Auf der Doppelseite, es ist ein Interview, ist dieses Bild oben links platziert. Ein weiteres, kleines Foto ist auf der rechten Seite in den Text eingelassen. Es zeigt grau und verschwommen einen Mann beim Meditieren oder jedenfalls am Boden sitzend in einem einfachen Kostüm, um den Hals eine Kette mit dem Portrait eines Mannes, der ihm ähnelt, langhaarig und bärtig. Die Bildunterschrift verknüpft beide Fotos, die hochglänzend gedruckt sind, über die Doppelseite hinweg:»Schuller, van Turnhout: Wer sagt, dass es nicht möglich ist, Werbung … / … als immateriell zu betrachten«.
«Kennen Sie den?«, fragt Furrer, und legt das Magazin, aufgeschlagen, auf Marleens Arbeitstisch. Sie betrachtet das Bild links, dann das Bild rechts, liest die Bildunterschrift.
«Kennen wäre vielleicht zu viel gesagt. «Furrer grinst wie ein Lausbube und überlässt ihr das Magazin.
Herr Schuller, Sie verunsichern die Werbebranche. Sie halten sie für bequem und veraltet.
Schuller: Sie ruht sich auf ihren Pfründen aus, das ist richtig. Die Agenturen sind zu groß geworden, zu unbeweglich, geldgierig. Wir wollen zweierlei: Uns den Kunden öffnen und gleichzeitig Öffentlichkeit herstellen.»Tricks «interessieren uns nicht.
Herr van Turnhout, mit Team Hamburg sind Sie, mit zweiundreißig Jahren, zum ersten Mal Mitinhaber einer Agentur. Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Van Turnhout: Rosig. Wir haben geringe Kosten und viele Ideen. Außerdem sind wir zuversichtlich, was Hamburg betrifft.
Warum sind Sie, als shooting star der Branche in Düsseldorf, nach Hamburg gegangen?
Van Turnhout: Wir wollten raus aus dem Klüngel. In Düsseldorf ist Werbung zum Showgeschäft geworden. Frankfurt wäre schon realistischer gewesen. Aber Hamburg ist größer und hat die besseren Gestalterschulen. Es braucht immer junge Leute, wenn es vorangehen soll.
Deshalb ist Ihre Partnerschaft mit einem zwanzig Jahre älteren Werber erstaunlich.
Van Turnhout: Ja, Petrus … hat den richtigen Ansatz. Er ist eigentlich gar kein Werber, er ist ein Denker.
Obwohl Poona nicht gerade als Schule des Denkens bekannt ist.
Schuller: Weil wir griechisch gepolt sind, instrumentell, rhetorisch, fixiert auf den Staat. Es gibt nur wenige Versuche im 20. Jahrhundert, Gesellschaft neu zu begründen, und der Aschram von Poona war der interessanteste, ein west-östlicher Divan, schwebend.
Eine Erfahrung, die Sie, Herr van Turnhout, nicht teilen. Haben Sie etwas verpaßt? Steigen Sie demnächst aus?
Van Turnhout: Gewiß nicht. Ich wollte immer schon Werbetexter sein und sonst gar nichts.
Sie, Herr Schuller, haben offensichtlich nicht mit dem Bhagwan Shree Rajneesh gebrochen, obwohl Sie den Namen, der Ihnen gegeben worden war, nicht mehr führen. Ist Ihre Vorgeschichte für Ihre Kundschaft nicht ein wunder Punkt?
Schuller: Meine Vorgeschichte ist die, daß ich kurz vor Kriegsende in eine Eliteschule der Nationalsozialisten aufgenommen wurde. Dort zwang man uns, während Deutschland rundherum zusammenbrach, in einen Lügenkult. Niemand war so hilflos bei Kriegsende wie wir, die Jüngsten, aus einem pechschwarzen Nest gefallen, gebrochen.
Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie dreißig Jahre später Ihre Agentur, Ihre Familie, Ihr Land verlassen haben, um in Poona» Demokratie zu wagen«?
Schuller: Es gibt Dinge, die die Demokratie nicht lösen kann und auch nicht soll oder muß.
Nämlich welche?
Schuller: Alle eigentlich, die die Persönlichkeit betreffen. Sehen Sie, mir ist das widerfahren, der Nazikrempel, ich habe es mir nicht ausgesucht. Das kam über einen Onkel von mir, der zweiter oder dritter Mann im Gau war; mein Vater war ganz und gar dagegen, aber ein aufrechter Katholik konservativer Prägung hatte nicht viel zu sagen im letzten Kriegsjahr. Deshalb war die Erfahrung doppelt schmerzlich und hat zu einem Schweigen in der Familie geführt. Ich habe, wie viele, aber nicht alle in der Bundesrepublik, versucht, durch Aufstieg und gute Laune zu kompensieren. Erst im Aschram bin ich zu mir selbst gekommen.
Sie mussten 92 Rolls-Royce vor Ihrer Nase geparkt bekommen, um dem Materiellen zu entsagen?
Van Turnhout: Gerade das leuchtet mir ein. Es ist die Gegenüberstellung von Marke und Image. Der Ashram ist keine Marke, Rolls-Royce aber schon. Intelligenter hätte man nicht ausdrücken können, daß erstens Geld da ist und zweitens nicht gebraucht wird. Wer sagt, daß es nicht sogar möglich wäre, Werbung als immateriell zu betrachten?
Schuller: Sie ist es.
Das Image von Poona war sicher sehr wirksam. Die Übersiedlung des Aschram in die USA scheint jedoch nicht vollends zu glücken. Wird der Bhagwan bald Kunde Ihrer Agentur?
Van Turnhout: Warum nicht?
Sind Sie, Herr Schuller, ein Poona-Dissident?
Schuller: Es war ein Lebensabschnitt, eine Lehrzeit, im Modus der Selbstfindung. Jede Reise hat einmal ein Ende. Tatsächlich bin ich zum katholischen Glauben — zum Glauben meines Vaters, der allerdings nicht mehr lebt — zurückgekehrt.
Was war in Ihrer Düsseldorfer Zeit Ihre wichtigste Kampagne?
Schuller: Die wichtigste, aber eben auch enorm erfolgreiche Kampagne war die für o.b. Sie müssen heute niemandem, auch keinem Mann erklären, was das ist. Die Schwierigkeit der Durchsetzung lag aber nicht bei den Männern, sondern bei den Frauen, den Müttern, die selbst an Binden gewöhnt waren und den Mädchen den Umgang mit Tampons nicht vermitteln konnten. Deshalb haben wir eine Beratungskampagne gestartet, mit sehr viel Text, aber wir haben auch bewegende Bilder gebracht, um Mütter und Töchter gleichzeitig zu erreichen. Das hat geklappt.
Mußte man dafür Katholik sein?
Schuller: Vielleicht schon. Es gibt einen gewissen Kult um das Blut, und diesen galt es zu überwinden.
Herr van Turnhout, da müssen Ihnen als Protestant mit niederländischem Hintergrund doch die Ohren schlackern.
Van Turnhout: Sie haben ein zu enges Konzept von Werbung. Man muß auch kein Kriegstreiber sein, um in einer Broschüre die Vorzüge des Leopard II darzustellen.
Was wäre denn ein weniger enges Konzept?
Van Turnhout: Werber müssen wissen, in welcher Gesellschaft sie leben. Diese Gesellschaft verändert sich, und wir als Werber sind mittendrin. Wir sollten uns als Agens begreifen, und nicht als reine Dienstleister, glückliche Parasiten oder Selbstdarsteller mit gigantischen Budgets.
Sie meinen, Sie können mit Hilfe von Werbung die Gesellschaft verändern?
Schuller: Man kann ihr Bilder mitgeben, in denen sie sich selbst erkennt.
Texte auch?
Van Turnhout: Witzig, daß Sie das fragen. Klar,»Nicht ganz der Elephant «ist vielleicht nur ein flotter Spruch und bestens geeignet, das Publikum von zehn bis siebzehn an ein Schuhhaus zu binden. Aber ein Slogan ist auch ein Gradmesser für Humor, und ich bin froh, daß die Hamburger Jugend ihn weitergetragen hat auf den Schulhof, so wie den neuen Typus von Schuhen, die Hybridschuhe, auch.
Sie haben sich, als Agentur, nach Hamburg benannt. Warum?
Schuller: Das schien uns das geeignete Mittel, um uns auf die Landkarte zu setzen, buchstäblich. Team Hamburg ist als Idee groß genug, steht aber nicht im Verdacht des Größenwahns.
Van Turnhout: Eine gewisse Rolle spielte auch die Freude darüber, daß einem das niemand verbieten kann. Ich erinnere daran, daß»Die Zeit «das Bremer Wappen in der Titelleiste führt, weil Hamburg sich für eine Leihgabe oder Lizenz des eigenen Wappens zu schade war.
Wollen Sie klein bleiben, oder soll es» Teams «rund um den Globus geben?
Schuller: Wir sind schon jetzt nicht mehr wirklich klein. Es kommt darauf an, welche Kräfte uns zuwachsen.
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