gehen. Er wird sich bei uns für alles bedanken, was wir getan haben, und er meint es aufrichtig.
Aber Doug wird nicht Nein sagen. Doug wird nicht weggehen.
So gut kannte sie ihn bereits. Und so wichtig war er ihr auch schon.
»Vielleicht sollten wir eine kleine Mittagspause einlegen und etwas essen«, sagte Doug gerade. Er sah Ben gespannt an. »Wie ist es mit Ihnen? Wir könnten Ihnen ein paar Steaks zubereiten. Es sei denn, Sie haben sie roh am liebsten.«
»Vielen Dank«, sagte Ben, »aber ich nehme Nahrung nicht auf die übliche Art und Weise zu mir.« Er deutete auf seinen Hals und seinen Leib. »Es sind noch immer einige Reparaturen im Gange.«
»Sind die Steaks gar nicht für Sie?«
»Oh, natürlich sind sie für mich, vielen Dank. Aber die kybernetischen Helfer müssen sie zuerst verdauen.«
»Igitt«, sagte Catherine.
»Es tut mir leid, wenn es Ihnen unangenehm ist.«
Das war es, aber sie zuckte mit den Schultern. »Sie haben meine Tante Lacey zwei Jahre lang mithilfe eines Röhrchens gefüttert, ehe sie starb. Das ist sicher nicht viel schlimmer, nehme ich an. Aber es tut mir für Sie leid.«
»Das ist nur vorübergehend. Und ich habe keine Schmerzen. Essen Sie beide ruhig, wenn Sie wollen. Ich bin hier ganz zufrieden.«
»Okay«, sagte Catherine und fuhr zaghaft fort: »Aber ich habe auch zwei Fragen.«
»Ja, bitte«, sagte Ben.
»Sie haben uns erklärt, Sie seien eine Art Wächter. Ein Hausmeister. Sie sagten, Sie seien ›rekrutiert‹ worden. Aber ich weiß nicht, was das bedeutet. Hat jemand bei Ihnen angeklopft und Sie gefragt, ob sie mitmachen wollen?«
»Ich war Historiker, Catherine. Und ein guter dazu. Ein anderer Hausmeister aus meiner näheren Zukunft sprach mich an, ebenfalls ein Historiker. Betrachten Sie uns als eine Art Gilde. Wir suchen uns unsere Leute selbst.«
»Damit haben Sie aber sehr viel Macht in Händen.« Wächter war eine bescheidene Bezeichnung, dachte Catherine, vielleicht zu bescheiden.
»So muss es aber sein«, sagte Ben. »Die Tunnelbauer reisen in ihre eigene ferne Vergangenheit. Ihre Aufzeichnungen über diese Zeit sind sehr vage. Deshalb sind sie hier. Die Wächter fungieren als ihre Puffer in einer manchmal feindlichen Umgebung. Wir beliefern sie mit aktuellen Dokumenten, und wir helfen ihnen, sich bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie der jeweiligen Zeit einen physischen Besuch abstatten, in die zeitgenössische Kultur einzufügen. Könnten Sie zum Beispiel ein Lager von Cro-Magnon-Menschen betreten und erwarten, dass man Sie für ein Mitglied des Stammes hält?«
»Ich verstehe. Sie waren damit einverstanden?«
»Als man es mir ausführlich erklärt hatte.«
»Einfach so?«
»Nicht ohne eine Gewissenserforschung.«
»Aber Sie müssen doch ein eigenes Leben geführt haben. Es bedeutete doch, dass Sie irgendetwas aufgeben mussten.«
»Nicht so viel, wie Sie vielleicht annehmen. Ich war schon alt, Catherine. Ein alter Mann. Und Langlebigkeit ist so etwas wie eine Kunst in meiner Zeit. Ich war älter als ein Jahrhundert und begann zu versagen. Und ich fühlte mich sehr einsam.«
Er sagte das mit einem Ausdruck von Wehmut, sodass Catherine ihm glaubte. »Hat man Sie wieder jung gemacht?«
»Einigermaßen jung«, sagte Ben. »Jung genug, um ein neues Leben zu beginnen, wenn ich von hier weggehe.«
»Dürfen Sie das denn?«
»Ich bin Angestellter und kein Sklave.«
»Also«, fasste Catherine zusammen, »Sie wollen all diese Schäden reparieren. Sie wollen den Tunnel wieder in Gang setzen und irgendwann nach Hause zurückkehren.«
»Ja.«
»Ist das denn möglich? Können Sie ihn reparieren?«
»Die kybernetischen Helfer reparieren so viele Schäden wie möglich. Dann können wir die Verbindung mit Manhattan schließen, sie isolieren, bis sie dort genauso repariert werden kann. Aber das dauert einige Zeit. Mindestens ein paar Wochen.«
»Und bis dahin«, sagte Catherine, »heißt das Problem Tom Winter.«
»Möglich, dass er völlig sicher ist. Möglich aber auch, dass er es nicht ist. Die kybernetischen Helfer haben versucht, ihn zu warnen, aber sie sahen sich einem enormen Informationshindernis gegenüber — ich fürchte, sie waren nicht sehr präzise. Er könnte den Eindringling aufgescheucht haben, oder er tut es noch.«
Catherine biss sich auf die Lippe. Hier lag das eigentliche Problem. »Sie wollen, dass wir ihn zurückholen.«
Ben machte ein ernstes Gesicht. »Das ist wahrscheinlich in diesem Stadium nicht möglich. Die kybernetischen Helfer könnten eingreifen, und sie bieten vielleicht einen gewissen Schutz vor dem Eindringling, aber die Gefahr ist offensichtlich. Ich werde Sie nicht bitten, keinen von Ihnen.«
Sie brauchen gar nicht zu fragen, dachte Catherine traurig. Sie sah Doug Archer an und wusste Bescheid.
Archer grinste.
»Tom ist ein liebenswerter Hurensohn«, sagte er. »Ich denke, dass ich ihn hierher zurückholen kann.«
Doug ging in die Küche und ließ Catherine mit Ben allein.
Sie zögerte in der Türöffnung, verunsichert durch Bens ausdruckslose Geduld. Schließlich sagte sie: »Ist das wirklich nötig? Wenn Sie Tom Winter nicht zurückholen… würde davon die Welt untergehen?« Sie fügte hinzu: »Ich glaube, Doug riskiert dabei sein Leben.«
»Ich werde alles tun, um das Risiko so gering wie möglich zu halten. Ein gewisses Restrisiko bleibt natürlich bestehen. Die Welt wird nicht untergehen, wenn Tom Winter in Manhattan bleibt… aber es könnte andere Folgen geben. Ich kann es nicht mit Sicherheit vorhersagen.« Er hielt inne. »Catherine, Doug weiß, dass der Durchgang offen ist. Meinen Sie, er hält sich davon fern, wenn ich es von ihm verlange?«
»Nein… ich glaube nicht, dass er das tun würde.« Catherine ärgerte sich darüber, aber sie begriff auch, dass es zutraf. »Auf diese Art und Weise erfüllt er wenigstens einen Zweck. Ist es das?«
»Dann«, sagte Ben, »wird er wohl zurückkommen.«
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