Titelseite Jules Verne Reise zum Mittelpunkt der Erde Roman
Erstes Kapitel: Professor Lidenbrock
Zweites Kapitel: Ein altes Dokument
Drittes Kapitel: Das Pergament des Arne Saknussemm
Viertes Kapitel: Die Entzifferung des Geheimnisses
Fünftes Kapitel: Der Schlüssel des Dokuments
Sechstes Kapitel: Das Zentrum der Erde
Siebentes Kapitel: Reisevorbereitungen
Achtes Kapitel: Reise nach Island
Neuntes Kapitel: Ankunft auf Island
Zehntes Kapitel: Professor Fridrickson
Elftes Kapitel: Hans Bjelke
Zwölftes Kapitel: Nach Snäfieldsnäß
Dreizehntes Kapitel: Eine Bauernherberge
Vierzehntes Kapitel: Im Pfarrhaus
Fünfzehntes Kapitel: Auf dem Vulkan
Sechzehntes Kapitel: In dem Krater
Siebenzehntes Kapitel: In den Schlund hinab
Achtzehntes Kapitel: Durch die Lavagalerie
Neunzehntes Kapitel: Auf dem Irrweg
Zwanzigstes Kapitel: Verlegenheiten
Einundzwanzigstes Kapitel: Wassermangel
Zweiundzwanzigstes Kapitel: Not
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Der Hansbach
Vierundzwanzigstes Kapitel: Weiter hinab
Fünfundzwanzigstes Kapitel: Rasttag
Sechsundzwanzigstes Kapitel: Verirrt
Siebenundzwanzigstes Kapitel: Im dunklen Labyrinth
Achtundzwanzigstes Kapitel Ein Spiel der Akustik
Neunundzwanzigstes Kapitel: Rettung
Dreißigstes Kapitel: Das Meer Lidenbrock
Einunddreißigstes Kapitel: Auf dem Schiff
Zweiunddreißigstes Kapitel: Eine Wasserpartie
Dreiunddreißigstes Kapitel: Ein Riesenkampf
Vierunddreißigstes Kapitel: Ein Geysir
Fünfunddreißigstes Kapitel: Ein Gewitter
Sechsunddreißigstes Kapitel: Verschlagen
Siebenunddreißigstes Kapitel: Ein Gebeinfeld
Achtunddreißigstes Kapitel: Ein fossiler Mensch
Neununddreißigstes Kapitel: Ein Proteus der Urwelt
Vierzigstes Kapitel: Kap Saknussemm
Einundvierzigstes Kapitel: Eine Explosion
Zweiundvierzigstes Kapitel: Bergfahrt im Tunnel
Dreiundvierzigstes Kapitel: Ausgeworfen aus dem Krater
Vierundvierzigstes Kapitel: Stromboli
Fünfundvierzigstes Kapitel: Schluss
Impressum
Jules Verne
Reise zum Mittelpunkt der Erde
Roman
Erstes Kapitel: Professor Lidenbrock
Am 24. Mai 1863, einem Sonntag, kam mein Onkel, der Professor Lidenbrock, in hastiger Eile heim in sein kleines Haus, Königsstraße 19, eine der ältesten Straßen des alten Stadtviertels in Hamburg.
Die gute Martha musste glauben, sehr mit dem Mittagessen in Rückstand zu sein, denn es fing eben erst an auf dem Herd zu sieden.
„Schön, sagte ich, aber wenn mein Onkel Hunger hat, wird der ungeduldige Mann Zeter schreien.
– Da ist ja schon Herr Lidenbrock! rief die gute Martha in Bestürzung, indem sie die Thür des Speisezimmers ein wenig öffnete.
– Ja, Martha, aber das Essen darf schon noch etwas kochen, denn es hat eben erst auf der Michaeliskirche halb zwei geschlagen.
– Warum kommt aber Herr Lidenbrock schon heim?
– Er wird's uns vermutlich sagen.
– Da ist er! Ich flüchte mich, Herr Axel, Sie werden ihn zur Einsicht bringen.“
Und die gute Martha eilte wieder in ihre Küche.
Ich blieb allein. Aber einen zornigen Professor zur Einsicht zu bringen, war doch für meinen etwas schwankenden Charakter nicht möglich. Daher war ich im Begriff mich klüglich wieder in mein Zimmerchen hinauf zu begeben, als die Angeln der Haustüre knarrten; des Hausherrn lange Beine schritten geräuschvoll über die hölzerne Treppe quer durch das Speisezimmer hastig in sein Arbeitszimmer.
Im Vorbeirennen warf er seinen Stock mit einem Nußknackerknopf in eine Ecke, seinen wider den Strich gebürsteten Hut auf einen Tisch, und rief laut seinem Neffen zu:
„Axel, komm' mir nach!“.
Ich hatte noch nicht Zeit, vom Fleck zu kommen, als der Professor mit lebhafter Ungeduld mir zurief:
„Nun! noch nicht hier?“
Ich eilte ins Zimmer meines fürchterlichen Onkels. Otto Lidenbrock war kein bösartiger Mensch, ich gebe es gerne zu; aber wofern er nicht, was sehr unwahrscheinlich ist, sich ändert, so wird er als ein schrecklicher Sonderling sterben.
Er war Professor am Johanneum, und hielt Vorträge über Mineralogie, wobei er regelmäßig ein- oder auch zweimal in Zorn geriet. Es kam ihm durchaus nicht darauf an, dass seine Schüler fleißig die Lektionen besuchten, noch dass sie aufmerksam zuhörten, noch dass sie Fortschritte machten: diese Kleinigkeiten machten ihm wenig Sorge. Sein Vortrag war, wie die deutsche Philosophie sich ausdrückt, „subjektiv“ für ihn, und nicht für andere. Er war ein egoistischer Gelehrter, ein Wissensbrunnen, dessen Rolle knarrte, wenn man etwas herausziehen wollte: mit einem Wort, ein Geizhals.
Es gibt in Deutschland manche Professoren der Art. Mein Onkel hatte leider keine leichte Aussprache, wenigstens wann er öffentlich sprach, ein bedauerlicher Mangel bei einem Redner. Bei seinen Vorträgen im Johanneum blieb der Professor oft plötzlich stecken; er rang mit einem störrigen Ausdruck, der nicht von seinen Lippen wollte, einem Ausdruck, der sich sträubt und aufbläht, bis er endlich in der unwissenschaftlichen Form eines Fluchs herauskommt. Darüber arge Erzürnung.
Nun gibt es in der Mineralogie viele halb-griechische, halb-lateinische Benennungen, die schwer auszusprechen sind, so holperig rau, dass sie für eines Dichters Lippen eine Pein sind. Ich will dieser Wissenschaft nichts Übles nachsagen. Aber gegenüber von rhomboedrischen Kristallisationen, von retin-asphaltischen Harzen, von Gheleniden, Fangasiden, Molybdaten, Tungstaten, Titaniaten und Zirkonien darf die geläufigste Zunge fehl sprechen.
In der Stadt nun kannte man diese verzeihliche Schwäche meines Onkels, und man machte sich über ihn lustig; man lauerte ihm auf, reizte ihn zum Zorn und lachte ihn aus, was auch in Deutschland durchaus nicht für anständig gilt. Und waren die Zuhörer Lidenbrocks stets zahlreich, so kamen sie meist deshalb, um sich an dem ergötzlichen Zorn des Professors zu belustigen.
Wie dem auch sein mag, mein Onkel war, – das kann ich nicht genug betonen – ein echter Gelehrter. Obwohl er manchmal bei allzu barschen Versuchen seine Musterstücke zerschlug, verband er mit dem Genie des Geologen den Blick des Mineralogen. Mit seinem Hammer, seiner stählernen Spitzhaue, seiner Magnetnadel, seinem Lötrohr und Fläschchen Salpetersäure war der Mann sehr stark. Er verstand jedes beliebige Metall nach dem Bruch, Aussehen, der Härte, Schmelzbarkeit, dem Ton, Geruch oder Geschmack ohne viel Bedenken in die Classification der sechshundert jetzt bekannten Gattungen einzureihen.
Daher hatte auch Lidenbrocks Name in den Gymnasien und Vereinen einen ehrenvollen Klang. Humphry Davy und von Humboldt, die Kapitäne Franklin und Sabine machten ihm auf der Reise durch Hamburg ihren Besuch. Becquerel, Ebelmen, Brewster, Dumas, Milne-Edwards, Sainte-Claire-Deville befragten ihn gerne über wichtige Punkte der Chemie. Diese Wissenschaft verdankte ihm hübsche Entdeckungen, und im Jahre 1853 war zu Leipzig von Otto Lidenbrock eine Abhandlung über Transzendentale Kristallographie in Großfolio mit Abbildungen erschienen, welche jedoch nicht die Kosten deckte.
Zudem war mein Onkel Konservator des mineralogischen Museums des russischen Gesandten Struve, welches europäischen Ruf hatte.
Dieser Mann war's, der mich so ungeduldig anrief. Ein großer, magerer Mann mit eiserner Gesundheit und blondem jugendlichen Aussehen, das ihn um zehn Jahre jünger machte, als er wirklich war. Große unablässig rollende Augen hinter einer ansehnlichen Brille; eine lange feine Nase, gleich einer scharfen Klinge; böse Zungen behaupteten, sie sei mit einem Magnet bestrichen und ziehe den Eisenstaub an sich.
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