War ihr Gerät ausgeschaltet? Das konnte nicht sein. Sie tippte sich ans Ohr.
Sofort hörte sie Chris sagen: »Wir haben ihn entehrt?«, und dann etwas, das sie nicht verstand. Die Soldaten schubsten Chris in Richtung
Burg. Marek ging neben ihm.
Kate zögerte kurz und folgte ihnen dann.
Castelgard war verlassen, die Läden und Werkstätten geschlossen, und in den leeren Straßen hallten die Schritte. Alle waren beim Turnier, was es Kate viel schwieriger machte, Marek und Chris und den Soldaten zu folgen. Sie mußte weit zurückbleiben und immer warten, bis sie in die nächste Straße einbogen, dann hastete sie ihnen fast im Laufschritt nach, bis sie sie wieder sah und sich erneut hinter einer Ecke verstecken mußte.
Sie wußte, daß ihr Verhalten verdächtig wirkte. Aber es war niemand da, der sie sah. Hoch oben in einem Fenster saß eine alte Frau mit geschlossenen Augen in der Sonne. Aber sie schaute nie nach unten. Vielleicht schlief sie sogar.
Auch die Wiese vor der Burg war verlassen. Die Ritter auf ihren stolzierenden Pferden, die Übungsgefechte, die flatternden Banner, alles war verschwunden. Die Soldaten überquerten die Zugbrücke. Als sie ihnen folgte, hörte sie einen Aufschrei der Menge auf dem Turnierplatz außerhalb der Mauern. Die Wachen drehten sich um und riefen den Soldaten auf der Mauerkrone etwas zu; anscheinend fragten sie, was da unten los war. Die Soldaten hatten den Turnierplatz im Blick, sie riefen etwas herunter. All dies war begleitet von Flüchen, offensichtlich waren Wetten abgeschlossen worden. In dem Durcheinander konnte sie unbemerkt durchs Tor schlüpfen. Sie stand in dem kleinen äußeren Burghof. Pferde waren an einem Pfosten angebunden, aber unbewacht. Im Außenhof waren keine Soldaten zu sehen, alle standen oben auf der Mauerkrone und schauten dem Turnier zu.
Marek und Chris waren nirgends zu entdecken. Da Kate nicht wußte, was sie sonst tun sollte, ging sie zur Tür, die in den Festsaal führte. Auf einer Wendeltreppe links davon hörte sie Schritte. Sie stieg die Treppe hoch, immer im Kreis, aber die Schritte wurden schwächer. Anscheinend waren sie nach unten gegangen, nicht nach oben.
Sie kehrte sofort um. In engen Windungen führte die Treppe nach unten und endete in einem niedrigen, feuchten und modrigen Steinkorridor mit Zellen auf beiden Seiten. Die Türen waren offen, die Zellen alle leer. Irgendwo vor ihr, hinter einer Biegung des Gangs, hallten Stimmen, Metall klirrte.
Sie bewegte sich vorsichtig weiter. Mit Hilfe ihrer Erinnerung an die
Ruine, die sie vor wenigen Wochen so sorgfältig erforscht hatte,
versuchte sie, im Geiste diesen Burgteil zu rekonstruieren. Aber an diesen Gang konnte sie sich nicht erinnern. Vielleicht war er schon
Jahrhunderte zuvor eingestürzt.
Wieder metallisches Klirren und hallendes Gelächter.
Dann Schritte.
Sie brauchte einen Augenblick, bis sie merkte, daß sie auf sie zu kamen. Marek ließ sich auf das durchweichte, glitschige und faulig stinkende Stroh fallen. Chris rutschte auf dem Matsch aus und stolperte neben ihn. Die Zellentür wurde zugeworfen. Sie befanden sich am Ende eines Gangs mit Zellen auf allen drei Seiten. Durch die Gitterstangen sah Marek, wie die Wachen lachend davongingen. Einer sagte: »He, Paolo, was glaubst du, wo du hingehst? Du bleibst hier und bewachst sie.« »Warum? Die können doch hier nicht raus. Ich will das Turnier sehen.« »Es ist deine Wache. Und Lord Oliver will, daß sie bewacht werden.« Proteste und Flüche waren zu hören. Dann wieder Gelächter und sich entfernende Schritte. Der stämmigere der Wachen kam zurück, starrte sie durch die Gitterstäbe an und fluchte. Er wirkte nicht sehr glücklich -sie waren schuld daran, daß er das Turnier verpaßte. Er spuckte auf den Boden ihrer Zelle und ging dann ein paar Schritte zu einem hölzernen Hocker. Ihn selbst konnte Marek nun nicht mehr sehen, aber seinen Schatten auf der gegenüberliegenden Wand. Es sah aus, als stocherte er in seinen Zähnen.
Marek stellte sich dicht an die Stangen und versuchte, in die anderen Zellen zu schauen. In der rechten Nachbarzelle konnte er nichts erkennen, aber in der Zelle direkt gegenüber sah er eine Gestalt, die, an die Wand gelehnt, in der Dunkelheit saß. Als seine Augen sich an das trübe Licht gewöhnt hatten, erkannte er, daß es der Professor war.
30:51:09
Stern saß im privaten Eßzimmer von ITC. Es war ein kleiner Raum mit einem einzigen Tisch. Auf dem weißen Tischtuch standen vier Gedecke. Gordon saß ihm gegenüber und aß hungrig Rühreier mit Schinken. Stern sah zu, wie Gordons Bürstenschnitt auf und nieder wippte, während er Eier mit der Gabel in sich hineinschaufelte. Der Mann aß wirklich schnell.
Draußen stieg die Sonne bereits über den Tafelbergen im Osten in die Höhe. Stern sah auf die Uhr: sechs Uhr morgens. ITC-Techniker ließen auf dem Parkplatz einen Wetterballon steigen; er erinnerte sich, daß Gordon erzählt hatte, jede Stunde werde einer losgeschickt. Der Ballon gewann schnell an Höhe und verschwand in den Wolken. Die Männer machten sich nicht die Mühe, ihm nachzusehen, sondern kehrten zu einem nahen Laborgebäude zurück.
»Wie ist Ihr French Toast?« fragte Gordon und hob den Kopf. »Wollen Sie lieber was anderes?«
»Nein, der ist gut«, antwortete Stern. »Ich bin nur nicht sehr hungrig.« »Lassen Sie sich von einem alten Militär einen Rat geben«, sagte Gordon. »Essen Sie bei jeder Mahlzeit. Sie wissen nie, wann Sie die nächste bekommen.«
»Da haben Sie sicher recht«, sagte Stern. »Aber ich habe einfach keinen Hunger.«
Gordon zuckte die Achseln und aß weiter.
Ein Mann in gestärkter Kellnerjacke kam ins Zimmer. »Ach, Ha-rold«, sagte Gordon, »haben Sie den Kaffee fertig?«
»Habe ich, Sir«, erwiderte der Mann in der weißen Jacke. »Auch Cappuccino, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Ich nehme ihn schwarz.« »Natürlich, Sir.«
»Was ist mit Ihnen, David?« fragte Gordon. »Kaffee?« »Mit fettarmer Milch, wenn Sie die haben«, sagte Stern. »Natürlich, Sir.« Harold entfernte sich.
Stern starrte zum Fenster hinaus. Er hörte, wie Gordons Gabel über den Teller schabte, hörte seine Eßgeräusche. Schließlich sagte er: »Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Im Augenblick können sie nicht zurückkommen, korrekt?« »Korrekt.«
»Weil es keinen Landeplatz gibt.« »Korrekt.«
»Weil der unter Schutt begraben ist.« »Korrekt.«
»Und wie lange dauert es, bis sie zurückkommen können?« Gordon seufzte. Er schob seinen Stuhl zurück. »Machen Sie sich keine Sorgen, David«, sagte er. »Es kommt alles wieder in Ordnung.« »Sagen Sie es mir einfach. Wie lange?«
»Na, dann wollen wir doch mal nachzählen. Noch drei Stunden, bis die
Luft in der Höhle ausgetauscht ist. Geben wir zur Sicherheit noch eine dazu. Vier Stunden. Dann zwei Stunden, um den Schutt wegzuräumen.
Sechs Stunden. Dann müssen wir die Wasserschilde neu aufbauen.«
»Die Wasserschilde neu aufbauen?«
»Drei Abschirmungsringe. Die sind unentbehrlich.«
»Warum?«
»Um das Risiko von Transkriptionsfehlern zu minimieren.«
Stern fragte: »Was genau sind Transkriptionsfehler?«
»Fehler beim Wiederaufbau. Wenn die Person von der Maschine rekonstruiert wird.«
»Sie haben mir gesagt, daß es keine Fehler gibt. Daß Sie exakt rekonstruieren können.«
»Im Grunde genommen, ja. Solange wir die Schilde haben.« »Und wenn wir keine Schilde haben?«
Gordon seufzte. »Wir werden Schilde haben, David.« Er sah auf die Uhr. »Es wäre mir lieber, wenn Sie aufhören würden, sich den
Kopf zu zerbrechen. Es dauert noch mehrere Stunden, bis wir den Transitbereich reparieren können. Sie regen sich unnötig auf.« »Mir geht einfach der Gedanke nicht aus dem Kopf«, sagte Stern, »daß es doch irgendwas geben muß, das wir tun können. Eine Nachricht schicken, irgendeine Art von Kontakt herstellen ...« Gordon schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Nachricht, kein Kontakt. Es ist einfach nicht möglich. Im Augenblick sind sie völlig von uns abgeschnitten. Und es gibt absolut nichts, was wir dagegen tun können.«
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