In seinem Büro füllte er zwei Schwenker ein.
»Ich kann es Ihnen von den Augen ablesen, daß Sie das Zeug verabscheuen«, stellte der Pfarrer fest. »Lassen Sie es stehen. Sind Sie wegen des Films gekommen, den dieser Verrückte dort drüben im Studio gerade abdreht? Ist Fritz Wong wirklich so durchgedreht, wie oft behauptet wird?«
»Und genauso erstklassig.«
»Es tut gut, wenn man einen Schreiber seinen Boß loben hört. Das habe ich höchst selten getan.«
»Sie!?«
Pfarrer Kelly lachte. »Als junger Mann habe ich neun Drehbücher geschrieben; keines davon wurde je verfilmt, und es hätte auch keines viel hergegeben. Bis zu meinem Fünfunddreißigsten habe ich alles mögliche getan, nur um zu verkaufen, mich zu verkaufen, hineinzukommen, weiterzukommen. Dann sagte ich mir, hol’s der Teufel, und ich wurde Geistlicher, wenn auch spät. Es war nicht einfach. Die Kirche klaubt solche wie mich nicht sehr gerne von der Straße auf. Doch ich absolvierte das Priesterseminar durchaus mit Stil, hatte ich doch vorher an jeder Menge christlicher Dokumentarfilme mitgearbeitet. Und was treiben Sie so?«
Ich saß lachend vor ihm.
»Was ist daran so komisch?« fragte Pfarrer Kelly.
»Ich habe ganz den Eindruck, daß sich die Hälfte der Autoren vom Studio – wenn sie wüßten, daß Sie auch jahrelang geschrieben haben – hier herüberschliche, aber nicht um zu beichten, sondern vielmehr, um sich Antworten abzuholen! Wie würden Sie diese Szene beschreiben, wie könnte man jene zu Ende bringen, wie könnte man ein bißchen kürzen, wie …«
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!« Der Pfarrer kippte den Whisky hinunter und füllte sich vergnügt ein zweites Glas ein; dann plauderten wir wie zwei alte Filmhasen aus der hohen Schule der Drehbuchschreiberei. Ich setzte ihm meinen Messias auseinander, er erzählte mir von seinem Christus.
Schließlich sagte er: »Hört sich ganz so an, als hätten Sie das Drehbuch recht ordentlich zusammengeflickt. Letztendlich haben die alten Knaben vor zweitausend Jahren auch nicht mehr als solide Flickschusterei betrieben. Sehen Sie sich nur die Unterschiede zwischen Matthäus und Johannes an.«
Ich rutschte ungeduldig auf meinem Stuhl herum, traute mich aber nicht, kochendes Öl auf einen Gottesmann zu gießen, der gerade kühles, heiliges Quellwasser spendete.
Ich erhob mich. »Tja, vielen Dank, Herr Pfarrer.«
Er schaute meine ausgestreckte Hand an. »Sie haben eine Pistole mitgebracht«, sagte er wie nebenbei, »aber Sie haben sie noch nicht abgefeuert. Drücken Sie Ihren Hintern wieder auf den Stuhl und schießen Sie los.«
»Reden alle Priester so?«
»In Irland schon. Legen Sie los. Sie haben laut gegackert, aber Sie haben noch kein Ei gelegt.«
»Ich glaube, jetzt nehme ich doch einen Schluck davon.« Ich nahm das Glas und nippte an seinem Inhalt. »Also … Stellen Sie sich vor, ich sei Katholik …«
»Ich stelle es mir vor.«
»Einer, der unbedingt die Beichte ablegen muß …«
»So geht es allen.«
»Ich komme also nach Mitternacht hierher …«
»Eine sehr ungewöhnliche Stunde.« Doch ich sah, wie in jeder seiner Pupillen eine Kerze aufflammte.
»Ich klopfe an die Tür …«
»Würden Sie so etwas wirklich tun?« Er beugte sich leicht nach vorne. »Fahren Sie fort.«
»Würden Sie mich einlassen?« fragte ich.
Genausogut hätte ich ihn in seinen Stuhl zurückschubsen können.
»Waren die Kirchen dereinst nicht rund um die Uhr geöffnet?« hakte ich nach.
»Das ist schon lange her«, antwortete er viel zu hastig.
»Dann würden Sie mich also nicht einlassen, Herr Pfarrer, wenn ich des Nachts mit einem dringenden Anliegen bei Ihnen anklopfte?«
»Warum sollte ich das nicht tun?« Der Kerzenschein in seinen Augen flackerte auf, als hätte ich den Docht aufgerichtet.
»Selbst für den schlimmsten Sünder, der je auf Gottes Erdboden gewandelt ist, Herr Pfarrer?«
»Es gibt sie nicht, so eine Kreatur.« Zu spät: seine Zunge klebte an dem letzten, fürchterlichen Wort fest. Seine Augen tanzten wild umher, die Lider zuckten. Er revidierte seine Aussage, gab ihr einen anderen Dreh.
»Es gibt keine solche Person.«
Ich ließ nicht locker: »Aber was wäre, wenn Judas selbst an der Tür stünde …«, ich machte eine kleine Pause, »… spät in der Nacht?«
»Judas Ischariot? Wegen ihm würde ich aufstehen, ganz bestimmt.«
»Und was, Herr Pfarrer, wenn dieser verlorene, furchtbare Mann nicht nur einmal pro Woche anklopfte, sondern fast jede Nacht, das ganze Jahr über? Würden Sie aufstehen, oder würden Sie sein Klopfen überhören?«
Das gab ihm den Rest. Pfarrer Kelly sprang auf, als hätte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Farbe verschwand von seinen Wangen und aus seinen Haarwurzeln.
»Sie haben bestimmt woanders dringende Geschäfte zu erledigen. Ich möchte Sie nicht länger aufhalten.«
»Aber nein, Herr Pfarrer.« Ich bemühte mich, mutig zu sein. »Sie möchten gerne, daß ich weggehe. Auf die Woche genau vor zwanzig Jahren …«, ich stolperte einfach weiter, »… klopfte jemand an die Tür, mitten in der Nacht …«
»Nein, hören Sie auf damit! Gehen Sie!«
Es war der schreckerfüllte Schrei von Starbuck, der Ahabs Blasphemie ungeschehen machen wollte, der letzte Angriff auf den riesenhaften weißen Fleischberg: »Raus!«
»Raus? Sie gingen damals hinaus, Herr Pfarrer.« Mein Herz raste und warf mich beinahe im Sessel hin und her. »Sie gingen hinaus und ließen den Krach und das Getöse und das Blut herein. Vielleicht haben Sie gehört, wie die Autos aufeinanderprallten. Dann die Schritte und dann das laute Klopfen und die schreienden Stimmen. Vielleicht geriet der Unfall außer Kontrolle, wenn es denn ein Unfall war. Vielleicht brauchten sie ja auch nur einen ordentlichen, mitternächtlichen Zeugen, einen, der alles sah, aber nicht redete. Sie ließen die Wahrheit herein und haben sie seither für sich behalten.«
Ich sprang auf und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Kaum stand ich auf den Füßen, da sank der Pfarrer wie plötzlich seiner Knochen beraubt in seinen Stuhl zurück, als wären wir über Flaschenzüge und Gewichte miteinander verbunden.
»Sie waren Augenzeuge, nicht wahr, Herr Pfarrer? Es geschah nur wenige Meter von hier entfernt, in jener Halloween-Nacht im Jahre 1934. Wurden die Opfer anschließend nicht hierher gebracht?«
»Gott vergib mir«, murmelte der Priester. »Ja.«
Eben noch vom Feuer der Leidenschaft erfüllt, verließ Pfarrer Kelly nun sein aufrührerischer Geist, und der Gottesmann sank Schicht um Schicht tiefer in sich hinein.
»Waren bereits alle tot, als die Menge sie hereintrug?«
»Nicht alle«, sagte der Priester, vom Schock der Erinnerung geschüttelt.
»Danke, Herr Pfarrer.«
»Wofür?« Er hatte die Augen vor den schmerzlichen Erinnerungen verschlossen und riß sie nun in neuerlicher Qual weit auf. »Wissen Sie, auf was Sie sich da eingelassen haben?!«
»Ich habe Angst, danach zu fragen.«
»Dann gehen Sie schleunigst nach Hause, waschen Sie sich das Gesicht und – ein sündiger Ratschlag – lassen Sie sich vollaufen!«
»Dafür ist es zu spät. Pfarrer Kelly, haben Sie einem der Opfer, oder gar allen, die Letzte Ölung gegeben?«
Pfarrer Kellys Kopf zuckte hin und her, als wolle er mit der Wackelei die bösen Geister vertreiben.
»Und wenn es so wäre?«
»Der Mann namens Sloane?«
»War bereits tot. Ich habe ihn statt dessen gesegnet.«
»Und der andere Mann …?«
»Der große, der berühmte, der allmächtige …?«
»Arbuthnot«, vollendete ich den Satz.
»Ihn habe ich gesalbt und ihm die Sakramente gespendet. Dann ist er gestorben.«
»Kalt und tot, für immer von uns gegangen, richtig mausetot?«
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