»Und los. Nicht vergessen: ganz still stehen, wenn's soweit ist.« Die Maschinen begannen zu summen. Chris spürte eine leichte Vibration im Sockel, direkt unter seinen Füßen. Das Summen wurde lauter. Der Dunst wehte von den Sockeln der Maschinen weg. Die Maschinen fingen an zu ächzen und zu kreischen, als würde Metall verbogen. Das Geräusch wurde schnell lauter, bis es so beständig und schrill war wie ein Schrei.
»Das kommt vom flüssigen Helium«, sagte Gomez. »Das kühlt das Metall auf supraleitende Temperaturen ab.« Abrupt endete das Kreischen, und das Knattern begann. »Infrarotfreigabe«, sagte sie. »Jetzt.«
Chris spürte, wie sein ganzer Körper unwillkürlich zu zittern begann. Er versuchte es zu kontrollieren, aber seine Beine wollten ihm nicht recht gehorchen. Wieder spürte er Panik - vielleicht sollte er abbrechen -, aber dann hörte er die Stimme vom Band: »Stillhalten. Augen offen.« Zu spät, dachte er. Zu spät -»Tief einatmen. Anhalten... Jetzt«
Der Ring erschien oberhalb seines Kopfes und wanderte schnell bis zu den Füßen. Es klickte, als er den Sockel berührte. Einen Augenblick später gab es einen blendenden Lichtblitz - heller als die Sonne -, der von überallher zu kommen schien, doch er spürte überhaupt nichts. Genaugenommen hatte er unvermittelt das Gefühl kalter Distanziertheit, als würde er eine entfernte Szene betrachten. Die Welt um ihn herum war völlig still.
Er sah, daß Barettos Maschine größer wurde und plötzlich hoch über ihm aufragte. Baretto, ein Riese mit einem mächtigen Gesicht voller monströser Poren bückte sich und sah zu ihnen hinunter. Weitere Blitze.
Je größer Barettos Maschine wurde, desto weiter schien sie sich zu entfernen, und auch der Boden dazwischen schien sich zu weiten: eine riesige Ebene aus dunklem Gummiboden, die sich in die Ferne erstreckte. Wieder Blitze.
Der Gummiboden hatte ein Muster aus erhöhten Kreisen. Jetzt wuchsen diese Kreise um Chris herum in die Höhe, wie schwarze Klippen. Bald waren sie so hoch, daß sie wirkten wie Wolkenkratzer, die weit oben zusammenzuwachsen schienen und das Licht verdeckten. Schließlich berührten die Wolkenkratzer einander, und die Welt wurde dunkel. Wieder Blitze.
Einen Augenblick lang sah Chris nur Schwärze, doch dann erkannte er flackernde Lichtpunkte, die wie ein Gitternetz angeordnet waren und sich in alle Richtungen erstreckten. Es war, als befände er sich in einer riesigen, leuchtenden, kristallinen Struktur. Chris sah zu, wie diese Lichtpunkte heller und größer wurden und ihre Ränder verschwammen, bis jeder ein flauschiger, leuchtender Ball war. Er fragte sich, ob es Atome waren.
Jetzt konnte er das Gitter nicht mehr sehen, nur noch die Bälle in seiner nächsten Nähe. Sein Käfig bewegte sich direkt auf einen der leuchtenden Bälle zu, der zu pulsieren und in flackernden Mustern seine Form zu ändern schien.
Dann war er im Inneren des Balls, umgeben von einem strahlend hellen
Nebel, der vor Energie zu vibrieren schien.
Und dann verlöschte der Glanz und war verschwunden.
Er hing in formloser Schwärze. Im Nichts.
Schwärze.
Doch dann sah er, daß er noch immer sank, nun auf die tosende Oberfläche eines schwarzen Meers in einer schwarzen Nacht zu. Das Meer kochte und tobte und warf einen luftigen, blaugetönten Schaum. Je weiter er sank, desto größer wurde der Schaum. Chris sah, daß vor allem eine Blase in einem ganz besonders leuchtenden Blau erstrahlte. Immer schneller bewegte sich seine Maschine auf dieses Leuchten zu, sie raste, und er hatte das merkwürdige Gefühl, daß er mit dem Schaum kollidieren würde, und dann drang er in die Blase ein und hörte ein lautes, durchdringendes Kreischen. Dann Stille. Dunkelheit. Nichts.
Im Kontrollraum sah David Stern zu, wie die Blitze auf dem
Gummiboden immer kleiner wurden und dann verschwanden. Die
Maschinen waren weg. Die Techniker wandten sich sofort Baretto zu und begannen mit seinem Übertragungscountdown.
Aber Stern starrte weiter auf die Stelle auf dem Gummiboden, wo Chris und die anderen gewesen waren.
»Und wo sind sie jetzt?« fragte er Gordon.
»Oh, sie sind schon angekommen«, sagte Gordon. »Sie sind jetzt dort.«
»Sie wurden wiederaufgebaut?«
»Ja.«
»Ohne Faxmaschme am anderen Ende.« »Genau.«
»Erklären Sie mir, warum«, sagte Stern. »Sagen Sie mir die Details,
mit denen Sie die anderen nicht belästigen wollten.«
»Na gut«, sagte Gordon. »Es ist nichts Schlimmes. Ich dachte mir nur,
daß die anderen es vielleicht beunruhigend finden würden.«
»Aha.«
»Kehren wir noch einmal zurück«, sagte Gordon, »zu den Interferenzmustern, die uns, wie Sie sich erinnern werden, zeigen, daß andere Universen unser Universum beeinflussen können. Wir müssen überhaupt nichts tun, um zu erreichen, daß ein solches Interferenzmuster auftritt. Das passiert von ganz allein.« »Ja.«
»Und diese Interaktion ist sehr verläßlich; sie tritt immer auf, wenn man ein Paar Schlitze aufstellt.«
Stern nickte. Er versuchte herauszufinden, wohin das führen sollte, aber er konnte die Richtung nicht erkennen.
»Wir wissen also, daß wir uns in gewissen Situationen darauf verlassen können, daß andere Universen etwas passieren lassen. Wir stellen diese Schlitze auf, und die anderen Universen machen das Muster, das wir sehen, und zwar jedesmal.« »Okay...«
»Und wenn wir durch ein Wurmloch übertragen, wird die Person am anderen Ende immer wiederaufgebaut. Wir können uns auch darauf verlassen.«
Eine Pause entstand.
Stern runzelte die Stirn.
»Moment mal«, sagte er dann. »Soll das heißen, wenn Sie übertragen,
wird die Person von einem anderen Universum wiederaufgebaut?«
»Im Grunde genommen, ja. Ich meine, es muß so sein. Wir können sie ja schlecht wiederaufbauen, weil wir nicht dort sind. Wir sind hier in diesem Universum —«
»Sie bauen sie also nicht wieder auf...«
»Nein.«
»Weil Sie nicht wissen, wie«, sagte Stern.
»Weil wir es nicht für notwendig halten«, erwiderte Gordon. »So wie wir es nicht für notwendig halten, Teller auf einen Tisch zu kleben, um sie darauf zu halten. Sie bleiben von alleine auf dem Tisch. Wir nutzen einfach ein Wesensmerkmal des Universums, die Schwerkraft. Und in diesem Fall nutzen wir ein Wesensmerkmal des Multiversums.« Stern runzelte die Stirn. Er mißtraute dieser Analogie, sie war zu offensichtlich, zu einfach.
»Schauen Sie«, sagte Gordon, »das Wesentliche der Quantentechnologie ist doch, daß sie sich einer Universenüberlagerung bedient. Wenn ein Quantencomputer rechnet — wenn alle zweiunddreißig Quantenzustände des Elektrons benutzt werden —, führt dieser Computer diese Berechnungen theoretisch ja in anderen Universen aus, oder?« »Ja, theoretisch, aber —« »Nein. Nicht theoretisch.Tatsächlich.«
Wieder entstand eine Pause.
»Es ist vielleicht einfacher zu verstehen«, sagte Gordon, »wenn man es aus dem Blickwinkel des anderen Universums betrachtet. Dieses Universum sieht plötzlich eine Person ankommen. Eine Person aus einem anderen Universum.« »Ja...«
»Und genau das ist passiert. Die Person ist wirklich aus einem anderen Universum gekommen. Nur nicht aus unserem.« »Sagen Sie das noch mal.«
»Die Person kam nicht aus unserem Universum«, sagte Gordon. Stern riß die Augen auf. »Woher dann?«
»Sie kam aus einem Universum, das fast identisch ist mit unserem -identisch in jeder Hinsicht, außer daß man dort weiß, wie man die Person am anderen Ende wiederaufbauen kann.« »Das soll wohl ein Witz sein.« »Nein.«
»Dann ist die Kate, die dort landet, nicht die Kate, die von hier abgereist ist. Sie ist eine Kate aus einem anderen Universum.« »Ja.«
»Was ist sie dann? Eine Art von Kate? Eine Fast-Kate? Eine Vier-fünftel-Kate?«
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