Kramer seufzte. Rob Deckard war einer der ersten Beobachter gewesen, die zurückgegangen waren, damals vor fast zwei Jahren. Und er war einer der ersten, die Transkriptionsfehler zeigten. »Das war viel früher im Projekt, Victor. Die Technologie war nicht so ausgereift. Und Sie wissen, was passiert ist. Nachdem Rob einige Reisen gemacht hatte, zeigten sich bei ihm gewisse kleinere Auswirkungen. Er bestand darauf weiterzumachen. Aber wir haben ihn nicht verloren.« »Er ging und kam nie mehr zurück«, sagte Baretto. »Um das geht's.« »Robert wußte genau, was er tat.« »Und jetzt der Professor.«
»Wir haben den Professor nicht verloren«, sagte sie. »Er ist noch am Leben.«
»Das hoffen Sie. Aber Sie wissen nicht, warum er nicht mehr zurückgekommen ist.« »Victor —«
»Ich will damit nur sagen«, warf Baretto dazwischen, »daß in diesem
Fall die Logistik nicht dem Anforderungsprofil der Mission entspricht.
Sie verlangen von uns, daß wir unnötige Risiken eingehen.«
»Sie müssen ja nicht gehen«, entgegnete Kramer sanft.
»Nein, verdammt. Das habe ich nie gemeint.«
»Sie müssen nicht.«
»Natürlich gehe ich.«
»Na gut, und das sind die Vorschriften. Keine moderne Technologie kommt in diese Welt. Verstanden?«
»Verstanden.«
»Und kein Wort von all dem zu den Akademikern.« »Nein, nein. Verdammt, ich bin Profi.« »Okay«, sagte Kramer.
Sie sah ihm nach. Er schmollte zwar, aber er fügte sich. Am Ende taten sie das immer. Und die Vorschrift ist wichtig, dachte sie. Obwohl Doniger immer wieder gerne darüber dozierte, daß man die Vergangenheit nicht ändern könne, wußte es niemand so ganz genau — und niemand wollte es riskieren. Sie wollten nicht, daß moderne Waffen oder Artefakte, vor allem aus Plastik, in die Vergangenheit gelangten.
Und bis jetzt war es auch noch nicht passiert.
Stern saß mit den anderen auf harten Stühlen in einem Zimmer mit Karten. Susan Gomez, die Frau, die eben mit der Maschine zurückgekehrt war, redete auf eine forsche, schnelle Art, die Stern übertrieben fand.
»Wir reisen«, sagte sie, »zum Kloster Sainte Mere, am Fluß Dor-dogne im Südwesten Frankreichs. Wir werden am Donnerstag, dem 7. April 1357, um acht Uhr vier dort eintreffen — das ist der Tag der Nachricht des Professors. Wir haben Glück, weil an diesem Tag in Castelgard ein Turnier stattfindet, das die Leute in Scharen aus der Umgebung anzieht, das heißt, man wird uns nicht bemerken.«
Sie klopfte auf eine Karte. »Nur zur Orientierung, hier ist das Kloster. Castelgard ist dort, am anderen Flußufer. Und die Festung von La Roque befindet sich auf diesem Steilufer hier, oberhalb des Klosters. Irgendwelche Fragen?« Sie schüttelten den Kopf.
»Na gut. Die Situation in diesem Gebiet ist ein bißchen unsicher. Wie Sie wissen, bedeutet April 1357, daß seit gut zwanzig Jahren der Hundertjährige Krieg herrscht. Es ist sieben Monate nach dem Sieg der Engländer bei Poitiers, bei dem der König von Frankreich gefangengenommen wurde. Der französische König wird nun als Geisel gehalten. Und Frankreich ohne König ist in Aufruhr. Im Augenblick ist Castelgard in den Händen von Sir Oliver de Vannes, einem englischen Ritter, der in Frankreich geboren wurde. Darüber hinaus hat Oliver La Roque eingenommen, wo er jetzt die Verteidigungsanlagen der Festung verstärkt. Sir Oliver ist ein unangenehmer Charakter mit notorisch aufbrausendem Gemüt. Man nennt ihn den Schlächter von Crecy, wegen seiner Exzesse in dieser Schlacht.«
»Dann kontrolliert Oliver also beide Städte?« fragte Marek. »Im Augenblick ja. Doch eine Kompanie abtrünniger Ritter, unter der Führung des amtsenthobenen Priesters Arnaut de Cervole —« »Dem Erzpriester«, sagte Marek.
»Ja, genau, dem Erzpriester, stößt in diese Gegend vor und wird zweifellos versuchen, Oliver die Burgen abzunehmen. Wir schätzen, daß der Erzpriester noch einige Tagesreisen entfernt ist. Aber die Kämpfe können jederzeit ausbrechen, wir werden uns deshalb beeilen.« Sie ging zu einer anderen Karte mit größerem Maßstab. Sie zeigte die Klostergebäude.
»Wir kommen ungefähr hier an, am Rand des Foret de Sainte Mere. Von diesem Punkt aus sollten wir genau auf das Kloster hinunterschauen können. Da die Botschaft des Professors aus dem Kloster kam, werden wir direkt dorthin gehen. Wie Sie wissen, nimmt man in einem solchen Kloster die Hauptmahlzeit um zehn Uhr vormittags ein, und der Professor dürfte um diese Zeit anwesend sein. Mit etwas Glück finden wir ihn dort und bringen ihn zurück.«
Marek fragte: »Woher wissen Sie das alles? Ich dachte, es hat noch niemand die Welt betreten.«
»Das stimmt. Das hat noch niemand. Aber Beobachter, die dicht bei ihren Maschinen geblichen sind, haben uns trotzdem soviel an Informationen zurückgebracht, daß wir über diese Zeit Bescheid wissen. Sonst noch Fragen?« Sie schüttelten den Kopf, nein.
»Nun gut. Es ist sehr wichtig, daß wir den Professor finden, solange er noch im Kloster ist. Wenn er nach Castelgard oder La Roque geht, wird es viel schwieriger. Wir haben ein sehr enges Missionsprofil. Ich gehe davon aus, daß wir zwischen einer und drei Stunden dort sind. Wir bleiben die ganze Zeit zusammen. Falls wir getrennt werden, benutzten Sie Ihre Ohrstöpsel, um wieder zusammenzufinden. Wir holen den Professor und kehren sofort zurück. Okay?«
»Verstanden.«
»Sie haben eine Eskorte, die aus zwei Leuten besteht. Ich selbst und Victor Baretto, dort drüben in der Ecke. Sag hallo, Vic.« Der zweite Begleiter war ein mürrischer Kerl, der aussah wie ein ExMarine - ein zäher und fähiger Mann. Barettos Kleidung wirkte eher wie die eines Bauern aus dieser Zeit, sie war weit geschnitten und schien aus einer Art Sackleinen zu bestehen. Er nickte nur und winkte knapp. Anscheinend war er schlechter Laune. »Okay«, sagte Gomez. »Weitere Fragen?« Chris sagte: »Professor Johnston ist jetzt seit drei Tagen dort?« »Stimmt.«
»Was glauben die Leute, wer er ist?«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Gomez. »Wir wissen nicht, warum er die Maschine überhaupt verlassen hat. Er muß einen Grund gehabt haben. Aber da er in der Welt ist, dürfte es für ihn das einfachste sein, als Schreiber aufzutreten oder als Gelehrter aus London auf einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela in Spanien. Sainte-Mere liegt auf der Pilgerroute, und es ist nicht ungewöhnlich, daß Pilger ihre Reise unterbrechen und einen Tag oder eine Woche bleiben, vor allem, wenn sie sich mit dem Abt anfreunden, der ein ziemliches Original ist. Vielleicht hat der Professor das getan. Vielleicht auch nicht. Wir wissen es einfach nicht.«
»Einen Moment mal«, sagte Chris Hughes. »Wird seine Anwesenheit nicht die örtliche Geschichte ändern? Wird er nicht den Ausgang von
Ereignissen beeinflussen?«
»Nein, das wird er nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil er es nicht kann.«
»Was ist mit den Zeitparadoxa?«
»Zeitparadoxa?«
»Genau«, sagte Stern. »Sie wissen schon, Sie reisen in die Vergangenheit und bringen Ihren Großvater um, so daß Sie nicht geboren werden und nicht zurückgehen können, um Ihren Großvater umzubringen —«
»Ach, das.« Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Es gibt keine Zeitparadoxa.«
»Was soll das heißen? Natürlich gibt es die.«
»Nein, die gibt es nicht«, sagte nun eine entschiedene Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um, Doniger stand in der Tür. »Zeitparadoxa finden nicht statt.«
»Was soll das heißen?« fragte Stern. Es ärgerte ihn, daß man seine Frage so unwirsch abtat.
»Die sogenannten Zeitparadoxa«, sagte Doniger, »haben nicht wirklich mit der Zeit zu tun. Sie haben mit Theorien über die Geschichte zu tun, die verführerisch, aber falsch sind. Verführerisch, weil sie einem vorgaukeln, man könne Einfluß auf den Lauf der Ereignisse nehmen. Und falsch, weil man das natürlich nicht kann.« »Man kann keinen Einfluß auf Ereignisse nehmen?« »Nein.«
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