Im Kontrollraum sagte einer der Techniker: »Wir bekommen Feldanomalien.«
»Ach, wirklich? Das ist eine gute Nachricht«, sagte Gordon. »Warum?« fragte Stern.
»Das bedeutet«, erwiderte Gordon, »daß innerhalb der nächsten zwei Stunden jemand zurückkehrt. Mit Sicherheit Ihre Freunde.« »Dann schaffen sie es also innerhalb von zwei Stunden, den Professor zu finden und zurückzukommen?«
»Ja, genau das —« Gordon brach ab und starrte das Wellenbild auf dem Monitor an. Eine kleine, wellenförmig bewegte Oberfläche mit einer herausragenden Spitze. »Ist sie das?« »Ja«, sagte der Techniker.
»Aber die Amplitude ist viel zu stark«, sagte Gordon. »Und das Intervall wird immer kürzer. Und zwar schnell.« »Soll das heißen, daß jetzt jemand zurückkommt?« »Ja. Bald, so wies aussieht.«
Stern sah auf die Uhr. Das Team war erst wenige Minuten weg. So schnell konnten sie den Professor unmöglich gefunden haben. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er Gordon.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Gordon. In Wahrheit gefiel ihm diese Entwicklung ganz und gar nicht. »Offensichtlich haben sie irgendwelche Schwierigkeiten.« »Was für Schwierigkeiten?«
»Zu einem so frühen Zeitpunkt wahrscheinlich ein mechanisches Problem. Vielleicht ein Transkriptionsfehler.« »Was ist ein Transkriptionsfehler?« fragte Stern.
Der Techniker sagte: »Ich errechne eine Ankunft in zwanzig Minuten und siebenundfünfzig Sekunden.« Er maß die Feldstärke und die Impulsintervalle.
»Wie viele kommen zurück?« fragte Gordon. »Alle?« »Nein«, sagte der Techniker. »Nur einer.«
Chris konnte nicht anders, er hatte schon wieder Angst. Trotz der kühlen Morgenluft schwitzte er, seine Haut war kalt und sein Herz hämmerte. Und dieser Streit zwischen Gomez und Baretto stärkte seinen Mut nicht gerade.
Den Pfützen dicken Schlamms ausweichend, ging er zum Pfad zurück. Marek und Kate folgten ihm. Ein Stückchen von den Streitenden entfernt blieben sie stehen.
»Na gut, na gut, verdammt noch mal«, sagte Baretto eben. Er nahm seine Waffen ab und legte sie vorsichtig auf den Boden seines Käfigs. »Okay. Jetzt zufrieden?«
Gomez redete noch immer sehr leise. Kaum mehr als ein Flüstern. Chris konnte sie nicht verstehen.
»Ist ja gut!« sagte Baretto, beinahe ein Fauchen.
Gomez' Erwiderung war wieder sehr leise. Baretto knirschte mit den
Zähnen. Chris fand es äußerst unangenehm, hier zu stehen. Er entfernte sich ein paar Schritte und drehte dem Streit den Rücken zu, um abzuwarten, bis er vorüber war.
Überrascht stellte er fest, daß der Pfad ziemlich steil nach unten führte, und durch eine Lücke in den Bäumen konnte er das darunterliegende Flachland sehen. Dort lag das Kloster - eine geometrische Ansammlung von Innenhöfen, überdachten Wegen und Kreuzgängen, alles aus beigefarbenem Stein und umgeben von einer hohen Steinmauer. Die Anlage sah aus wie eine dichtbebaute, kompakte kleine Stadt. Sie war überraschend nah, vielleicht nur vierhundert Meter entfernt. Nicht mehr. »Was soll's, ich geh los«, sagte Kate und marschierte den Pfad entlang. Marek und Chris sahen sich an und folgten ihr dann.
»Ihr Leute bleibt in Sichtweite, verdammt noch mal«, rief Baretto ihnen nach.
Gomez sagte: »Ich glaube, wir sollten besser gehen.«
Baretto hielt sie am Arm fest. »Erst wenn wir etwas geklärt haben«,
sagte er. »Über die Art, wie diese Expedition geführt wird.«
»Ich glaube, das ist doch alles ziemlich klar«, sagte Gomez.
Baretto beugte sich zu ihr. »Weil mir nicht gefällt, wie du eben...« Der
Rest war so leise, daß die anderen nichts verstanden, sie hörten nur das wütende Zischen in seiner Stimme.
Chris war froh, daß der Pfad eine Biegung machte und er die beiden hinter sich lassen konnte.
Kate schritt forsch aus, und sie spürte, wie die Bewegung die Anspannung in ihrem Körper löste. Ein paar Schritte hinter sich hörte sie Chris und Marek reden. Chris war ängstlich, und Marek versuchte ihn zu beruhigen. Weil sie das alles nicht hören wollte, ging sie noch ein bißchen schneller. Schließlich war es ein Erlebnis, hier zu sein, in diesem phantastischen Wald, umgeben von diesen riesigen Bäumen... Nach ein paar Minuten hatte sie Marek und Chris hinter sich gelassen, aber sie wußte, daß sie noch nahe genug waren. Und sie genoß es, allein zu sein. Der Wald um sie herum war kühl und entspannend. Sie lauschte dem Zwitschern der Vögel und dem Geräusch ihrer Füße auf dem Pfad. Einmal glaubte sie, noch etwas anderes zu hören. Sie ging ein bißchen langsamer, um zu horchen.
Ja, da war noch ein Geräusch: laufende Schritte. Sie hörte jemanden keuchen, als würde er nach Atem ringen.
Und auch noch ein schwächeres Geräusch, wie weit entferntes Donnergrollen. Sie versuchte gerade das Grollen zu identifizieren, als ein Junge um die Biegung gerannt kam und auf sie zustürzte. Der Junge trug schwarze Beinlinge, eine leuchtendgrüne wattierte Jacke und eine schwarze Kappe. Sein Gesicht war rot vor Anstrengung, offensichtlich rannte er schon eine ganze Weile. Er schien überrascht, sie auf dem Pfad zu sehen. Als er auf sie zukam, rief er: »Aydethee anisel! Crassa duc! Aydethee!«
Einen Augenblick später hörte sie die Übersetzung in ihrem
Ohrstöpsel: »Versteckt Euch, Frau! Um Gottes willen! Versteckt Euch!«
Verstecken wovor? fragte sich Kate. Der Wald schien verlassen. Was konnte er meinen? Vielleicht hatte sie ihn nicht richtig verstanden. Vielleicht war die Übersetzung nicht korrekt gewesen. Als der Junge an ihr vorüberlief, rief er noch einmal: »Versteckt Euch!« und gab ihr einen so kräftigen Schubs, daß sie vom Pfad in den Wald taumelte, über eine Wurzel stolperte und ins Gestrüpp stürzte. Sie stieß sich den Kopf an, spürte einen scharfen Schmerz und eine kurze Benommenheit. Als sie sich wieder hochrappelte, erkannte sie, was das Donnern war. Pferde.
Die in gestrecktem Galopp auf sie zustürmten.
Chris sah den Jungen den Pfad entlangrennen, und fast sofort hörte er den Lärm der ihn verfolgenden Pferde. Der Junge, der nun völlig außer
Atem war, blieb einen Augenblick neben ihm stehen, krümmte sich kurz und schaffte es schließlich, »Versteckt Euch! Versteckt Euch!« zu stammeln, bevor er im Wald verschwand.
Marek ignorierte den Jungen. Er sah den Pfad entlang.
Chris runzelte die Stirn. »Was ist denn da los?«
»Jetzt«, sagte Marek, legte Chris den Arm um die Schultern und warf sich mit ihm ins Unterholz.
»O Mann«, sagte Chris, »was soll denn das -«
»Pst!« Marek drückte Chris die Hand auf den Mund. »Willst du, daß man uns umbringt?«
Nein, dachte Chris, da war er sich ganz sicher: Er wollte nicht, daß irgend jemand umgebracht wurde. Nun sah er, was in gestrecktem Galopp den Hügel hoch auf sie zukam: sechs Berittene in voller Rüstung, mit Stahlhelm, Kettenpanzer und Überwurf in Kastanienbraun und Grau. Die Pferde hatten schwarze, mit silbernen Knöpfen verzierte Decken. Das Ganze wirkte bedrohlich. Der Anführer, auf dessen Helm ein schwarzer Federbusch prangte, deutete nach vorne und rief: »Godin!«
Baretto und Gomez standen noch neben dem Pfad; sie standen wirklich einfach nur da und starrten schockiert das an, was auf sie zu galoppiert kam. Im nächsten Augenblick beugte sich der schwarze Reiter ein wenig zur Seite und schlug im Vorbeireiten weit ausholend mit seinem Breitschwert nach Gomez. Chris sah Gomez' kopflosen, blutspritzenden Torso, der langsam zu Boden sank. Das Blut spritzte auf Baretto, er rannte laut fluchend in den Wald. Noch mehr Reiter kamen den Hügel hochgaloppiert. Jetzt riefen sie alle »Godin! Godin!« Einer der Reiter zügelte sein Pferd und spannte seinen Bogen.
Der Pfeil traf Baretto im Laufen an der linken Schulter, die Stahlspitze kam auf der anderen Seite wieder heraus, und die Wucht des Aufpralls warf ihn auf die Knie. Fluchend richtete er sich wieder auf, erreichte schließlich seine Maschine und kullerte hinein. Er griff nach seinem Gürtel, riß eine Granate heraus und drehte sich, um sie zu werfen. Im selben Moment traf ihn ein Pfeil mitten in die Brust. Baretto zog ein überraschtes Gesicht, hustete und kippte nach hinten, so daß er halb sitzend, halb liegend an einer der Stangen lehnte. Er machte einen schwachen Versuch, sich den Pfeil aus der Brust zu ziehen, doch der nächste Pfeil durchdrang seinen Hals. Die Granate fiel ihm aus der Hand.
Читать дальше