»Hier.«
»ARBUTHNOT, DER STUDIOMAGNAT, BEI AUTOUNFALL GETÖTET«, war der erste überschrieben. »C. Peck Sloane, sein Kompagnon bei Maximus-Studio, und seine Frau Emily bei selbem Unfall ums Leben gekommen.«
Crumley pochte auf den dritten Artikel. »Die Sloanes wurden am gleichen Tag wie Arbuthnot begraben. Die Totenmesse wurde in der gleichen Kirche direkt gegenüber dem Friedhof gehalten. Alle drei im gleichen Friedhof auf der anderen Seite der Mauer begraben.«
»Wo passierte der Unfall denn?«
»Um drei Uhr morgens, an der Gower Street, Ecke Santa Monica Boulevard.«
»Mein Gott! Das ist die Ecke am Friedhof! Gerade eine Straßenecke vom Studio entfernt!«
»Äußerst praktisch, was?«
»Spart einem Wege. Wenn du direkt vor der Leichenhalle stirbst, brauchen sie dich nur noch hineinzukarren.«
Crumley beugte sich stirnrunzelnd über einen anderen Artikel. »Sieht so aus, als hätten sie eine scharfe Halloween-Party gefeiert.«
»Und Sloane und Arbuthnot sind dabeigewesen?«
»Hier steht, Doc Phillips hätte ihnen angeboten, sie nach Hause zu bringen, doch sie lehnten ab, obwohl sie getrunken hatten. Der Doc fuhr mit seinem Wagen vor den anderen beiden her, um den Weg zu sichern; als er bei Gelb über eine Ampel fuhr, sausten Arbuthnot und Sloane bei Rot hinterdrein. Ein nicht näher bekanntes Auto hätte sie beinahe erwischt. Das einzige Auto, das um drei Uhr morgens unterwegs war! Die Wagen von Arbuthnot und Sloane kamen ins Schleudern, gerieten außer Kontrolle, knallten gegen einen Telefonmast. Doc Phillips war mit seiner Arzttasche sofort bei ihnen, aber zu spät. Sie waren alle tot. Die Leichen wurden in die hundert Meter entfernte Leichenhalle gebracht.«
»Meine Güte«, sagte ich. »Das paßt ja perfekt!«
»Genau«, sinnierte Crumley. »Eine Mordsverantwortung für den pillendrehenden Drogendoktor. Schöner Zufall, daß er direkt dabei war. Er, der sowohl für die ärztliche Versorgung als auch für die Polizei auf dem Studiogelände verantwortlich war! Er, der die Leichen in die Leichenhalle transportiert hat. Hat er die Leichname auch gleich als Leichenbestatter zurechtgemacht? Bestimmt! Er war finanziell an dem Friedhof beteiligt, hatte in den frühen Zwanzigern mitgeholfen, die ersten Gräber dort auszuheben. Er sah sie kommen und gehen, und auch zwischendrin kümmerte er sich um sie.«
Fleisch kann wirklich unter der Haut kriechen, dachte ich und betastete meine Oberarme.
»Hat Doc Phillips die Totenscheine ausgestellt?«
»Ich hatte gehofft, du würdest nicht danach fragen.« Crumley nickte.
Constance, die wie gelähmt auf die Zeitungsartikel gestarrt hatte, äußerte sich endlich. Sie sprach mit Lippen, die sich kaum bewegten: »Wo ist dieses Bett?«
Ich führte sie nach nebenan und setzte mich auf den Bettrand. Sie hielt meine Hände wie eine aufgeschlagene Bibel und atmete schwer ein.
»Kleiner, hat dir schon jemals jemand gesagt, daß dein Körper nach Cornflakes und dein Atem nach Honig riecht?«
»H. G. Wells. Die Frauen waren verrückt nach ihm.«
»Zu spät für Verrücktheiten. Meine Güte, deine Frau ist ein richtiger Glückspilz, daß sie jeden Abend mit einer gesunden Mahlzeit ins Bett gehen kann.«
Sie legte sich mit einem Seufzer auf das Bett. Ich setzte mich auf den Fußboden und wartete, bis sie die Augen zumachte.
»Wie kommt es«, murmelte sie, »daß du in den drei Jahren nicht älter geworden bist? Und ich? Tausend Jahre.« Sie lachte leise. Aus ihrem rechten Augenwinkel löste sich eine dicke Träne und rollte ins Kopfkissen.
»Ach, Mist«, sagte sie klagend.
»Sag’s mir«, forderte ich sie auf. »Sag es. Was?«
»Ich war dort«, murmelte Constance. »Vor zwanzig Jahren. Im Studio. In der Nacht von Halloween.«
Ich hielt den Atem an. Hinter mir glitt ein Schatten in den Türrahmen; Crumley stand dort und hörte stillschweigend zu.
Constance schaute an mir vorbei in ein anderes Jahr und in eine andere Nacht.
»Es war die verrückteste Party, die ich je mitgemacht habe. Alle waren maskiert, niemand wußte, wer was trank oder warum. In jedem Atelier gab es Schnaps in rauhen Mengen, und ebenso wurde in den Seitenstraßen gereihert, und hätte man Tara und Atlanta in dieser Nacht errichten wollen, sie wären in Flammen aufgegangen. Es mußten ungefähr zweihundert kostümierte Statisten dort gewesen sein und noch mal dreihundert ohne Kostüme, die den Alkohol durch den Tunnel beförderten, als wäre die Prohibition noch in vollem Schwange. Selbst wenn der Schnaps ganz legal zu kriegen ist, will man doch seinen Spaß haben, vermute ich. Geheime Durchgänge zwischen den Gräbern und den sauren Gurken, den gedumpten Filmen in den unterirdischen Gewölben. Damals ahnte niemand, daß der Tunnel schon bald zugemauert werden würde, eine Woche nach dem Unfall.«
Der Unfall des Jahres, dachte ich. Arbuthnot tot und das Studio wie eine Herde Elefanten auf kürzeste Entfernung einfach abgeknallt.
»Es war kein Unfall«, hauchte Constance.
Hinter ihrem blassen Gesicht hielt sie eine private Düsternis versteckt.
»Morde«, sagte sie. »Selbstmord.«
Der Puls klopfte mir in der Hand. Sie hielt sie fest umschlossen.
»Ja«, nickte sie, »Selbstmord und Mord. Wir haben nie herausgekriegt, wie, warum und was. Du hast die Zeitungsberichte gesehen. Zwei Wagen an der Ecke Gower und Santa Monica, spät, keiner hat etwas gesehen. Die Maskierten rannten alle in ihren Masken davon. Die Studiostraßen sahen aus wie die Kanäle Venedigs im Morgengrauen, mit den leeren Gondeln, die Anlegestellen mit Ohrringen und Unterwäsche übersät. Auch ich rannte. Später wollten Gerüchte wissen, Sloane habe Arbuthnot mit Sloanes Frau vor oder hinter der Mauer erwischt. Vielleicht hat auch Arbuthnot Sloane mit seiner eigenen Frau erwischt. Mein Gott, wenn man in die Frau eines anderen verliebt ist, und sie schläft auf einer verrückten Party mit ihrem eigenen Ehemann, das kann einen doch ganz schön auf die Palme bringen, oder nicht? Und so rast ein Auto dicht hinter dem anderen durch die nächtlichen Straßen. Arbuthnot mit hundertzwanzig hinter den Sloanes her. An der Gower rammt er sie von hinten und schleudert sie gegen einen Straßenmast. Die Nachricht schlägt auf der Party wie eine Bombe ein! Doc Phillips und Groc und Manny sausen sofort los. Sie tragen die Opfer in die nahe gelegene katholische Kirche. Arbuthnots Kirche. Wo er Geld hingetragen hatte, als Hintertürchen sozusagen, sein Hintertürchen aus der Hölle, wie er immer sagte. Aber es war zu spät. Sie starben und wurden über die Straße in die Leichenhalle gebracht. Die ist jetzt schon lange verschwunden. Am nächsten Tag im Studio sahen Doc und Groc aus, als wären sie bei ihrem eigenen Begräbnis als Sargträger engagiert worden. Bis zum Mittag beendete ich die letzte Szene des letzten Films, den ich je gedreht habe. Das Studio machte eine Woche lang zu. Jedes Atelier, jede Halle wurde mit Trauerband dekoriert, in allen Straßen wurden künstliche Nebelwolken versprüht, oder reime ich mir das jetzt zusammen? Die Schlagzeilen berichteten, die drei seien glücklich betrunken nach Hause unterwegs gewesen. Falsch. Es war Rache, unterwegs, um zu töten. Die armen balzenden Männchen und die arme liebeskranke Schnepfe wurden zwei Tage später hinter der Mauer begraben, dort wo einst der Schnaps in Strömen gelaufen war. Der Friedhofstunnel wurde zugemauert und – zum Teufel«, sie seufzte, »ich dachte, das alles wäre jetzt vorbei. Doch heute abend, mit dem offenen Tunnel, mit Arbuthnots falscher Leiche auf der Mauer und mit diesem verrückten, traurigen Mann in deinem Film hat alles wieder angefangen. Was hat das alles zu bedeuten?«
Ihre Uhr blieb stehen, ihre Stimme wurde immer leiser, sie schlief ein. Noch zuckte der Mund leise. Wortgespenster kamen heraus, in kleinen Fetzen und Stückchen.
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