Erster Teil:
Arachnas Rückkehr
DER TIGER IN NÖTEN
Der Säbelzahntiger Achr trottete ziellos dahin. Einst Anführer eines ganzen Rudels gefährlicher Raubtiere, hatte er sich schon als Herrscher über das Volk der Käuer gesehen. Dann aber war er vom Höhlenlöwen Grau zweimal hintereinander überlistet und besiegt worden. Von diesem Fremdling, der Gott weiß woher gekommen war und sich im Zauberland auf die Seite des Tapferen Löwen geschlagen hatte!
Die Erinnerung an diese Schmach bedrückte den Säbelzahntiger sehr, das war ihm deutlich anzusehen. Seine sonst so runden Backen hingen schlaff herab, verdeckten fast völlig die langen spitzen Hauer, und die traurig gesenkten Barthaare erinnerten an einen alten Staubwedel.
Andererseits war aber auch zu erkennen, daß Achr schon im nächsten Augenblick vor Zorn zu explodieren drohte. Man brauchte nur seinen Schwanz zu betrachten, der wild von einer Seite zur anderen ausschlug, so als wollte das Tier mit der Quaste seine Spuren verwischen.
Doch seine Gegner hielten ihn offenbar nicht einmal einer Verfolgung für würdig. Niemand weit und breit, der sich ihm an die Fersen geheftet hätte! Der Höhlenlöwe Grau war mit dem Tapferen Löwen und den fünf Säbelzahntigern, dem ehemaligen Rudel Achrs, auf dem Weg in die Große Wüste, wo die besten Handwerker des Zauberlandes und die Außerirdischen vom Planeten Rameria den Katamaran »Arsak« bauten.
Mit diesem Katamaran sollte die Suche nach dem Seemann Charlie Black aufgenommen werden, der irgendwo im Golf von Mexiko Schiffbruch erlitten hatte.
Doch Achr gehörte keineswegs zu denen, die beim ersten Rückschlag aufgaben oder mit dem vorliebnahmen, was ihnen irgendwelche dahergelaufenen Löwen großmütig überließen! Er schmiedete Rachepläne gegen seine Erzfeinde und gegen die ungetreuen Tiger, die ihn verraten hatten.
Freilich waren das für einen allein, ja sogar für einen wie ihn, ziemlich viele Gegner. Ich muß mir Verbündete suchen, sagte sich Achr.
Andererseits – was für Gleichgesinnte gab es denn im Zauberland noch. Die Sechsfüßer, früher ungebärdig und gefürchtet, waren längst zahm geworden, und der Drache Oicho völlig harmlos. Er hielt außerdem Freundschaft mit dem Scheuch, dieser lächerlichen Strohpuppe, und mit dem inzwischen fast ganz eingerosteten Eisernen Holzfäller.
Der Säbelzahntiger lief dahin, hing seinen düsteren Gedanken nach und bemerkte nicht, daß er plötzlich an jener Fallgrube angelangt war, zu der er seinerzeit den Höhlenlöwen gelockt hatte. Er konnte nicht mehr anhalten und stürzte selber hinein.
Im Grunde hätte Achr dem Löwen dankbar sein müssen, denn Grau hatte bei seinem Sturz damals ein Loch in die Grubenwand geschlagen, durch das man entkommen konnte. Dahinter lag ein uralter unterirdischer Gang. Der Tiger allein hätte es nie geschafft, sich aus dieser Falle zu befreien, er war zu schwach.
Achr entdeckte die Öffnung und schlüpfte hindurch. Bald darauf stieß er auf Graus Spuren. Sie führten nach rechts, und er folgte ihnen in der Annahme, am Gelben Backsteinweg herauszukommen, wo die Begegnung mit dem Löwen stattgefunden hatte. Doch das sollte sich als Irrtum erweisen. Grau hatte sich nur anfangs rechts gehalten, dann jedoch die Richtung gewechselt. Er wollte den Käuern zu Hilfe eilen und hatte die Säbelzahntiger zu Recht in ihrer Nähe vermutet.
Überzeugt, den richtigen Weg zu nehmen, achtete der Tiger bald nicht mehr auf die Spuren. Er trabte den Gang entlang, der immer tiefer ins Erdinnere führte.
Das beunruhigte den Tiger zunächst nicht besonders. Nur Durst bekam er langsam, und auch gegen eine kleine Mahlzeit hätte er nichts einzuwenden gehabt. Erst als die Staubschicht unter seinen Pfoten dicker wurde, bemerkte er, daß es keinerlei Spuren mehr gab. Er verlangsamte seinen Lauf.
»Bin ich etwa doch in die falsche Richtung gerannt?« schimpfte Achr. »Da hat mich dieser hinterhältige Löwe also erneut genarrt! Na warte, Grau, das zahl ich dir heim!«
Achr blieb stehen und wollte schon kehrtmachen, doch sein Lauf hatte mehr Staub aufgewirbelt, als ihm lieb sein konnte; die Wolke benahm ihm fast den Atem. Er fauchte wütend und zog sich etwas zurück. Da würde er wohl warten müssen, bis die Luft hier unten wieder einigermaßen klar war.
Er legte sich hin, um einige Augenblicke auszuruhn. Doch daran war nicht zu denken. Die Staubschwaden glitten unaufhaltsam auf ihn zu, so daß er schnaufend und spuckend noch weiter zurückwich. Der Boden wurde immer abschüssiger, und so vorsichtig er auch vorankroch, um nicht noch mehr Schmutz aufzuwirbeln – die Wolke folgte ihm.
Nachdem er wütend, aber natürlich vergebens seinen Widersacher Grau an die eigene Stelle gewünscht hatte, setzte er sogar zu einigen Sprüngen an, um endlich wieder atmen zu können. Das allerdings endete mit einem neuen Reinfall. Beim dritten oder vierten Satz nämlich prallte er in der Dunkelheit unvermutet und voller Wucht gegen eine Felswand.
Achr setzte sich erschrocken auf seine Hinterbacken, sah unzählige Sterne kreisen. Um wieder zur Besinnung zu kommen und zu überprüfen, ob er sich etwas verstaucht oder gar gebrochen hätte, bewegte er mehrmals den Kopf hin und her. Zum Glück schien noch alles in Ordnung zu sein. Nur daß er jetzt wohl endgültig in der Falle saß: von hinten kam der Staub immer näher, vorn aber waren die Felsen.
Achr lief gehetzt umher, in der verzweifelten Hoffnung, ein Schlupfloch zu finden. Doch seitlich und vorn gab es nichts als undurchdringliches Gestein. So lang der unterirdische Gang auch war, hier schien er plötzlich zu enden.
Wozu dann aber ein so ausgedehnter, vielleicht gar nicht zufällig entstandener Tunnel? Ob es an dieser Stelle einen Durchgang gegeben hatte, der später zugemauert worden war? Möglicherweise um ungebetene Gäste abzuhalten?
Achr machte sich hastig daran, die Wand vor ihm genauer zu untersuchen. Vielleicht entdeckte er einen Riß, einen Spalt, den er verbreitern konnte. Warum sollte es ihm nicht gelingen, sich hindurchzuzwängen und auf der anderen Seite ans Tageslicht zu gelangen. Der Höhlenlöwe hatte das schließlich auch geschafft.
Doch bei dieser Arbeit wirbelte er nur neuen Schmutz auf, und auch die Schwaden hinter ihm holten ihn wieder ein. Schon waren Nase und Maul voller Staub.
Verzweifelt schlug Achr mit den Tatzen und seinen mächtigen Säbelzähnen auf die steinerne Wand ein. Wider Erwarten gelang es ihm nach und nach, in einem breiten Streifen Splitter und ganze Brocken herauszulösen. Ein Spalt öffnete sich, und unvermittelt wurde es heller in der Höhle. Ein kaltes milchiges Licht drang zu ihm herein.
Von seinem Erfolg beflügelt, arbeitete der Tiger emsig weiter. Hinter dem Spalt befand sich eine Art durchsichtiger Barriere. Achr klopfte ein großes Stück davon frei – das Ganze schien so etwas wie eine Mauer zu sein, die sich im Laufe von Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden mit einer dicken Schicht von Kalk und Schmutz bedeckt hatte. Sie bestand nicht aus Steinen, sondern aus einem glasähnlichen unzerbrechlichen Material, das seinen Schlägen standhielt. Die Wand klirrte und dröhnte unter den wuchtigen Hieben, trug aber nicht den kleinsten Kratzer davon. Im Gegenteil, als Achr nicht nachließ, sie immer heftiger zu attackieren, brach er sich die Spitze eines seiner prachtvollen Säbelzähne ab. Da endlich gab er seine sinnlosen Bemühungen auf und setzte sich erschöpft auf den Boden.
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