Drittens. Wie dem auch sei, wenn es den Erdenmenschen gelingt, auf ihren Planeten zurückzukehren, werden sie ihr Wissen über die Tunnel zwischen der Irena und der Erde, über unsere Stützpunkte dort und die gesamte Technik an ihre Landsleute weitergeben. Unsere Pläne zur Unterwerfung dieses Planeten wären dann aufs höchste gefährdet, ja vielleicht zunichte gemacht.
Einzige Möglichkeit: Wir müssen die Erdenbewohner mit allen Mitteln daran hindern, unseren Planeten zu verlassen. Wir müssen sie einfangen, ihnen ihre menschliche Gestalt wiedergeben, damit sie uns nicht mehr narren können, und sie schließlich in Irener verwandeln.«
Er wandte sich an Vik und Al:
»Um wieviel Elme handelt es sich?«
Die beiden Massaren erklärten, daß es zur Zeit vier Erdenbewohner im Elmenland gäbe: einen großen hageren Mann mittleren Alters, der offenbar Wissenschaftler sei, einen schweigsamen Alten mit Bart, der ihm nicht von der Seite weiche, einen Jungen von etwa zwölf Jahren und einen Kraken.
»Das wären dann schon alle«, schloß Vik munter.
»Und es gibt keine besonderen Vorfälle mit ihnen?« vergewisserte sich Or. Dabei bedachte er die beiden Späher mit einem schnellen, stechenden Blick.
»Nein, Chef!« entgegnete Al. »Höchstens unwesentliche Dinge. Nicht der Rede wert.« Er war sehr darauf bedacht, nichts vom Verschwinden Kostjas aus dem Elmenland zu berichten, denn es wäre die Aufgabe der beiden gewesen, das zu verhindern.
»In dieser Angelegenheit gibt es keine unwesentlichen Dinge!« erwiderte Or barsch, verzichtete aber auf weitere Fragen.
Stattdessen legte er eine bedeutsame Pause ein, um die Anwesenden zu noch größerer Aufmerksamkeit zu zwingen, und fuhr fort:
»Deshalb gebe ich jetzt meinen Plan für die Operation ›Elming‹, abgekürzt ›E‹, bekannt. Er sieht vor, daß Vik und Al sich in Elmengestalt zum Tunneleingang begeben und dort jeden Winkel mit dem Ziel durchstöbern, eventuelle Doppelgänger der genannten Erdenbewohner aufzuspüren. Den Kraken könnt ihr ungeschoren lassen, er stellt keine Gefahr für uns dar! Solltet ihr auf die beiden Jungen von der Insel Atlantis treffen, bemüht euch, sie zum Mitsuchen zu bewegen. Versprecht ihnen, sie auf die Erde zurückzubringen, was sie allein ja nicht schaffen können, weil der Synchrotunnel zu ihrem Eiland zerstört ist. Das gleiche gilt für den Löwen, von dem ich allerdings noch immer nicht weiß, wie er zu uns gelangen konnte.«
Or unterbrach sich unvermittelt, um über den Lautsprecher, so daß alle im Zentrum mithören konnten, den Sachbearbeiter zu beschimpfen, der für diese Angelegenheit zuständig war. Dann erklärte er:
»Um den elektrischen Schutzschild nicht abschalten zu müssen, werdet ihr unseren Geheimgang benutzen. Sobald ihr da seid, nehmt ihr Verbindung zu Nel und Din auf.« Und an diese gewandt: »Nun aber zu eurer Aufgabe. Ihr versteckt euch mit der Elmenfalle in der Nähe des abgesperrten Gebietes. Wenn Vik und Al Signal geben, lassen wir die Elme durch, ihr schnappt sie und bringt sie hierher ins Zentrum. Alles weitere geschieht dann bei uns. Zu eurer Unterstützung werden übrigens noch zusätzlich Posten aufgestellt. Den Befehl dazu habe ich bereits gegeben.«
»Noch eine Frage, Chef«, sagte Al bereits im Aufstehen. »Und wenn sie nun schon getürmt sind?«
»Wie denn das?!« brauste Or auf. »Ihr habt das Elmenland erst vor einer halben Stunde verlassen, und da waren die Elme doch noch alle beisammen. Oder etwa nicht?« Er sah die beiden lauernd an.
»Aber ja, natürlich, Chef!« beeilte sich Al zu versichern. »Trotzdem kann in einer halben Stunde viel passieren.«


»Vielleicht hast du recht«, sagte Or etwas besänftigt. »Dennoch müssen wir die Operation ›E‹ wie geplant durchführen. Auch wenn es teuer wird und mich den Kopf kostet, falls sie mißlingt.«
Vik konnte sich ein schadenfrohes Grienen nicht verkneifen.
»Freu dich nicht zu früh!« blaffte der Chef. »Bevor es meinen Kopf kostet, wird es euch an den Kragen gehen, das verspreche ich euch. Also seht zu, daß ihr niemanden entwischen laßt! Und jetzt ans Werk, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
Die Operation »E« nahm ihren Anfang.
Eine Stunde später hatten alle Posten Stellung bezogen, verbargen sich im Dickicht, das rund um den Elming kräftig gedieh. Nicht weit von ihnen saßen in einem Amphibienfahrzeug, der besagten Elmenfalle, Nel und Din auf der Lauer.
Vik und Al aber befanden sich schon mitten im Zentrum des Elmings. Sie hatten ein schlechtes Gewissen, weil sie die Flucht Kostjas aus dem Elmenland verschwiegen hatten. Und nicht nur das, auch das Mädchen Viola war ja entkommen.
Hätten sie das zugegeben, wäre es ihnen übel bekommen. Man sah schließlich, daß mit dem Chef nicht gut Kirschen essen war.
Im Schutz des herumliegenden Gerümpels hielten die beiden aufmerksam Ausschau. Niemand zu sehen! Lautlos wie die Eidechsen krochen sie dahin, suchten das Gebiet systematisch ab. Vielleicht trafen sie auf die Atlanter oder den Höhlenlöwen. Auf eine Begegnung mit dem Löwen waren sie allerdings gar nicht erpicht – konnte man denn wissen, was so einem Riesenvieh in den Sinn kam?!
Als Vik und Al ein Stück vorangekommen waren, entdeckten sie auf einmal am Rand des Elmings die ganze Gruppe. Der Löwe wirkte noch größer, als sie ihn sich vorgestellt hatten.
»Ein Glück, daß wir dem nicht schon vorhin begegnet sind«, flüsterte Vik. Aber dann stutzte er. »Moment mal… wer ist denn das? Ich kann ihn nicht richtig erkennen, der Krake ist dazwischen.«
»Sag bloß, das ist der Bengel!« Al zeigte sich freudig überrascht. Er kroch hastig über einige Steine hinweg, um Kostja besser sehen zu können. Gleich darauf aber zischte er:
»Das ist ja die reinste Hexerei, nun versteh ich gar nichts mehr! Dieser Mann ist uns im Elmenland nie über den Weg gelaufen. Entweder hat sich der Junge in einen alten Kerl in Matrosenkluft verwandelt, oder der Seemann hat sich erst eingefunden, nachdem wir dort weg waren. Doch wo ist dann der Junge? Der Chef reißt uns für diese Geschichte tatsächlich den Kopf ab!«
»Hör zu, Al«, flüsterte Vik. »Da wir die Sache vorhin verschwiegen haben, sollten wir dabei bleiben. Wer will uns nachweisen, daß der Kerl nicht Kostja ist? Wir liefern alle vollzählig ab, und basta.«
Al war einverstanden. »Wir können’s ja versuchen. Zumal wir nichts riskieren. Wir haben eben die geschnappt, die wir aufspüren konnten. Ich glaube auch nicht, daß der Bengel diesen Zirkus im Zentrum veranstaltet hat. Da schon eher der Hagere dort, der Wissenschaftler. Und von unseren Stützpunkten weiß Kostja nur das, was Viola ihm erzählt hat. Außerdem wird ihm niemand auf der Erde nur das geringste glauben. Sie werden denken, er spinnt.«

Vik holte sein Sprechfunkgerät hervor, mit dem er Verbindung zu Nel halten sollte, und flüsterte kaum hörbar:
»Drei Elme von der Erde gesichtet, dazu zwei Atlanter, einen Kraken und einen Löwen! Die Gruppe ist komplett. Erbitte weitere Anweisungen! Over!«
Ihr Chef, der sowohl mit Vik als auch mit Nel in Verbindung stand, rieb sich zufrieden die Hände: Wenn das kein Erfolg war! Diese Erdenbewohner waren wirklich gewitzt, sie hatten den einzigen Augenblick genutzt, wo der Schutzschild nicht funktionierte, um in den Elming zu schlüpfen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären endgültig entwischt. Was nur hatte sie davon abgehalten, auf die Erde zurückzukehren?
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