Während der Mahlzeit war mein Onkel fast lustig; er ließ Scherze hören, die bei einem Gelehrten nie sehr gefährlich sind. Nach dem Dessert winkte er mir, ihm in sein Zimmer zu folgen.
Ich gehorchte. Er setzte sich ans eine Ende des Tisches, ich ans andere.
„Axel, sagte er mit ziemlich sanfter Stimme, Du bist ein sehr gescheiter Junge; Du hast mir da einen wackeren Dienst geleistet, als ich des Ringens müde schon den Gedanken aufgeben wollte. Wohin wäre ich geraten? Niemand kann das wissen! Ich werde Dir's niemals vergessen, und Du wirst an dem Ruhm, den wir erlangen werden, Deinen Anteil haben.
– Nun, dacht ich, ist er guter Laune; da ist's Zeit über den Ruhm zu disputieren.
– Vor Allem, fuhr mein Onkel fort, empfehle ich Dir völliges Geheimnis, verstehst Du mich? Es fehlt in der Gelehrtenwelt nicht an Neidischen, und es würden Viele die Reise unternehmen wollen, die bis zu unserer Rückkehr nichts merken sollen.
– Meinen Sie, sagte ich, die Zahl solcher Verwegenen sei so groß?
– Ganz gewiss! Wer würde sich besinnen, solch einen Ruhm zu gewinnen? Wäre dies Dokument bekannt, so würde ein ganzes Heer von Geologen hineilen, Arne Saknussemms Spur zu verfolgen.
– Davon bin ich aber gar nicht überzeugt, lieber Onkel, denn die Echtheit des Dokuments ist durch nichts erwiesen.
– Wie? und das Buch, worin wir's gefunden haben!
– Gut! Ich gebe zu, dass Saknussemm diese Zeilen geschrieben hat, aber folgt daraus, dass er wirklich die Reise vorgenommen hat, und kann nicht das alte Pergament eine Fopperei enthalten?“
Es war mir fast leid, dies letztere etwas kecke Wort herausgesagt zu haben. Der Professor runzelte die Stirn, und ich fürchtete Schlimmes für die Fortsetzung dieser Unterhaltung. Zum Glück hatte es nichts zu bedeuten. Mein strenger Genosse erwiderte mit leichtem Lächeln:
„Das werden wir sehen.
– Ah! sagte ich etwas verdutzt; aber erlauben Sie mir vorzubringen, was sich alles über das Dokument sagen lässt.
– Rede, lieber Junge, geniere Dich nicht. Ich lasse Dir alle Freiheit Deine Meinung zu sagen. Du bist nun nicht mehr mein Neffe, sondern mein College. Also vorwärts.
– Nun, so will ich Sie erst fragen, was sind diese Yokul, Sneffels und Scartaris, wovon ich nie ein Wort habe reden hören?
– Das ist ganz leicht. Ich habe just vor Kurzem von meinem Freunde August Petermann in Gotha eine Karte bekommen, die mir gerade zu rechter Zeit kam. Nimm den dreißigsten Atlas im zweiten Fach der großen Bibliothek, Reihe Z, Brett 4.“
Ich stand auf und fand in Gemäßheit dieser genauen Angaben rasch den begehrten Atlas. Mein Onkel schlug ihn auf und sagte:
„Hier ist eine der besten Karten von Island, die Handersonsche; ich glaube, die wird uns alle Schwierigkeiten lösen.“
Ich beugte mich über die Karte.
„Sieh diese aus Vulkanen bestehende Insel, sagte der Professor, und merke, dass sie alle mit dem Namen Yokul bezeichnet sind. Dies Wort bedeutet im Isländischen 'Gletscher', und unter dem hohen Breitegrad Islands geschehen die meisten vulkanischen Ausbrüche durch die Eisdecke.
– Gut, erwiderte ich, aber was ist dann Sneffels?“ Ich hoffte, er wisse diese Frage nicht zu beantworten. Wie irrte ich mich! Mein Onkel fuhr fort:
„Folge mir auf die westliche Küste Islands. Siehst Du seine Hauptstadt Reykjavik? Ja. Gut. Fahre über die unzähligen Fjorde dieser zerrissenen Seeküsten, und halte etwas unter dem fünfundsechzigsten Breitegrad an. Was siehst Du da?
– Eine Art Halbinsel, gleich einem abgenagten Knochen.
– Die Vergleichung ist richtig, lieber Junge; jetzt, siehst Du nichts auf dieser Halbinsel?
– Ja, einen Berg, der aus dem Meer emporgewachsen scheint.
– Gut! Dieser Snäfields Jöcul ist der Sneffels.
– Der Snäfields Jöcul?
– Der ist's, ein fünftausend Fuß hoher Berg, einer der merkwürdigsten auf der Insel, und gewiss der berühmteste der ganzen Welt, wenn sein Krater den Eingang zum Zentrum der Erde bildet.
– Aber das ist unmöglich! rief ich mit Achselzucken, und gegen eine solche Annahme mich sträubend.
– Unmöglich! erwiderte der Professor Lidenbrock mit strengem Ton. Und warum?
– Weil dieser Krater offenbar mit Lava verstopft ist, die Felsen glühend, und dann ...
– Und wenn's ein ausgebrannter Krater ist?
– Ausgebrannt?
– Ja. Die Zahl der noch tätigen Vulkane auf der Erdoberfläche beträgt gegenwärtig nur etwa dreihundert; aber es gibt eine noch weit größere Anzahl erloschener Vulkane. Unter die letzteren gehört der Snäfields, der seit den historischen Zeiten nur einen Ausbruch gehabt hat, im Jahre 1219; seitdem ist er allmählig stille geworden, und er gehört nicht mehr zu den tätigen Vulkanen.“
Auf diese bestimmten Angaben hatte ich durchaus nichts zu erwidern; ich warf mich also auf die übrigen Schwierigkeiten, die das Dokument enthielt.
„Was bedeutet das Wort Scartaris, fragte ich, und was haben die Kalenden des Julis dabei zu schaffen?“
Mein Onkel besann sich einige Augenblicke. Einen Augenblick hatte ich Hoffnung, aber auch nur einen Augenblick, denn bald antwortete er mir folgendermaßen:
„Was Du Dunkelheit nennst, ist für mich Licht. Dies beweist die sinnreiche Sorge, womit Saknussemm seine Entdeckung genau bezeichnen wollte. Der Snäfields hat mehrere Krater, und es war daher erforderlich, denjenigen, welcher zum Mittelpunkt der Erde führt, anzugeben. Wie hat's nun der gelehrte Isländer gemacht? Er hat bemerkt, dass beim Herannahen des ersten Julis, also gegen Ende des Junis, eine der Bergspitzen, der Scartaris, ihren Schatten bis zu der Mündung des fraglichen Kraters werfe, und hat diese Tatsache in dem Dokument niedergelegt. Dies war die genaueste Angabe, so dass man, wenn man einmal auf dem Gipfel des Snäfields sich befindet, unmöglich mehr in Zweifel sein kann, welcher Weg einzuschlagen.“
Allerdings wusste mein Onkel eine Antwort auf Alles. Ich sah wohl, dass ihm bei den Worten des alten Pergaments nicht beizukommen war. Ich setzte ihm daher von dieser Seite aus nicht mehr zu, und da ich vor Allem ihn überzeugen musste, so ging ich zu den wissenschaftlichen Einwendungen über, welche meines Erachtens ganz anders bedeutsam waren.
„Nun, sagt' ich, die Phrase Saknussemms, ich muss es zugeben, ist klar und lässt über ihren Sinn keinen Zweifel mehr. Ich gebe sogar zu, dass das Dokument den Anschein völliger Echtheit hat. Dieser Gelehrte ist in das Innere des Snäfields hinabgestiegen; hat gesehen, wie der Schatten des Scartaris den Rand des Kraters vor dem ersten Juli bestrich; er hat sogar aus den sagenhaften Erzählungen seiner Zeit entnommen, dass dieser Krater zum Zentrum der Erde führe; aber dass er selbst dahin gedrungen, dass er von einer Reise dahin wieder zurückgekehrt sei, glaub' ich durchaus nicht!
– Und aus welchem Grund? sagte mein Onkel mit ausnehmend spöttischem Ton.
– Weil alle Theorien der Wissenschaft beweisen, dass eine solche Unternehmung unausführbar ist!
– Alle Theorien sprechen das aus? erwiderte der Professor mit gutmütiger Miene. Ja, die schlechten Theorien! Die armseligen Theorien werden uns genieren!“
Ich sah, dass er sich über mich lustig machte, aber ich fuhr demungeachtet fort:
„Ja! es ist eine ausgemachte Sache, dass die Wärme unter der Erdoberfläche mit siebenzig Fuß Tiefe um einen Grad zunimmt; nehmen wir nun dies steigende Verhältnis als sich gleichbleibend an, so muss, da der Erdradius fünfzehnhundert Meilen beträgt, im Zentrum eine Temperatur stattfinden von mehr als zweimalhunderttausend Grad! Die Stoffe im Inneren der Erde befinden sich daher im Zustand des glühenden Gases, denn die Metalle, Gold, Platina, die härtesten Steine widerstehen nicht einer solchen Hitze. Ich darf also fragen, ob es möglich sei, in eine solche Umgebung zu gelangen.
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