Sonnleitner Alois - Die Höhlenkinder im Steinhaus

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Alois Theodor Sonnleitner

DIE HÖHLENKINDER IM STEINHAUS

Einander gut sein bis zum Tod

Peters Genesung zog sich länger hin, als Eva geglaubt hatte. Mehr als der Blutverlust schwächte ihn der dauernde Aufenthalt im geschlossenen Raum. Sein Schlafbedürfnis war geschwunden, er lebte in einem Zustand unruhigen Wachträumens, sprach mit sich selber, war einmal am Verzweifeln und ein anderes Mal voller Hoffnungen und Pläne, was er erfinden und arbeiten wollte. Das spröde Grauzeug, das sich in den Ofenschlacken gezeigt hatte, weil er das braune Sumpferz als Baustein verwendet hatte, wollte er schmiedbar machen. Vielleicht war das das Eisen, aus dem Ähnls harte Messer und Beile, die Säge und die Sichel bestanden hatten, die nun mit dem Alten unter den Trümmern des Steinschlags in der Klamm lagen. Peters Worte klangen so klug, so wohlüberlegt, daß Eva weinen mußte, wenn sie an die Möglichkeit dachte, der flackernde Geist des Erfinders könnte verlöschen.

Kaum war der frühzeitig gefallene Schnee verschwunden, zog Eva mit ihrem flachen Besenrechen, der gelegentlich auch als Heugabel diente, aus, das abgeworfene Laub zu sammeln, Trockenfutter für die Scheckin. Zum Befördern flocht sie an einem Regentag einen hohen geräumigen Buckelkorb, den sie an Fellstreifen über die Schultern hängen konnte. Beim Laubrechen fand sie eine Menge abgefallener Nüsse, Kastanien, Mispeln, Beeren, auch Holzbirnen und zwei abgeworfene Rehkrickel. Sie breitete die Früchte zum Trocknen auf den Fußböden der drei Hütten aus, später wollte sie sie nach und nach auf erhitzten Steinplatten dörren.

Endlich, zur Zeit der ersten Fröste, besserte sich Peters Zustand, seine Eßlust nahm zu, sein Schlaf wurde ruhiger. Die Ziege hatte längst aufgehört, Milch zu geben, und Eva mußte für Peter allerlei dünne Suppen kochen. Als Zukost reichte sie gebratene Kastanien. Als die Scheckin unausgesetzt meckerte, weil sie das Eingesperrtsein nicht gewöhnt war, brachte Eva die Geiß auf die Grableiten und band sie an eine krumme Föhre, an der sie äsen sollte. Die Scheckin meckerte trotzdem weiter; ihr Geschrei wurde von den Mischlingen gehört, den Nachkommen der zahmen Geiß, die einst die Ahnl bei ihrer Flucht in den Heimlichen Grund mitgebracht hatte, und von den Steinböcken im Gewand. Und als Eva das dritte Mal ihre Scheckin heimholen kam, fand sie oberhalb der Föhre gröbere Losung, offenbar von einem Bock. Von da an wurde die Geiß wieder ruhig und erfreute ihre Pflegerin durch einen gesegneten Appetit. Die Tageszeit, die Eva für Außenarbeiten nützte, verschlief Peter oder verträumte sie wachend.

Wenn Eva dann, von der Tagesarbeit erschöpft, sich zu ihm setzte und von der Zukunft sprach, wie sie ihr vorschwebte, da überbot er sie an Plänen. Die Siedlung im Pfahlbau werde er durch ein neues Heim ersetzen — die Hüttenwände zeigten ja vielfach Risse im Lehmbelag. Ihr ganzes Gefüge war durch die wachsenden Eckbäume gelockert.

Die toten Pfähle neben ihnen wuchsen nicht mit. Die Sonnige Leiten am Fuß der Südwand, in deren Höhlen die Bären hausten, war für Peter ein Ort der Sehnsucht geworden. Dort, wo im Schutz der Südwand keine Lawinengefahr drohte, wo die Tage milder waren als im Talgrund, reiften die Kastanien, die Walnüsse, die Mispeln, Quitten, Wildbirnen und Wildäpfel. Er beneidete die Bären um den besten Platz an der Sonne, und er haßte sie als gefährliche Mitbewohner des Heimlichen Grunds. Mitten im Winter, wenn sie in den Höhlen schliefen, werde er sie mit Feuer und Rauch vertreiben. Ja, und dann wolle er die Bärenhöhlen durch einen starken Vorbau nach außen erweitern und dort mit Eva hausen. Ja, so werde es sein ... Eva wußte, daß der Genesende seine Kräfte überschätzte, aber sie widersprach ihm mit keinem Wort.

Am nächsten Tag schneite es, da verließ Peter zum erstenmal die Hütte. Er freute sich an den Spuren, die er, den Hofzaun entlanggehend, im Neuschnee hinterließ. Spurschnee! Jagdzeit!

Vor dem Lagerplatz der Ziege, die nur durch das vorspringende Dach und eine Wand vor dem Schnee geschützt war, blieb Peter stehen. Die langentbehrte frische, prickelnde Luft berauschte ihn; er war länger im Freien geblieben, als ihm zuträglich war, ein Rückfall seiner körperlichen Schwäche blieb nicht aus.

Widerstrebend ergab er sich darein, die beste Jagdzeit ungenützt verstreichen zu lassen. Inzwischen schmolz der Schnee; Nachtfröste setzten ein, denen das letzte Laub erlag. Als wieder frostfreie Tage kamen, erholte sich Peter wenigstens soweit, daß er mit Evas Netzen in der Umgebung des Pfahlbaus fischen konnte. Ja, eines Tages unternahm er in voller Jagdausrüstung, begleitet von Schnapp, eine Floßfahrt nach der Moorleiten.

Als Beute brachte er einen lebenden Igel heim, den Schnapp in einem hohlen Baum schlafend gefunden hatte. Eva schlug vor Staunen die Hände über dem Kopf zusammen. Sie tippte Peter mit dem Finger an die Stirn: »Ja, bist du denn nicht gescheit? Soll ich dir den Igel braten?«

»Nein, nicht braten, der bleibt am Leben. Die Ahnl hat auch einen Igel im Stall gehabt. Der fängt die Mäuse weg und das Ungeziefer!«

Der Igel gewöhnte sich bald an seine neue Umgebung, verschlief die Tage, strolchte nachts umher und durchstöberte jeden Winkel nach Asseln und anderem Kleingetier.

Nach wenigen Tagen stellte er sich, wenn Eva das Essen brachte, als Bettler bei ihr ein und kratzte mit den Vorderpfoten an ihren Fußknöcheln. Mit einem Happen Fischfleisch, den sie ihm reichte, trollte er sich, kehrte aber bald wieder zurück und ließ seine kleine rosige Zunge spielen. Hielt Eva aber einen Bissen zu hoch, so wurde er zornig und fauchte gewaltig, als wäre er wer weiß wie groß.

An milden Wintertagen, an denen das Herdfeuer die Stube genügend erwärmte, saß Eva am Webstuhl. Aber die abgenützte Webwalze machte die Arbeit zur Qual. Peter begann, einen neuen Webstuhl zu bauen, zuerst ein vierbeiniges Gestell zum Auflegen des Rahmens, so daß Eva von oben auf die liegend gespannten Schichten der Einser- und Zweierfäden sehen und die Webnadel leicht durch die Fadenfächer hin und her führen konnte. Aber an die Webwalze wollte er nicht heran. Das Fadenheben beim Fachwechsel mußte anders gehen, fand er.

Je mehr Peter sich in die neue Aufgabe vertiefte, desto häufiger verbrachte er die Zeit zwischen den Mahlzeiten allein in seiner Pfahlhütte, wo er mit Holzkohle auf Mergelplatten allerlei Entwürfe zeichnete. Er kehrte zum Schiebekamm zurück, bei dem an den Enden der Zinken die Zweierfäden befestigt waren. Aber statt der groben Zinken, mit denen sich die Bastfäden nur locker verweben ließen, wollte Peter dicht gereihte, dünne Zinken verwenden. Das brauchten keine hölzernen zu sein, es konnten auch Fadenschlingen sein, die am Kammstab festgebunden wurden und die Zweierfäden so unterfingen, daß diese hochgehen mußten, wenn der Kammstab in die Höhe gezogen wurde.

Zunächst baute Peter aus vier daumendicken Stäben einen Webrahmen, so breit wie eine halbe Armlänge. Die Längsseiten machte er dreimal so lang. Die Längsfäden wickelte er der Länge nach um den Rahmen, so daß eine Lage Fäden über dem Rahmen, die andere unter ihm eine Schicht bildeten. Die oberen Fäden sollten als Einserfäden in gleicher Lage bleiben, die unteren als Zweierfäden gehoben und gesenkt werden.

Dann schnitt er den Kammstab zurecht, lang genug, um quer auf beiden Längsseiten des Rahmens aufzuliegen. In der Hochstellung konnte er durch untergeschobene Klötze gehalten werden. Hierauf knüpfte Peter zunächst einen Faden ans linke Ende des Kammstabes, zog ihn hinter dem ersten oberen Längsfaden herunter, unterfing mit ihm den ersten unteren Längsfaden, zog ihn zwischen dem ersten und zweiten Einserfaden wieder hinauf und knüpfte ihn so an dem Kammstab fest, daß der untere Längsfaden in einer fingerlangen Schlinge ruhte; dies wiederholte er der Reihe nach, bis die Schiingenführung jedes unteren Längsfadens zwischen zwei oberen Längsfaden durchging und alle Schlingen oben am Kammstab festgeknüpft waren. Jetzt lagen alle Einserfäden in den Zwischenräumen der Fadenzinken.

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