*
Freiherr Georg Ludwig von Hohenstein rieb sich zufrieden die Hände. Vor ihm auf dem Tisch lagen vier Pakete. Zu seiner großen Überraschung waren sie alle ohne Probleme angekommen. Keines der Pakete sah so aus, als sei es vom Zoll oder einem Unbefugten geöffnet worden. Die Sicherheitsfäden, die er beim Verschließen in die Kordeln jedes einzelnen Paketes spiralförmig eingewickelt hatte, waren alle unbeschädigt. Dieser Trick gefiel ihm. Ein Freund vom militärischen Abschirmdienst hatte ihm das einmal gezeigt und vorgemacht, wie man ein Paket mit den Kordeln so umschlingt, dass es absolut unmöglich ist, sich heimlich Zugang zu dem Paketinhalt zu verschaffen, ohne dabei die hauchdünnen Sicherheitsfäden zu zerreißen. Nein, an allen vier Päckchen waren die Fäden intakt. Und nirgendwo war ein kleines Loch zu sehen, das darauf hätte schließen lassen, dass der Inhalt mittels Sonde überprüft worden war. Perfekt! Jedes Teil war da! Endlich!
Das erste Paket war ihm schon vor einigen Tagen unter der Anschrift der Jagdhütte von Ousmane, des Provinzgouverneurs von Ouarzazate, zugestellt worden. Die zweite Sendung war vor vier Tagen in der Post in der Avenue Mohammed V. postlagernd angekommen. Nur eine Woche hatte es von München nach Marrakesch gedauert. Das dritte Päckchen war per DHL an seine Adresse hier in Marrakesch gegangen und auch das vierte, dessen Inhalt sicherlich bei jeder Kontrolle die Aufmerksamkeit eines marokkanischen Zollbeamten erweckt hätte, war per internationalem Kurierdienst in Ouarzazate zugestellt worden. Er ging zwar davon aus, dass einige der Pakete routinemäßig geröntgt worden waren, aber bis auf Paket Nummer vier war das bei keinem ein Problem. Die Metallteile konnte man in einem Röntgenbild absolut nicht als das erkennen, was sie letztendlich waren. Das hatte er in Deutschland extra bei einem befreundeten Arzt in dessen Röntgengerät getestet. Nur das Super ZF 4-12 x 50 mit dem beleuchteten MilDot-Absehen und Paralexenausgleich, das mit dem vierten Paket ankam, war ein wenig kritisch gewesen. Deswegen hatte er als Adressat absichtlich den Namen, Titel und die Anschrift des marokkanischen Provinzgouverneurs angegeben und diesen auch über das zu erwartende Paket informiert. Ein Zielfernrohr war für den Provinzgouverneur als Waffenscheinbesitzer und leidenschaftlicher Jäger nichts Verfängliches. Die fünf wie Kugelschreiber aussehenden Metallstäbe im gleichen Paket wiederum konnten nur nachdenklich machen, wenn man wusste, was in den anderen Paketen war.
Georg von Hohenstein war jetzt endlich entspannt. Die Vorbereitung der ganzen Sache hatte viel Zeit und auch Nerven gekostet. Die Waffe in so viele Einzelteile zu zerlegen, dass jedes Teil für sich völlig nichts sagend war, hatte eine echte Herausforderung dargestellt. Er hatte das Problem mit Hilfe eines Jagdfarmers in Namibia gelöst, bei dem er schon mehrfach als Jagdgast gewesen war. In Namibia wurde mit solchen Waffen gejagt. Ansonsten war ein solches Gerät als Jagdwaffe überall auf der Welt entweder verboten oder verpönt. Er selbst hatte auch lange Zeit Ressentiments gehabt. Dann aber, während eines Aufenthalts in Namibia, war die Ablehnung in grenzenlose Begeisterung umgeschlagen. Pieter, der Besitzer der Jagdfarm, hatte ihn mitgenommen, hatte ihn mit der Handhabung dieser ungewöhnlichen Waffe vertraut gemacht und ihn davon überzeugt, dass die gängigen Vorurteile durch nichts zu begründen waren.
»Die Schockwirkung ist die gleiche wie die eines Gewehres. Das Tier verspürt weder außergewöhnliche Schmerzen, noch leidet es lange. Vorausgesetzt, du triffst richtig. Und, vorausgesetzt, du kommst nahe genug an das Tier heran«, hatte er geschwärmt und ergänzt: »Genau darin liegt die wahre Herausforderung dieser Form des Tötens: Du musst gut sein als Jäger, musst nahe herankommen an das, was du töten willst. So gesehen hat bei dieser Jagd das Opfer eine größere Chance als bei der Jagd mit dem Gewehr samt Zielfernrohr, wo du auf eine Distanz von mehreren hundert Metern anonym schießen und töten kannst. Mit dieser Waffe hier bist du nahe dran, siehst, fühlst und riechst deine Beute. Und umgekehrt! Zwischen Opfer und Jäger existiert eine Verbindung. Es kann sein, dass du in die Augen jenes Wesens blickst, das du zu töten bereit bist. Das ist Jagd! So wie in den Zeiten des Urmenschen. Und sie ist lautlos! Wenn du ein guter Schütze bist und da triffst, wo der Tod im Körper lebt, wird das Röcheln des getroffenen Opfers das Einzige sein, was du hörst.«
Diese Worte Pieters hatte er nie vergessen. Niemals in seinem Leben zuvor hatte er ein derart ausgeprägtes Verlangen verspürt, seiner Beute so nahe zu sein, wenn er sie tötete. Mit dieser Waffe würde er ihn töten! Bald. Er musste nur Geduld haben. Er wusste bereits, wo sie sich versteckten. Die Waffe brauchte nur zusammengebaut zu werden. So, wie sie jetzt vor ihm lag, in mehr als dreißig Teile zerlegt, sah sie unscheinbar und harmlos aus – nicht wie eine Waffe. Gelöst lehnte Georg von Hohenstein sich zurück. Er verließ seine Suite über die Terrasse und ging dann zu einer Couch nahe dem Swimmingpool und ließ sich eine Flasche Rotwein bringen. Die späte Nachmittagssonne kolorierte die beiden Seitenflügel der Villa in zarten Pastellfarben. Der Swimmingpool erstrahlte in kristallklarem Blau. Das in einer ebenso beeindruckenden wie auch eigenwilligen Architektur einer römischen Villa nachempfundene Palais Rhoul gefiel ihm außergewöhnlich gut. Er war begeistert. Ein Freund aus Paris, der seit langer Zeit in Marrakesch lebte, hatte ihm dieses auf fünf Hektar Land erbaute Juwel marokkanischer Lebenskunst empfohlen. Es entsprach geradezu perfekt Georgs persönlichem Lebensstil wie auch den Erfordernissen seines Vorhabens.
Wenngleich er nach seiner Ankunft von Ouarzazate im Palais Rhoul sehr versucht gewesen war, das im Garten aufgebaute, extrem luxuriöse Royale-Zelt mit seinen hundert Quadratmetern, mit einem kleinen Pool im Schlafzimmer, mit Kamin und Deluxe-Plüsch-Ambiente zu nehmen, hatte er sich letztendlich für eine Suite im Haupthaus entschieden. So geschmackvoll und luxuriös dieses Royale-Zelt auch war, so wenig sicher schien es ihm für sein Vorhaben. Die Suiten in dem U-förmig um den Pool herum gebauten Haupthaus waren abschließbar und schalldicht. Hier konnte er ungestört telefonieren und seine vier Pakete auspacken, ohne dabei überrascht zu werden.
Georg Ludwig von Hohenstein atmete tief durch. Er fühlte sich wohl, war aber auch von sich selbst überrascht. Dafür, dass er mit der Planung eines Mordes an einem Menschen befasst war, fühlte er sich außergewöhnlich entspannt. Moralische Bedenken bedrückten ihn nicht. Sein Unrechtsbewusstsein war durch sein Verlangen nach Rache, nach gerechtfertigter Rache verdrängt worden. Was er vorhatte, musste er tun. Es war weder gesetz- noch rechtmäßig, aber es war gerechtfertigt. Und es war die einzige Möglichkeit, zumindest zu versuchen, sein Leben wieder erträglich zu machen. Und das von Klara. Gestern hatte er mit der Klinik am Chiemsee telefoniert. Sie lag noch immer in diesem medizinisch schwer einzuschätzenden Tod-Leben-Wach-Tiefschlafzustand. Sie lebte, aber sie war tot.
Georg von Hohenstein betrachtete die Anlage des Palais Rhoul. Sein Versteck lag auch unter logistischen Kriterien optimal. Zum Zentrum von Marrakesch waren es kaum mehr als zwanzig Minuten. Der Flughafen war in dreißig Minuten zu erreichen. Und das Versteck der Araber lag, so wie das Palais Rhoul, in der Palmeraie – also ganz in seiner Nähe! Alles war absolut perfekt!
Dass er sich so sonderbar zufrieden und wohl fühlte, hatte aber auch andere Gründe. Es war das Bewusstsein, seit langer Zeit wieder einmal etwas zu tun, das nicht mit Geld, mit dem Mehren des Vermögens, der Verwaltung der Güter und Wertpapiere und mit dem Gieren nach mehr zu tun hatte. Er war sich an diesem Abend im Palais Rhoul in der Palmeraie von Marrakesch absolut sicher, dass sein Plan gelingen würde. Sein Opfer hatte er bereits lokalisiert. Es wohnte im Palmeraie Golf Palace, einer noblen Hotelanlage.
Читать дальше