Kostja näherte sich vorsichtig dem großen Tier, das auf den Namen Grau hörte und ihm wohlerzogen die Tatze hinhielt. Der Junge drückte sie ein wenig ängstlich, kam sich zugleich aber vor wie im siebenten Himmel. Wem unter seinesgleichen war es schon vergönnt, die Bekanntschaft eines richtigen Höhlenlöwen zu machen!
Kostja war so begeistert, daß er ganz seine Freunde im Elming vergaß, die gewiß schon am vereinbarten Treffpunkt auf ihn warteten. Als sie ihm endlich wieder einfielen, bot er an, sie seinen neuen Bekannten vorzustellen. Der Löwe und die Jungen aus Atlantis stimmten erfreut zu. Es war immer eine angenehme Abwechslung, wenn jemand Neues im Elming auftauchte.
EIN GLÜCKLICHER ZUFALL
Viktor Stepanowitsch und Kusmitsch waren inzwischen ebenfalls auf interessante Dinge gestoßen. Sie waren gemeinsam auf Erkundung gegangen, denn auf diese Art hatten sie bei ihren geologischen Expeditionen schon viele Jahre die Taiga durchstreift. Es war ihnen längst zur Gewohnheit geworden, wie Alpinisten am Seil beieinanderzubleiben. Sie liefen im »Gänsemarsch« – Kusmitsch voran, der Geologe in seiner Spur – um Kräfte zu sparen.
Das gewaltige Durcheinander im Elming erinnerte sie an die unwegsamen Wälder Sibiriens, nur daß die Hindernisse diesmal in Gestalt gewaltiger Steinbrocken, Erdaufschüttungen und mit Wasserpflanzen vermengtem Schlick auftraten. Eine große ovale Steinplatte mit eigentümlichen Inschriften weckte das Interesse des Geologen. Er blieb stehen, versuchte zu entziffern, was darauf geschrieben stand, konnte jedoch nichts herausfinden und setzte seinen Weg in Begleitung Kusmitschs fort.
Die beiden Männer wollten schon kehrtmachen, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch einen seltsamen Lichtschein am Himmel gefesselt wurde. Zunächst erinnerte dieses Leuchten an einen großen Stern – doch was konnte es mitten am Tage für Sterne geben! Dann wurde der helle Punkt größer und bekam Ähnlichkeit mit einem Kometen; man sah deutlich Kopf und Schweif. Erst ganz zum Schluß kam ihnen die Erkenntnis, daß dieses fliegende Etwas… ein Mensch war! Genauso mußten sie selber ausgesehen haben, als sie durch den Synchrotunnel zur Irena gelangten.
Die Leuchtfackel kam immer näher, und nun waren die Umrisse einer menschlichen Gestalt deutlich auszumachen. Kurz darauf landete sie ziemlich plump direkt vor ihrer Nase. Es gab nun keinen Zweifel, daß der Neuankömmling von der Erde stammte! Ein nicht mehr ganz junger Mann, der Seemannskleidung trug.
»Bei allen Klippen und Sandbänken, diesmal bin ich nun wirklich ertrunken!« rief der Seemann. Es klang allerdings mehr erstaunt als so bedauernd, wie man das von jemandem erwarten könnte, dem gerade ein solches Unglück widerfahren war. »Ich wette um tausend Teufel, daß ich auf direktem Kurs in die Hölle gefahren bin! Denn ich bin ein eingefleischter Sünder! Selbst die Aussicht, später auf ewig und für alle Zeit im Feuer zu schmoren, konnte mich nicht davon abhalten, immer mal ein Gläschen Gin zu kippen und mir ein Pfeifchen anzuzünden… Na, wie’s aussieht, hab ich das Fegefeuer bereits hinter mir, hab schließlich nicht von ungefähr geleuchtet wie eine Teerfackel in einer Südseenacht…
He, Jungs!« er hatte die beiden Männer gesichtet, die ihn erstaunt musterten. »Wer ist denn hier der Letzte in der Schlange vor dem Bratrost? Obwohl mich nicht mal Beelzebub persönlich je hat einschüchtern können, bin ich doch gut genug erzogen, um mich nicht vorzudrängein! Eile ist nur geboten, wenn ein Sturm aufzieht und die Segel gerafft werden müssen!«
Der Fremde humpelte auf Viktor Stepanowitsch und seinen Begleiter zu und stellte sich vor:
»Kapitän der amerikanischen Handelsflotte Charlie Black in höchsteigener Person!«
Dann bedachte er die beiden mit einem flüchtigen Blick und fügte hinzu:
»Bei meinem Holzbein, mein scharfes Seemannsauge trügt mich nicht, ihr seid Prachtkerle! Es wird mir ein Vergnügen sein, gemeinsam mit euch hier zu schmoren! Was für ein glücklicher Zufall!«
Mit diesen Worten stellte sich Charlie Black neben sie, als wollte er sich tatsächlich in die Schlange zur Hölle einreihen.
Kusmitsch und Viktor Stepanowitsch, die ihre Verblüffung über diesen hartgesottenen »Ertrunkenen« überwunden hatten, brachen in schallendes Gelächter aus. Der Seemann starrte sie zunächst verständnislos an, mußte dann aber selber lächeln und stimmte schließlich in ihr Lachen ein. Als sie sich nach einer Weile beruhigt hatten, sagte er befriedigt:
»Es freut mich, daß ich euch richtig eingeschätzt habe. So in der Hölle lachen können nur echte Sünder wie ich. Zum Teufel mit dem Paradies!«
Der Geologe betrachtete diesen energischen, offenbar unverwüstlichen Gesellen mit sichtlicher Sympathie. Er konnte nicht wissen, daß Charlie mit dem Scheuch und anderen Gestalten aus dem Zauberland bereits vor Jahren gegen alle möglichen Gefahren gekämpft hatte. Der Seemann, breitschultrig und sehnig, mit braunem, windgegerbtem Gesicht und kühnen grauen Augen, erinnerte an den Silvester aus Stevensons »Schatzinsel«, nur daß der Papagei mit seinem berühmten »Piaster, Piaster!« auf seiner Schulter fehlte.
Charlie ließ seinen Blick neugierig in die Runde schweifen und sagte dröhnend:
»Bei allen Schildkröten der Kuru-Kusu-Inseln! Hol’s der Teufel, aber ich kann nirgends die Kessel mit kochendem Schwefel entdecken! Sind sie inzwischen etwa veraltet, so daß Luzifer sich etwas Effektiveres hat einfallen lassen?!«
Viktor Stepanowitsch beeilte sich, den Irrtum aufzuklären:
»Nur mit der Ruhe, mein Freund, man wird Sie hier weder auf dem Rost grillen noch in einem Kessel mit kochendem Schwefel schmoren lassen. Sie sind nicht in der Hölle!«
»Die Erde soll mich verschlingen, dann bin ich also doch ins Paradies gekommen?!« rief Charlie bestürzt aus. »Aber ganz ehrlich, darauf bin ich gar nicht vorbereitet. Ich kann weder Harfe spielen noch irgendwelche Psalmen singen. Außerdem erwarten mich meine Kumpel von einst bestimmt woanders!«
»Es ist auch nicht das Paradies«, beschwichtigte ihn Viktor Stepanowitsch. »Das hier ist einfach ein anderer Planet aus einer anderen Welt. Wenn Sie schon einen Vergleich zum Jenseits ziehen wollen, dann sind Sie so etwas wie ein Geist oder Gespenst geworden, falls Ihnen das recht ist.«
»Na meinetwegen, dann bin ich eben ein Gespenst«, willigte Charlie Black friedfertig ein, »das ist noch nicht die schlimmste Variante. Wenigstens bleib ich mein eigener Herr: Ich sing mein Lied, so oft ich will, heul mal als Wolf, mal bin ich still.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis Viktor Stepanowitsch dem Seemann erklärt hatte, wohin er in diesem Fall geraten war, doch am Ende zeigte Charlie Black sich befriedigt und freute sich sogar ein bißchen.
»Na, wer sagt’s denn«, rief er, »da bin ich also gar nicht gestorben! Bei meinem Holzbein, was für ein glücklicher Zufall! Nicht von ungefähr heißt es ja: Wem beschieden ist, gehängt zu werden, der kann nicht ertrinken. Wenn es denn so ist, geht die Sache klar. Schließlich hab ich es geschafft, mit den Menschenfressern von Kuru-Kusu ins Einvernehmen zu kommen, da werd ich mit den hiesigen Leuten wohl erst recht eine gemeinsame Sprache finden. Ich denke, nicht alle Bewohner dieses Planeten sind uns so feindlich gesonnen wie die Massaren, von denen ihr gesprochen habt. – Ach, ich alter Räucherhering«, rief er plötzlich und klopfte sich begeistert ans Holzbein. »Da werd ich ja irgendwann meine Nichten Elli und Ann wiedersehen! Und meinen Großneffen Chris Tall aus Kansas in Amerika. Allerdings muß ich dem Lausebengel gehörig die Leviten lesen! Der hat sich nämlich auch auf so ein Abenteuer eingelassen. Ist durch irgendeinen Tunnel auf den Planeten Rameria gelangt. Zu den Arsaken und Menviten, die anfangs genauso zerstritten waren wie die Massaren und Vitanten hier. Na, inzwischen sind sie längst Freunde. Die Welt ist eben so eingerichtet, überall gibt es gute und schlechte Menschen!«
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