Doch wer ihn genau kannte, hätte bemerkt, daß er etwas im Schilde führte.
Und wirklich hatte Ol sich einen Plan zurechtgelegt, um den Erdenbewohnern zu helfen. Er wollte nämlich ganz einfach eine Stunde zurück in die Vergangenheit fliegen, um seine Freunde zu erreichen, bevor sie in die Falle gingen. Dann würde er ihnen sagen, sie sollten sich schleunigst mit ihrem Doppelgänger im Elmenland vereinigen, damit sie wieder zu ihrem Planeten könnten. Die Atlantisjungen sollten selbst entscheiden, ob sie im Elming blieben oder mit den anderen mitkamen. War nur die Frage, wie er mit dem Löwen verfahren sollte. Aber das konnten sie ja noch an Ort und Stelle festlegen.
Ol winkte dem Chef kurz zu und verließ eilig das Zimmer.
Seine Rechnung ging auf – er erreichte den Elming gerade noch rechtzeitig. Der Krake Prim, der seine Gefährten vor der Elmenfalle schützen wollte, hatte sich schon völlig verausgabt. Ol schlüpfte, in einen Elm verwandelt, blitzschnell in das Amphibienfahrzeug und schaltete kurzerhand die Apparatur ab.
Während Nel und Din fieberhaft nach dem Schaden suchten, erklärte Ol seinen Freunden, was es mit Kostjas Verschwinden auf sich hatte.
»Ihr könnt ganz beruhigt sein«, sagte er, »Kostja droht keinerlei Gefahr. Höchstens daß sein Großvater Grigori ihn zur Strafe für sein Wegbleiben ein, zwei Stunden in den dunklen Schuppen sperrt. Das aber dürfte für ihn nach allem, was passiert ist, das reinste Zuckerlecken sein.«
Die Jungen aus Atlantis waren nicht allzu betrübt, als sie erfuhren, daß sie Abschied vom Elming nehmen sollten. Umso mehr, als Ol ihnen versprach, sie mit auf seinen Erdenstützpunkt zu nehmen. Da sie sich noch sehr gut an ihre Heimat erinnerten, konnten sie ihm viel Interessantes über die Insel erzählen. Dem Geologen Viktor Stepanowitsch aber mußten sie versprechen, die Geheimnisse der Atlantisschrift zu lüften.
»Ich glaube, daß unsere Begegnung der Beginn einer langen Freundschaft ist«, sagte Ol ein wenig feierlich. »Bestimmt werden wir uns auf der Erde oder auf der Irena wiedersehen. Sollten die Massaren aber etwas Böses gegen die Menschen im Schilde führen, so erfahrt ihr es umgehend von uns. Falls wir Vitanten nicht allein mit ihnen fertig werden, kämpfen wir gemeinsam.« Und er fügte scherzhaft hinzu: »Außerdem haben wir ja noch Kostja und Viola. Die beiden schaffen auf unseren Planeten im Handumdrehn Ordnung.«
Als Ol dann im Begriff war, sich von jedem einzelnen zu verabschieden, fiel ihm noch der Höhlenlöwe ein. Sollte der arme Kerl wirklich den Rest seines Lebens allein hier verbringen?!
Die Lösung kam überraschenderweise von Charlie Black. Der Seemann hatte schon lange ein Auge auf dieses Prachtexemplar geworfen und schlug deshalb vor:
»Im Zauberland in Kansas gibt es Artgenossen von ihm – den Tapferen Löwen und die Säbelzahntiger. Vielleicht sollten wir ihn einfach dorthin mitnehmen?«
»Ich hab auch schon daran gedacht«, erwiderte Ol, »doch wie sollen wir ihn zur Erde befördern? Der Synchrotunnel nimmt ihn nicht an.«
Charlie überlegte eine Weile und sagte plötzlich:
»Die Tiere im Zauberland stammen alle vom Planeten Rameria. Ich habe euch ja von Kau-Ruck und Ilsor erzählt, die meinem Enkel Chris Tall geholfen haben, als er dorthin geraten war. Der Zauberer Hurrikap hat die Säbelzahntiger, die Fliegenden Affen und Riesenadler vor vielen tausend Jahren auf die Erde gebracht. Vielleicht kommt auch Grau von der Rameria?«
»Das könnte durchaus sein!« Ol, der als Synchronaut diesen Planeten natürlich kannte, begriff sofort, daß nun auch die Rückkehr des Löwen gesichert war.
»Da kann Grau ja von Glück reden, daß ich mit meinem Schiff gekentert und hierher gelangt bin«, sagte der Seemann augenzwinkernd. »Sonst hätte er bis zum Sanktnimmerleinstag hier ausharren müssen.«
Alle lachten, und auch der Löwe freute sich. Charlie Black aber sagte zu ihm:
»Doch mal im Ernst, Grau. Bestimmt hat sich in all der Zeit das Klima auf der Rameria verändert, und Freunde wirst du auch keine mehr treffen. Sollte es dir also dort nicht gefallen oder zu langweilig werden, dann wende dich an den Arsaken Ilsor. Er wird dich zur Erde ins Zauberland bringen. Der Tapfere Löwe, von dem wir gerade sprachen, beklagt sich schon seit langem, daß er alt wird und keinen Nachfolger für sich findet, um die Säbelzahntiger in die Schranken zu weisen. Mit denen hat er nämlich ständig ein Hühnchen zu rupfen. Schon als meine Nichte Elli mit ihm zum Zauberer Goodwin in die Smaragdenstadt aufbrach, mußten sie diese dreisten Gesellen in die Schranken weisen, bei allen Masten und Segeln der Welt!«
»Ihr dürft keine Zeit mehr verlieren!« drängte Ol. »Sonst kommt es nie zu einer Begegnung Graus mit den Säbelzahntigern! Din und Nel haben die Elmenfalle bald repariert und werden uns allesamt hopp nehmen, auch mich.«
»Ich bin schon weg, mich können die auf der Erde suchen«, Charlie Black lachte. »Dort, wo ich mit meiner Jacht ›Kuru-Kusu‹ auf ein Korallenriff gelaufen bin. Das war bei den Koordinaten X° nördlicher Breite und Y° westlicher Länge. Meine Empfehlung an die Herren Elmenfänger!«
»Vielen Dank für den Tip«, sagte noch schnell der Löwe. »Vielleicht kann ich irgendwann auch dir helfen!«
Doch Charlie war bereits unterwegs. Kaum verhallte sein »Macht’s gut!«, da sauste er schon als Feuerstreifen in Richtung Synchrotunnel.
»Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich nun auch Viktor Stepanowitsch von Ol. »Ich erwarte Sie auf der Erde. Und bringen Sie mir den Code für die Atlantisschrift mit!«
Kusmitsch drückte dem Irener würdevoll die Hand und eilte hinter seinem Gefährten her.
»Moment mal!« rief da Ol plötzlich aufgeregt. »Was hat Charlie eben gesagt – daß er mit seinem Schiff auf ein Korallenriff gelaufen ist?! Aber das bedeutet ja, daß er jetzt genau dorthin zurückkehrt. Das wäre sein Untergang!«
»Bestimmt gibt es dort ein nettes kleines Atoll«, vermutete der Krake Prim. »Ein Seemann ist nicht so dumm, hastig seine Beine unter den Arm zu nehmen, wenn ihn nichts als ein gestrandetes Schiff oder der Meeresgrund erwartet.«
»Ich hoffe, daß ich die Gelegenheit finde, die Koordinaten dieses Riffs ans Zauberland weiterzugeben, damit man Charlie Black zu Hilfe eilt«, erklärte der Löwe und ward gleichfalls nicht mehr gesehen. Er hatte auf einmal große Sehnsucht nach seiner Heimat, der Rameria.
Nun war Ol mit den Atlantern und dem Kraken allein.
In diesem Augenblick aber tauchten auch die Massaren Vik und Al wieder auf. Sie bewegten sich vorsichtig und hielten aufmerksam nach allen Seiten Ausschau.
Ol und die beiden Jungen duckten sich, um nicht entdeckt zu werden, Prim dagegen erhob sich zu seiner vollen Größe, plusterte sich und heftete starr seinen Blick auf sie. Die Massaren blieben zögernd stehen, dann wechselten sie urplötzlich die Richtung. Sie schritten, wie von einem Magneten angezogen, auf das Fahrzeug von Din und Nel zu, die inzwischen die Elmenfalle wieder eingeschaltet hatten.
Auch die beiden Jungen, die nichts dagegen hatten, ihren Körper auf immer zurückzubekommen, bewegten sich nun auf die Elmenfalle zu. Ol dagegen blieb im Einflußbereich des Kraken Prim, so daß er nicht gefangengenommen werden konnte.
»Das war knapp«, sagte er erleichtert, als die Gefahr vorüber war. »Um ein Haar hätten sie noch mich erwischt. Die werden nicht schlecht staunen, wenn sie auf Al und Vik treffen.«
»Ich hab die beiden bloß nach Hause geschickt«, erwiderte Prim und lachte, wie nur Kraken lachen können. »Sollen sie ruhig ein Weilchen herumrätseln, was da passiert ist. Das ist mein Abschiedsgeschenk für sie und gewiß im Sinne von Charlie Black, dem dieser verdammte Hai einen halben Tentakel abgebissen hat. Leb wohl, Ol!«
Mit diesen Worten war als letzter auch der Krake verschwunden. Ol aber war sehr zufrieden, daß alles ein so gutes Ende gefunden hatte.
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