Guilford war zuversichtlich. Die Donnegan-Expedition war lediglich ein paar zerlumpten Partisanen begegnet, die im Tiefland von Aquitanien [17] Region in Südwest-Frankreich.
das Leben von Wilden führten. Die Finch-Expedition würde am Rhein-Delta anlegen, einem amerikanisch besetzten Territorium, und dem Rhein solange folgen, wie er befahrbar war, vorbei an Rheinfelden bis zum Lake Constance, [18] Bodensee.
falls irgend möglich. Dann würde man in den Alpen, da wo einst die Römerstraßen verliefen, nach einem befahrbaren Pass suchen.
»Ehrgeizig«, sagte Jered unbeeindruckt.
»Wir sind gut ausgerüstet.«
»Es gibt immer Gefahren, mit denen man nicht rechnet…«
»Das ist der springende Punkt. Jahrhunderte lang haben Menschen die Alpen überquert. Aber nicht diese Alpen. Wer weiß, was sich alles verändert hat? Genau das wollen wir herausfinden.«
»Gerade mal fünfzehn Männer«, sagte Jered.
»Wir dampfen, soweit wir können, den Rhein hinauf. Weiter geht es mit Flachboden-Booten oder zu Fuß.«
»Ihr braucht jemanden, der den Kontinent kennt. Und wer kennt ihn schon?«
»In Jeffersonville am Rhein gibt es Trapper und Waldläufer. Männer, die sich gleich nach dem Wunder da niedergelassen haben.«
»Du bist der Photograph, sagt Caroline.«
»Jawoll, Sir.«
»Zum ersten Mal auf Expedition?«
»Zum ersten Mal auf dem Kontinent, aber ich war mit Walcott am Gallatin River, letztes Jahr. Ich bin nicht unerfahren.«
»Liam hat dich finanziell unterstützt?«
»Ja.«
»Er wollte bestimmt das Beste. Aber Liams Blick ist durch den Atlantik verstellt, und durch sein Geld. Vielleicht weiß er nicht, in welche Lage er dich gebracht hat. Es geht heiß her auf dem Kontinent. Oh, ich kenne die Wilson-Doktrin, Europa eine Wildnis, die allen Siedlern offensteht, und so weiter, und die Idee ist auf ihre Weise ja auch nobel — obwohl ich froh bin, dass England in der Lage war, sich durchzusetzen. Aber man musste schon ein paar französische und deutsche Kanonenboote versenken, bis diese maroden Exil-Regierungen kapitulierten. Und trotzdem…« Er stauchte die Glut im Pfeifenkopf. »Du begibst dich in Gefahr. Ich bin mir nicht sicher, ob Liam sich das klarmacht.«
»Ich habe keine Angst vor dem Kontinent.«
»Caroline braucht dich. Lily braucht dich. Es hat überhaupt nichts mit Feigheit zu tun, wenn man sich und seine Familie schützt.« Er lehnte sich vor. »Du darfst gerne bleiben, solange es nötig ist. Ich kann Liam schreiben, ihm alles erklären. Überleg’s dir, Guilford.« Er senkte die Stimme. »Ich will nicht, dass meine Nichte Witwe wird.«
Die Küchentür ging auf, und Caroline kam ins Zimmer. Sie sah Guilford ernst an, das schöne Haar ein bisschen verrutscht, dann drehte sie die Gaslampen auf, eine um die andere, bis das Zimmer in Licht gebadet war.
Elias Vale kam sich kastriert vor. So war ihm immer zumute, wenn er auf dem Landsitz von Mrs. Sanders-Moss weilte. Von den Frauen wurde er gehätschelt; für die Männer war er ein Eunuche.
Nicht sehr schmeichelhaft, überlegte er, aber wohl nicht anders zu erwarten. Er betrat das Haus als Eunuche, weil ihm anders kein Zutritt gewährt wurde. Über kurz oder lang würden ihm die Türen offenstehen. Wenn ihm danach war, würde er den Palast im Sturm nehmen. Der Harem würde ihm gehören und die Prinzen würden um seine Gunst buhlen.
Die Soiree heute Abend feierte irgendein Ereignis, das er schon wieder vergessen hatte: irgendeinen Geburtstag, einen Jahrestag. Da er keinen Toast ausbringen musste, war es egal. Was zählte, war die Tatsache, dass ihn Mrs. Sanders-Moss wieder einmal eingeladen hatte, einen ihrer Anlässe zu schmücken; und dass sie sich darauf verließ, in ihm einen annehmbar exzentrischen, charmanten aber taktvollen Mann gefunden zu haben, der sich weder betrank, noch zudringlich wurde oder gar die Einflussreichen wie seinesgleichen behandelte.
Zum Dinner nahm er Platz, wo man ihn hindirigierte, und unterhielt die Tochter eines Kongressabgeordneten und einen frischgebackenen Verwaltungsbeamten des Smithsonian-Instituts [19] Institut zur Förderung der Wissenschaften in Washington.
mit Geschichten über Tischerücken und Geistererscheinungen, alle wohlweislich aus zweiter Hand und ziemlich schräg. Spiritismus war Ketzerei in diesen neo-frommen Tagen, aber eben nur amerikanische Ketzerei, verzeihlicher als beispielsweise der Katholizismus mit seinen lateinischen Messen und abhanden gekommenen europäischen Päpsten. Und als er seine Schuldigkeit als Kuriosum getan hatte, lächelte er bloß noch und lauschte der Konversation, die ihn umspülte wie der Fluss den Stein.
Vor allem anfangs war es ihm nicht leicht gefallen, angesichts von so viel Luxus Haltung zu bewahren. Nicht dass ihm Luxus völlig fremd gewesen wäre. Er stammte aus einem wohlsituierten Haus in New England — von dem er sich wie ein rebellischer Engel losgesagt hatte. Er wusste eine normale Gabel von einer Kuchengabel zu unterscheiden. Aber seither hatte er unter vielen Brücken geschlafen und dieses Ambiente überstieg alles, was er je zu Gesicht bekommen hatte. Elektrisches Licht und Domestiken; Rindfleisch, in papierdünne Scheiben geschnitten; Hammelfleisch mit Minzsoße.
Olivia bediente, eine hübsche und scheue Negerin, deren Häubchen grundsätzlich schief saß. Vale hatte Mrs. Sanders-Moss gedrängt, das Mädchen nach dem Wiederauffinden des Taufkleidchens nicht zu bestrafen, womit er einmal seine Herzensgüte bewies und sich zum anderen bei dem Mädchen einschmeichelte, was nicht schaden konnte. Doch Olivia ging ihm beharrlich aus dem Weg; sie schien ihn für einen bösen Geist zu halten. Was nicht ganz falsch war, auch wenn Vale das Adjektiv so nicht stehen lassen würde. Die Ärmste ahnte ja nicht, wie viele Dimensionen das Universum hatte.
Sie servierte den Nachtisch. Das Tischgespräch wandte sich der Finch-Expedition zu, die England erreicht hatte und sich anschickte, über den Ärmelkanal zu setzen. Für die Tochter des Kongressabgeordneten, die links von Vale saß, war es ein kühnes und interessantes Unterfangen. Der junge Verwaltungsbeamte (sagen wir) für die Erforschung der Mollusken fand, der Kontinent sei bestimmt nicht so gefährlich wie England.
Die Tochter des Kongressabgeordneten war da anderer Meinung. »Eigentlich ist es ja Europa, wovor sie Angst haben sollten.« Sie runzelte artig die Stirn. »Alles, was da kreucht und fleucht, soll hässlich sein, das meiste sogar tödlich.«
»Nicht so tödlich wie Menschen.« Der junge Beamte rechts von Vale gab sich zynisch. Vielleicht weil er reifer erscheinen wollte.
»Sei nicht anstößig, Richard.«
»Und selten so hässlich.«
»Sie sind mutig.«
»Sehr mutig, aber ich an ihrer Stelle hätte mehr Angst vor den Partisanen. Oder vor den Engländern.«
»Dazu war kein Anlass.«
»Noch nicht. Aber die Engländer sind nicht gut zu sprechen auf uns. Immerhin beliefert Kitchener die Partisanen mit Lebensmitteln.«
»Das ist ein Gerücht, und Sie sollten es nicht wiederkäuen.«
»Sie gefährden unsere Europapolitik.«
»Wir sprachen doch über die Finch-Expedition, nicht über die Engländer.«
»Preston Finch kann einen Fluss benutzen, aber es werden mehr Leute durch Kugeln sterben als durch Stromschnellen. Oder Monster.«
»Sag nicht Monster, Richard.«
»Strafen Gottes.«
»Nur schon der Gedanke lässt mich schaudern. Partisanen sind wenigstens Menschen.«
»Liebes Mädel. Ich nehme an, Dr. Vale wäre arbeitslos, wenn Frauen nicht dazu neigen würden, alles zu romantisieren. Hab ich Recht?«
Vale setzte sein bestes und öligstes Lächeln auf.
»Frauen fällt es leichter, die Unendlichkeit zu sehen. Vielleicht sind sie unerschrockener.«
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