»Sind Sie auch der Urheber der anderen Nachricht, die Roy und mich zum Brown Derby lockte, damit wir das Monster zu sehen bekamen?«
»Der bin ich.«
»Und das alles«, sagte ich wie gelähmt, »nur aus Jux?«
»Nicht ganz. Wie Sie vielleicht wissen, sitzt das Studio quer über der riesigen Erdspalte, die unter dem Namen San-Andreas-Spalte bekannt ist, ein Riß in der Erdkruste, der für Erdbeben geradezu prädestiniert ist. Ich spürte die Beben schon vor Monaten. Also stellte ich die Leiter auf und erweckte die Toten – und ließ auch sozusagen meine Bezahlung anheben.«
»Erpressung«, flüsterte Crumley in meinem Hinterkopf.
Groc genoß seine eigenen Enthüllungen sichtlich: »Auf diese Weise konnte ich Manny, Doc, J. C, praktisch jeden erschrecken, das Monster inbegriffen!«
»Das Monster? Sie wollten das Monster erschrecken?«
»Warum auch nicht? Die ganze Meute, den ganzen Haufen! Alle schön zahlen lassen, solange sie nicht herausfinden, daß ich hinter all dem stecke. Einen Aufstand anzetteln, den Zaster einstecken und dann nichts wie weg!«
»Das bedeutet, mein Gott, daß Sie alles über Arbuthnots Vergangenheit wissen, auch über seinen Tod. Wurde er vergiftet? Ist es das?«
»Ach«, winkte Groc ab. »Theorien, Spekulation.«
»Wie viele Leute wissen, daß Sie die Weltreise gebucht haben?«
»Nur Sie, Sie armer, trauriger, dem Untergang geweihter Junge. Aber ich vermute, daß jemand Lunte gerochen hat. Warum sollte sonst das Haupttor verschlossen sein und ich hier in der Falle sitzen?«
»Stimmt«, sagte ich. »Gerade vorhin haben sie das Grab von Jesus mit dem anderen Plunder hinausgeschafft. Sie brauchen eine Leiche, die mit auf die Reise geht.«
»Mich«, sagte Groc plötzlich sehr nüchtern.
Ein Wagen des Studiowachdienstes schob sich neben uns.
Ein Wachmann lehnte sich heraus.
»Manny Leiber sucht Sie.«
Groc sackte zusammen, sein Fleisch in sein Blut, sein Blut in seine Seele und seine Seele in das große Nichts.
»Das wär’s dann wohl«, flüsterte Groc.
Ich dachte an Mannys Büro, an den Spiegel hinter dem Schreibtisch und an die Katakomben auf der anderen Seite des Spiegels.
»Halten Sie an und hauen Sie ab«, sagte ich.
»Sie Narr«, sagte Groc. »Wie weit würde ich wohl kommen?« Er packte meine Hand mit zitternden Fingern. »Sie sind ein Schwachkopf, aber ein liebenswerter Schwachkopf. Nein, jeder, der von jetzt an mit mir gesehen wird, wird mit mir den Mahlstrom hinabgezogen, wenn sie an der Kette ziehen. Nehmen Sie das.«
Er schob seine Aktentasche auf den Sitz zu mir herüber, öffnete sie kurz und machte sie sofort wieder zu. Ich sah gebündelte Hundertdollarscheine aufblitzen.
»Greifen Sie zu«, sagte Groc. »Ich habe jetzt keine Verwendung mehr dafür. Verstecken Sie es schnell. Geld auf der hohen Kante, bis an Ihr Lebensende.«
»Nein, vielen Dank.«
Er schubste sie erneut gegen mein Bein. Ich schreckte zurück, als wäre mir ein Dolch aus Eis ins Knie gedrungen.
»Schwachkopf«, sagte er. »Aber ein liebenswerter Schwachkopf.«
Ich stieg aus.
Das Polizeiauto, das mit brummendem Motor weiterkroch, hupte einmal kurz. Groc warf einen gehetzten Blick dorthin, dann betrachtete er sich meine Ohren, meine Augenlider, mein Kinn.
»Ihre Haut wird noch an die, sagen wir, dreißig Jahre ohne Ausbesserungsarbeiten auskommen, plus minus ein Jahr.«
Dicker Schleim sammelte sich um seinen Mund. Er verdrehte die Augen, packte das Steuer mit saugenden, grabbelnden Fingern und brauste davon.
Der Polizeiwagen bog um die Ecke, und sein Wagen fuhr hinterher. Ein kleiner Leichenzug, auf dem Weg zur Mauer am hinteren Studiogelände.
63
Ich kletterte die Stiegen zu Maggie Botwins Reptilienpalast empor. Den Namen hatte er wegen der vielen herausgeschnittenen Szenen, der sich kringelnden Filmschnipsel erhalten, die sich im Abfalleimer oder auf dem Fußboden schlängelten.
Der kleine Raum lag verlassen da. Die alten Gespenster waren geflohen. Die Schlangen hatten sich in die Erde und woandershin verzogen.
Ich stand vor den leeren Regalen und schaute hilflos um mich, bis ich endlich den Zettel entdeckte, der oben auf der verstummten Moviola klebte.
HALLO ZAUBERLEHRLING. VERSUCHE DICH SCHON SEIT ZWEI STUNDEN ANZURUFEN. WIR HABEN JERICHO AUFGEGEBEN UND SIND GEFLOHEN. HABEN UNS ZUM LETZTEN GEFECHT IN MEINEN BUNKER IN DEN HOLLYWOOD HILLS ZURÜCKGEZOGEN. BITTE ANRUFEN. KOMM VORBEI!
SIEG HEIL, FRITZ UND JACQUELINE THE RIPPER.
Ich faltete den Zettel zusammen, um ihn in meinem Tagebuch zu verstauen, damit ich ihn auf meine alten Tage hervorkramen und lesen konnte. Dann ging ich die Stufen wieder hinunter und verließ das Studio.
Sturmtruppen waren nirgendwo in Sicht.
64
Während wir die Küste entlangspazierten, erzählte ich Crumley von dem Priester, dem Pfad mitten durch das Unkraut und von den beiden Frauen, die vor langer Zeit auf dem Pfad gegangen waren.
Wir fanden Constance Rattigan am Strand. Zum ersten Mal sah ich sie im Sand liegen. All die vielen Male zuvor war sie entweder in ihrem Pool oder im Meer gewesen. Jetzt lag sie dazwischen, als hätte sie nicht mehr die Kraft, bis ans Wasser zu gelangen, oder wieder ins Haus zurückzugehen. Sie sah so gestrandet und schiffbrüchig, so blaß aus, daß es mir weh tat, sie anzuschauen.
Wir kauerten uns neben ihr in den Sand und warteten darauf, daß sie unsere Anwesenheit mit geschlossenen Augen spürte.
»Du hast gelogen«, sagte Crumley.
Ihre Augäpfel bewegten sich heftig unter den Lidern. »Welche Lüge meinst du?«
»Daß du damals, vor zwanzig Jahren, die Party um Mitternacht überstürzt verlassen hättest. Du weißt genau, daß du bis zum bitteren Ende geblieben bist.«
»Was habe ich denn dort gemacht?« Sie drehte den Kopf weg. Wir sahen nicht, ob sie auf die graue See hinausschaute, von wo eine abkühlende Nebelfront nahte.
»Sie brachten dich an den Unfallort. Eine deiner Freundinnen brauchte dringend Hilfe.«
»Ich habe nie Freundschaften gepflegt.«
»Aber Constance«, sagte Crumley. »Ich kenne die Fakten. Ich habe die Einzelheiten zusammengetragen. In den Zeitungen stand, es hätten drei Beerdigungen am gleichen Tag stattgefunden. Pfarrer Kelly – der aus der Kirche direkt gegenüber der Unfallstelle – behauptet, Emily Sloane sei nach den Beerdigungen gestorben. Was passiert, wenn ich eine richterliche Erlaubnis erwirkte, das Grab der Sloanes zu öffnen? Würde ich einen Leichnam darin finden oder zwei? Ich vermute einen; wohin ist Emily verschwunden? Wer hat sie mitgenommen? Du? Auf wessen Anweisung?«
Constance Rattigan erschauderte. Ich konnte nicht beurteilen, ob der plötzlich an die Oberfläche gespülte alte Schmerz daran schuld war oder der Nebel, der sich um uns ballte.
»Für einen dummen Bullen bist du ziemlich schlau«, sagte sie.
»Ach was, ich falle nur manchmal in ein Nest mit Eiern, und es gelingt mir, keines zu zerbrechen. Pfarrer Kelly erzählte unserem jungen Schreiberling hier, daß Emilys Geist verwirrt gewesen sei. Sie mußte also von jemandem weggebracht worden sein. Warst du das?«
»Gott steh’ mir bei«, flüsterte Constance Rattigan. Eine Welle klatschte an den Strand. Der Nebel vor der Küste verdichtete sich. »Ja …«
Crumley nickte sanft und sagte: »Die ganze Sache muß sofort mit einem riesigen, mit einem unglaublichen Aufwand vertuscht worden sein. Hat jemand die Sammelbüchse in der Kirche aufgefüllt? Ich meine, hat das Studio zugesichert, was weiß ich, den Altar neu gestalten zu lassen, Witwen und Waisen bis in alle Ewigkeit finanziell zu unterstützen? Sollte der Priester, falls er vergäße, daß du Emily Sloane von dort weggebracht hast, Woche für Woche ein kleines Vermögen ausgehändigt bekommen?«
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