Dunkelrot vor Zorn, riss Rembrandt die Karte an sich und baute sich drohend vor seinem Kontrahenten auf. »Dafür wirst du mir büßen, Arschficker!«, zischte er, nur um Sekundenbruchteile später in die Mündung eines Revolvers vom Fabrikat Smith & Wesson zu blicken. »Her mit den Moneten, sonst …«
»Sonst was?«, fuhr Grant ihn an. »An Ihrer Stelle, Sie Dilettant, würde ich meine Waffe stecken lassen und den Mund nicht so voll nehmen. So, und jetzt raus hier, bevor ich es mir anders überlege und Ihnen eine Kugel verpasse. Hören Sie schlecht? Raus!«
Kurz davor, endgültig die Beherrschung zu verlieren, fletschte Rembrandt die Zähne und stierte den Mann, der ihm die schmerzlichste Lektion seines bisherigen Lebens verpasst hatte, mit einer Mischung aus Hass, Verblüffung und ungläubigem Staunen an und ließ die Karte in der Innentasche seiner Uniformjacke verschwinden. Kaum war dies geschehen, riss er die Tür auf und verschwand.
Für Grant, der seine Waffe achtlos aus der Hand gleiten ließ, jedoch kein Grund zur Freude. »So, und jetzt zu uns beiden«, murmelte er, griff zum Hörer und wählte. Bis das Freizeichen ertönte, dauerte es beinahe eine halbe Minute, und das Knacken in der Leitung, verlässliches Indiz für einen mithörenden Agenten, versetzte ihn in ungeahnte Euphorie. Grant strahlte über das ganze Gesicht, alsbald von einer sämtliche Sinne lähmenden, überall an seinem Körper spürbaren Taubheit erfasst. »Wäre doch gelacht, wenn ich es nicht schaffen würde, dich aufs Kreuz zu … Hallo, Mister K, schön, Sie am Apparat zu haben.«
Um seinen Gesprächspartner ans Messer zu liefern und sich für all das, was ihm angetan worden war, zu rächen, brauchte Gregory Boynton Grant nur wenig Zeit. Danach war das Leben von Oleg Kwaczynski, schwerreicher und zugleich schwerkranker Ölmagnat, Kunstmäzen und Baulöwe aus Chicago, keinen Schuss Pulver mehr wert.
Im wortwörtlichen wie auch übertragenen Sinn.
Mit sich und der Welt im Reinen. legte Grant auf, schloss die Augen und verlor kurz darauf das Bewusstsein, ein entspanntes Lächeln im Gesicht.
32
Berlin-Wannsee, Seestraße | 14.25 h
»Ich habe gewusst, dass du kommen wirst, Tom. Die Frage war eigentlich nur, wann«, sprach Lea von Oertzen mit Blick auf die neueste Ausgabe der Morgenpost, die aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch lag, erhob sich und trat an die Terrassentür, von der aus man einen ungestörten Blick auf den Wannsee genoss. Wind kam auf, und im Licht der Nachmittagssonne, die immer häufiger hinter dichtem Gewölk verschwand, bildeten sich smaragdfarbene Schaumkronen.
Sydow, der sich wie ein schüchterner Pennäler vorkam, hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte. In Gegenwart seiner Jugendliebe, die er mit 17 aus den Augen verloren hatte, fiel es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden und den Grund für seinen Besuch, nämlich die Vergangenheit ihres unlängst verstorbenen Gatten, nicht zu vergessen. Zu viel ging ihm in diesem Moment durch den Kopf, als dass er sich voll und ganz darauf hätte konzentrieren können, nicht zuletzt die Zeit mit Lea, die an seinem inneren Auge vorüberzog. Damals, im Sommer 1930, war die Welt noch in Ordnung gewesen, anders als heute, wo kein Tag verging, an dem er nicht mit den Abgründen der menschlichen Existenz konfrontiert wurde.
»Tut mir leid, Lea, dass ausgerechnet ich es bin, der … der …« Auch sonst nicht unbedingt dafür geschaffen, die richtigen Worte zu finden, blieb Sydow mitten im Satz stecken und stierte verlegen vor sich hin.
»Der mir eine derartige Hiobsbotschaft überbringen musste, meinst du?«, sprang Lea von Oertzen, der seine Befangenheit nicht entgangen war, bereitwillig in die Bresche. »Darf ich dir etwas anvertrauen, Tom? Etwas, das dich vermutlich überraschen wird?«
»Na klar, Lea – was immer du auf dem Herzen hast.«
Die Dame des Hauses lächelte, wurde jedoch umgehend wieder ernst und blickte mit angespannter Miene zum Fenster hinaus. Tief in Gedanken, folgte ihr Blick dem hufeisenförmigen Pfad, der sich an einem Birkenwäldchen vorbei zum Bootssteg schlängelte. »Ich habe es kommen sehen, Tom. All die Jahre über habe ich es kommen sehen.«
»Hört sich ziemlich deprimierend an.«
»War es auch, Tom – falls du die Erfahrungen meinst, die ich während meiner Ehe mit Hans-Hinrich machen musste.«
»Wann habt ihr beide geheiratet?«
»Exakt vier Jahre, nachdem sich ein gewisser Tom Sydow am Ende der Sommerferien wieder Richtung England verabschiedet hatte. Von dem ich zwar noch zwei, drei Briefe bekam, danach aber nichts mehr gehört und noch weniger gesehen habe.« Lea von Oertzen senkte den Kopf und fuhr mit der Hand an der rechten Schläfe entlang. »Der größte Fehler meines Lebens, wenn du es genau wissen willst.«
»Aber …«
»Kein ›Aber‹, Tom«, ließ ihn die dunkelblonde, ein wenig zu schlanke und für ihr Alter beinahe jugendlich wirkende Hausherrin erst gar nicht ausreden. »Ich weiß genau, wovon ich rede. Falls du auf Veronika anspielst – sie ist der Grund, weshalb ich nicht schon frühzeitig einen Schlussstrich gezogen habe.«
»Liegt es«, tastete sich Sydow mit der gebotenen Vorsicht voran, »liegt es womöglich daran, dass dein Mann während des Dritten Reiches Karriere gemacht hat?«
Lea von Oertzen musste wider Willen schmunzeln. »Nur keine falsche Rücksichtnahme, Tom«, ermunterte sie ihn. »Ja, das war der Grund«, räumte sie ein, »aber nicht nur.«
»Sondern?«
»Sondern weil er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. Karriere zu machen ist eine Sache, mit Verbrechern zu paktieren dagegen eine andere.«
»Will heißen: Er war in der SS.«
Sie nickte. »In meiner Naivität wollte ich es zunächst nicht wahrhaben, worauf sich Hans-Hinrich da eingelassen hatte. Später, während des Krieges, ist mir dann allmählich ein Licht aufgegangen. Aber da war es längst zu spät.«
»Kriegsverbrechen?«
»Mehr, als man sich vermutlich vorstellen kann«, antwortete die hochgewachsene Frau, bemüht, nach außen hin gefasst zu wirken. »Oder will – je nachdem. So ungeheuerlich, dass seine Schuld niemals getilgt werden kann.«
»Wie hast du davon erfahren?«
»Vor nicht ganz drei Wochen.«
Sydow hielt es nicht mehr auf dem Sofa aus. »Wie bitte?«, stieß er ungläubig hervor, auf dem besten Weg, jeglichen Kredit zu verspielen. »Das meinst du doch wohl nicht ernst.«
»Typisch Kriminalist«, lautete die verbitterte Replik, »kein Vertrauen, nicht einmal zu mir.«
»Tut mir leid, Lea, ich tue doch nur meine …«, beeilte sich Sydow, seinen Schnitzer wiedergutzumachen, wurde jedoch jäh unterbrochen.
»Pflicht, Treue, Ehre und diese ganzen abgedroschenen Floskeln – du glaubst gar nicht, wie mich das anekelt, Tom.«
»Dann lass uns über etwas anderes reden.«
»Schon gut, Tom – besser jetzt als nie.«
»Mir kannst du alles sagen, das weißt du.«
Ein wehmütiges Lächeln im Gesicht, drehte sich Lea von Oertzen, geborene von Hardenberg, zu ihrem Jugendfreund um. Sydow war wie betäubt, so hinreißend kam sie ihm vor. Hellblaue Augen, weiche, von hohen Wangenknochen gesäumte Gesichtszüge, winzige, ungeheuer anziehend wirkende Lachfalten – man musste schon ziemlich bescheuert sein, wenn man diese Frau links liegen ließ. Oder Hans-Hinrich von Oertzen heißen.
»Wie wir uns auseinandergelebt haben, willst du wissen?«, las Lea von Oertzen ihrem Besucher die Gedanken von den Augen ab. »Er hat mich betrogen, so oft, dass es mir zuletzt nichts mehr ausgemacht hat.«
»Und woran ist er gestorben?«
»Kehlkopfkrebs.«
»Der Grund für eine abschließende Generalbeichte?«
Von Oertzens Witwe nickte. »So könnte man es nennen, Tom. Seltsam – aber er hatte wahnsinnige Angst vor dem Sterben. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was er alles verbrochen hat. Geiselerschießungen, Standgerichte, Kampf bis zum letzten Mann – um nur einige seiner Gräueltaten zu nennen.«
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