»Wie Sie wissen«, sagte ich, »trinke ich nur selten …«
Fritz fiel das Monokel aus dem Auge. Er fing es auf und setzte es wieder ein.
»Was trinkst du?« bellte er.
Ich entging seiner Verachtung, indem ich mich an einen Wein erinnerte, den er einmal erwähnt hatte.
»Corton«, sagte ich, »einen 38er.«
»Glaubst du allen Ernstes, daß ich meinen besten Wein für jemanden wie dich aufmache?«
Ich schluckte fest und nickte.
Er wandte sich mir zu und fuhr mit der Faust Richtung Zimmerdecke, als wolle er mich mit einem Schlag in den Boden rammen. Dann landete seine Faust sanft auf einer Vitrine, und er holte eine Flasche hervor.
Corton, Jahrgang 1938.
Er setzte den Korkenzieher an, knirschte mit den Zähnen und ließ mich nicht aus den Augen. »Ich beobachte jeden Schluck«, brummte er. »Wenn ich etwas bemerke, wenn ich das klitzekleinste Anzeichen dafür entdecke, daß du es nicht zu schätzen weißt … ssst!«
Er zog den Korken auf vollendete Weise heraus, stellte die Flasche erst einmal wieder ab und holte tief Luft.
»Und jetzt«, seufzte er, »wo der Film doppelt tot ist, wollen wir mal sehen, was unser Wunderkind fabriziert hat!« Er ließ sich in einen Sessel fallen und blätterte meine neuen Seiten durch. »Ich will deinen unerträglichen Text lesen, auch wenn wir nicht den geringsten Anlaß haben, so zu tun, als würden wir jemals wieder ins Schlachthaus zurückkehren. Weiß der Himmel!« Er machte das linke Auge zu und ließ das rechte hinter dem funkelnden Glas über die Zeilen huschen. Als er fertig war, warf er die Blätter auf den Boden und bedeutete Maggie mit mürrischem Nicken, sie aufzuheben. Er betrachtete ihr Gesicht, während er den Wein eingoß. »Und?« rief er ungeduldig.
Maggie ließ die Seiten in den Schoß sinken und legte die Hände darauf, als wären sie das Evangelium.
»Ich könnte heulen. Und? Ich heule schon.«
»Hör auf mit der Schmierenkomödie!« Fritz kippte den Wein mit großen Schlucken hinunter, hielt dann inne und schien sauer auf mich zu sein, weil ich schuld daran war, daß er so schnell trank. »Das hast du nie in ein paar Stunden hingeschrieben!«
»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich unbeholfen. »Nur die flotten Sachen sind wirklich gut. Sobald man sich Zeit läßt, schaut man sich selber zu, und schon wird es schlecht.«
»Nachdenken ist fatal, was?« bohrte Fritz. »Sitzt du etwa beim Schreiben auf deinem Hirn?«
»Keine Ahnung. Hey, nicht schlecht, der Wein.«
»Nicht schlecht!« Fritz ging beinahe an die Decke. »Ein 1938er Corton, und er sagt, nicht schlecht! Er ist besser als alle Schokoriegel zusammen, die ich dich den ganzen Tag über im Studio vertilgen sehe. Besser als alle Frauen der Welt. Fast alle.«
»Dieser Wein«, beeilte ich mich zu sagen, »ist beinahe so gut wie Ihre Filme.«
»Ausgezeichnet.« Fritz lächelte gebauchpinselt. Ein Volltreffer. »Du hättest einen guten Ungarn abgegeben.«
Fritz füllte mein Glas nach und überreichte mir meine Ehrenmedaille, sein Monokel.
»Mein junger Weinkenner, was führt dich sonst noch hierher?«
Der Moment war günstig. »Fritz«, sagte ich, »Sie führten am 31. Oktober 1934 bei einem Film Regie, bei dem Sie auch die Kamera bedienten und den Sie selbst schnitten, einen Film namens Wilde Party.«
Fritz hatte es sich mit ausgestreckten Beinen in seinem Sessel bequem gemacht, das Glas in der rechten Hand. Mit der linken fühlte er in seiner Hemdtasche vergeblich nach dem Monokel. Er öffnete nur langsam den Mund und sagte sehr beherrscht: »Wie belieben?«
»Die Nacht von Halloween, 1934 …«
»Mehr.« Fritz streckte mir mit geschlossenen Augen sein Glas entgegen.
Ich füllte nach.
»Wenn du was verschüttest, schmeiß ich dich die Treppe runter.«
Sein Gesicht war der Zimmerdecke zugewandt. Als er das Gewicht des Weins im Glas spürte, nickte er kurz, und ich goß mir selbst nach.
»Wo hast du nur von so einem dummen Film mit so einem blöden Titel gehört?« Sein Mund bewegte sich, während der Rest des Gesichts völlig regungslos blieb.
»Er wurde ohne Film in der Kamera gedreht. Sie führten ungefähr zwei Stunden lang Regie. Soll ich Ihnen die Schauspieler dieser Nacht aufzählen?«
Fritz öffnete ein Auge und versuchte, ohne sein Monokel die Brennweite auf die andere Seite des Zimmers einzustellen.
»Constance Rattigan«, trug ich vor, »J. C., Doc Phillips, Manny Leiber, Stanislau Groc und Arbuthnot, Sloane und seine Frau, Emily Sloane.«
»Herr im Himmel, das ist eine gute Besetzung«, sagte Fritz.
»Möchten Sie mir verraten, weshalb?«
Fritz setzte sich langsam auf, stieß einen Fluch aus, trank seinen Wein, und dann beugte er sich über das Glas und schaute eine ganze Weile hinein. Schließlich blinzelte er und sagte: »Also muß ich es doch noch erzählen. Ich habe all die Jahre nur darauf gewartet, es auszukotzen. Nun … irgend jemand mußte ja Regie führen. Es gab kein Drehbuch. Der totale Wahnsinn. Ich kam erst im letzten Moment zum Drehort.«
»Wieviel«, wollte ich wissen, »haben Sie improvisiert?«
»Das meiste, nein, eigentlich alles«, antwortete Fritz. »Überall lagen Leichen herum. Nein, nicht Leichen, Menschen, und eine Menge Blut. Ich hatte in dieser Nacht meine Kamera dabei, denn auf so einer Party kann man die Leute im kurzen Hemd erwischen. Daran hatte ich damals noch Spaß. Der erste Teil des Abends verlief auch sehr gut. Alle schrien und hupften auf dem Studiogelände herum, durch den Tunnel ging’s auf den Friedhof, und dort tanzte man zu den Klängen einer Jazzband. Es war wild, allerdings, und wunderbar. Bis die Sache aus dem Ruder lief. Der Unfall, meine ich. Da aber hatte ich, wie du richtig sagst, keinen Film mehr in meiner 16-Millimeter-Kamera. Also gab ich die Regieanweisungen. Dahin, dorthin, auf keinen Fall die Polizei verständigen. Holt die Autos. Stopft den Klingelbeutel voll.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Klappe! Der verdammte Priester wäre fast irre geworden, genau wie die Lady. Im Studio war stets genug Bargeld für Notfälle vorhanden. Wir füllten das Taufbecken mit Gaben wie beim Erntedankfest, unter den Augen des Priesters. Ich konnte in jener Nacht nicht beurteilen, ob er überhaupt sah, was wir da machten, er stand unter Schock. Ich befahl, die Sloane von dort wegzubringen. Eine Komparsin nahm sie mit.«
»Nein«, sagte ich. »Ein Star.«
»Tatsächlich? Sie gingen jedenfalls. Wir sammelten inzwischen die Scherben auf und verwischten die Spuren. So was ging damals viel einfacher als heute. Schließlich hatten die Studios die Stadt voll im Griff. Wir konnten eine Leiche vorweisen, die von Sloane, und eine zweite, die von Arbuthnot, in der Leichenhalle, das behaupteten wir jedenfalls, und Doc unterschrieb die Totenscheine. Niemand bestand darauf, alle Leichen in Augenschein zu nehmen. Den Leichenbeschauer zahlten wir aus, damit er ein Jahr lang krank feiern konnte. So haben wir die Sache geschaukelt.«
Fritz stellte die Beine an, wiegte sein Weinglas und suchte meinen Blick.
»Glücklicherweise, wegen der Studioparty, waren J. C, Doc Phillips, Groc, Manny und die anderen Jasager dort versammelt. Ich rief: ›Holt Wachleute, holt Autos, riegelt den Unfallort ab. Schaulustige kommen aus ihren Häusern auf die Straße? Verjagt sie mit Megaphonen.‹ Du mußt wissen, damals gab es erst wenige Häuser in dieser Straße, und die Tankstelle war geschlossen. Der Rest? Bürogebäude, in der Nacht dunkel und verlassen. Bis die große Masse aus den Wohnhäusern, die etwas weiter entfernt stehen, in ihren Schlafanzügen ankam, hatte ich das Rote Meer bereits geteilt, den Lazarus wieder begraben und jedem ungläubigen Thomas einen Auftrag erteilt, der ihn vom Schauplatz fernhielt! Herrlich, wundervoll, erstklassig! Noch ein Glas?«
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