»Eine harmlose Frage, weiter nichts. Mit anderen Worten, Ihr Mann… wie hieß er doch gleich?«
Sydow musste an sich halten, um nicht laut loszuprusten. Klinkes treudoofe Art war wirklich nicht zu übertreffen. Genau richtig, um diese Giftspritze aus der Reserve zu locken.
»Alfred!«, lautete die Antwort, und die Stimme der Frau hörte sich so an, als habe ihr Klinke einen unsittlichen Antrag gemacht. »SS-Sturmbannführer Alfred von Möllendorf.«
»Dienstelle?«
»Prinz-Albrecht-Straße 8. Wo denn sonst?«
»Referat?«
Einfach zum Kugeln, dieser Klinke. Sydow kämpfte mit dem Lachen, obwohl die Angelegenheit eine überaus ernste war.
»Römisch vier A vier.«
»Ihr Hang zur Kryptografie in Ehren, liebe Frau von Möllendorf, aber könnten Sie sich vielleicht etwas klarer…«
»Schutzdienst, Attentatsmeldungen und Überwachungen.« Der Widerwille in der Stimme von Klinkes Gesprächspartnerin erreichte ungeahnte Höhen. »Oder so ähnlich.«
Klinke pfiff durch die Zähne. »Nichts für schwache Nerven!«, ließ er ebenso treuherzig wie boshaft verlauten.
»Wieso?«
»Na ja!«, druckste der bullige Kriminalassistent herum und hüstelte verlegen. »Was immer sein genaues Aufgabengebiet war, hatte er wegen des Attentats auf Heydrich bestimmt jede Menge zu…«
»Wie darf ich das verstehen, Herr… wie war doch gleich Ihr Name?«
»Erich!«, ahmte Klinke den angewiderten Tonfall seiner Kontrahentin nach. »Kriminalassistent Erich Kalinke.«
»Na gut, wie immer Sie auch heißen mögen–«, erwiderte Irene von Möllendorf, drehte sich auf dem Absatz um und musterte Klinke wie einen Dienstboten, der versehentlich den Haupteingang benutzt hat, »ich muss Sie ersuchen, mein Haus umgehend zu…«
»Mein Kompliment!«, fuhr Sydow dazwischen.
»Und wofür?«
»Für die bewundernswerte Haltung, verehrte Frau von Möllendorf«, antwortete der Kommissar gedehnt, schlug die Beine übereinander und kramte sein Zigarettenetui aus dem Sakko, »die Sie im Zusammenhang mit dem Freitod Ihres Mannes an den Tag legen.«
»Was soll das heißen?«
»Damit mir ja kein Fehler unterläuft, trifft es tatsächlich zu, dass Sie Ihren Mann vor ziemlich genau vier Tagen zum letzten Mal gesehen haben?«
Irene von Möllendorf deutete ein Nicken an.
»Ich darf doch wohl annehmen, gnädige Frau, dass Sie sich entweder bei seiner Dienststelle oder anderweitig über seinen Verbleib erkundigt haben? Im Klartext: Wenn der eigene Gatte einfach so von der Bildfläche verschwindet, wäre es doch wohl das Naheliegendste, einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen und ihn anzurufen, oder nicht?«
Die verbiesterte Miene seiner Gesprächspartnerin sprach Bände. Sydow hatte ins Schwarze getroffen. Die Fassade der Irene von Möllendorf begann zu bröckeln, sämtlichen Täuschungsmanövern zum Trotz. »Heißt das, Sie unterstellen mir, das Schicksal meines Mannes lasse mich kalt?«, trat sie trotz allem die Flucht nach vorne an.
»Eins nach dem anderen!«, gab der Kommissar jegliche Zurückhaltung und den Platz im bequemen Plüschsessel auf. »Im Grunde bin ich momentan nur an einem interessiert: Haben Sie seit Mittwoch früh irgendetwas von Ihrem Mann gehört, ja oder nein? Für den Fall, letzteres träfe zu, warum haben Sie keinen Finger gerührt, um herauszukriegen, wo Ihre bessere Hälfte abgeblieben ist?«
Der Hieb saß. Irene von Möllendorf schlug die Augen nieder und blieb Sydow die Antwort schuldig. Der aber ließ sie gar nicht erst zur Ruhe kommen, steckte sein Zigarettenetui wieder ein und fragte: »Ich darf doch wohl annehmen, dass es einen Grund für Ihr–gelinde gesagt–reichlich merkwürdiges Verhalten gibt?«
»Den gibt es.«
»Und welchen?«
Wenn Irene von Möllendorf wie eine trauernde Witwe aussah, dann in diesem Moment. Gerade so, als habe sie die Todesnachricht eben erst erreicht. Sydow suchte ihren Blick, aber sie wich ihm aus, suchte Halt an der Tischkante und ließ sich auf einen der Stühle sinken.
Sydow hatte in ein Wespennest gestochen, die Frage war nur, in welches. »Wollen Sie oder können Sie nicht antworten?«, fragte er und ließ den Blick durch das blitzblanke Wohnzimmer schweifen. Alles tipptopp, dachte er voller Neid. Bei ihm zu Hause sah es da schon wesentlich unordentlicher aus. Um nicht zu sagen chaotisch. Kein Wunder, dass Evelyn Hals über Kopf verduftet war. Genau genommen konnte man es ihr wirklich nicht verdenken. Anders dieses Wohnzimmer hier. Keine Klamotten, die überall herumlagen, keine leeren Bierflaschen, kein dreckiges Geschirr. Verglichen mit seiner Bruchbude wirkte das Einfamilienhaus der Möllendorfs wie das genaue Gegenteil. Das fing mit dem Hitlerbild an und hörte mit der gehäkelten Tischdecke, dem Volksempfänger und allerlei Nippes auf der Anrichte auf. Die perfekte Nazi-Idylle, wenn nur diese Frau nicht gewesen wäre, die mehr Haare auf den Zähnen hatte als er und Klinke am ganzen Körper.
Ein verlegenes Räuspern schreckte Sydow aus seinen Gedanken auf. Mit dem Auftreten nach Gutsherrenart, das seine Kontrahentin offenbar perfekt beherrschte, war es anscheinend endgültig vorbei. Frau von Möllendorf kämpfte mit den Tränen. Ein Anblick, an den sich Tom Sydow erst noch gewöhnen musste.
»Gibt es irgendetwas, das Sie uns zu sagen haben, gnädige Frau?«, meldete sich Klinke zu Wort, tauschte einen Blick mit seinem Vorgesetzten und steckte seinen Notizblock ein.
Irene von Möllendorf wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und schüttelte den Kopf.
»Wenn Sie etwas zum Stand der Ermittlungen beizutragen haben, dann bitte gleich.«
»Ermittlungen?«
»In der Tat.«
»Und weshalb?«
»Weil die Möglichkeit besteht, dass der Freitod Ihres Mannes keiner war«, nahm Sydow erneut das Heft in die Hand.
Irene von Möllendorf wurde aschfahl, und ihre Lippen, nicht viel mehr als ein Strich, begannen zu zittern. »Vermutungen, die auf Fakten beruhen?«, gab sie mit kaum hörbarer Stimme zurück.
»Gegenfrage, verehrte gnädige Frau. Ist Ihr verstorbener Gatte Links- oder Rechtshänder gewesen?« Sydow konnte Klinkes überraschten Blick im Nacken spüren, ließ sich jedoch nicht beirren.
»Ich wüsste nicht, welche Rolle das jetzt noch spielt.«
»Eine nicht zu unterschätzende, fürchte ich.«
»Und welche?«
»Bei allem Verständnis für Ihre Situation–bitte tun Sie mir den Gefallen und beantworten meine Frage.« Sydow wunderte sich, warum ihm die Idee erst jetzt gekommen war. Ein Grund mehr, mit dem Saufen aufzuhören, dachte er, umrundete den Tisch und blieb unmittelbar neben seiner Gesprächspartnerin stehen. »War Ihr Mann Rechtshänder–ja oder nein?«
»Nein.«
»In diesem Fall, fürchte ich, wird dies nicht unser letztes Plauderstündchen mit Ihnen gewesen sein.«
Irene von Möllendorf fuhr herum und sah Sydow schreckerfüllt an. »Heißt das, ich stehe unter Verdacht?«, wimmerte sie.
» Das wohl kaum!«, entgegnete Sydow, wobei er das Gefühl nicht loswurde, zu weit gegangen zu sein.
»Wer dann?«
»Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Frage mit einer weiteren Gegenfrage beantworte.«
»Nur zu.«
»Aus welchem Grund tragen Sie eigentlich Handschuhe, gnädige Frau?«
»Eine Entzündung. Vermutlich das falsche Geschirrspülmittel. Wieso?«
»Komisch–ich dachte immer, jemand in Ihrer Position kann sich locker eine Zugehfrau leisten!«, antwortete Sydow, gab Klinke einen Wink und schlenderte mit demonstrativer Gelassenheit zur Tür.
»Kann ich auch!«, fand Irene von Möllendorf allmählich wieder zu alter Form zurück. »Wo liegt dann das Problem?«
»Das Problem, Gnädigste, liegt darin, dass sich die Gestapo vermutlich nicht mit Daumenschrauben begnügen wird!«, fuhr Sydow sie an. »Wenn die jemanden auf dem Kieker haben, können die Jungs aus der Prinz-Albrecht-Straße verdammt nachtragend sein!«
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