Gouverneur Leutwein zog sich nach Swakopmund an die Küste zurück und sandte um dringende Hilfe nach Berlin. Seine Schilderung der Situation muß sehr eindringlich gewesen sein — was seine eigene Position betraf, sogar zu eindringlich. Der Kaiser schickte ein Expeditionskorps unter dem Befehl von Generalleutnant Lothar von Trotha, das aus gut tausend Mann bestand. Weitere Truppen würden folgen. Von Trotha beschimpfte Leutwein als einen weichen und unfähigen Charakter, setzte ihn von seinem Posten ab, stellte das Land unter Kriegsrecht und marschierte gegen die Aufständischen, wobei die Soldaten nicht nur die Erlaubnis, sondern sogar das ausdrückliche Wohlwollen ihres Anführers hatten, auf Schwarze, die sie unterwegs trafen, zu schießen, egal, ob es sich um Rebellen oder harmlose Bauern, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelte. Von Trotha war ein Experte im Neutralisieren von Revolten; er hatte sich bereits im Jahr 1896 bei der Niederschlagung des Waheheaufstands in Deutsch-Ostafrika einen Namen gemacht und seinen Ruf 1901 während des sogenannten Boxeraufstands in China bestätigt. Seine Methode charakterisierte er selbst so:»Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst Grausamkeit auszuüben war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut.«(Zitiert bei H. Leopold)
Als von Trotha mit den Kämpfern der Herero in ersten offenen Kontakt geriet, befehligte er zwanzigtausend Mann. Die Truppe war mit Panzerzügen, Geschützen, Maxim-Maschinengewehren und den neuesten Nachrichteninstrumenten ausgerüstet; die Herero hatten dem einige hundert Gewehre, knappe Munition, Speere, Lanzen und Pfeil und Bogen entgegenzusetzen. Dennoch gelang es von Trotha lange nicht, den Feind substantiell zu schwächen; im Gegenteil, es schien, als würden seine Truppen von ihm an der Nase herumgeführt. Tagsüber war nicht ein Schwarzer zu sehen; die wenigen Hütten, die die Aufständischen nicht selbst abgebrannt hatten, waren leer; die Spurenleser — die meisten vom Stamm der Nama, dessen Anführer damals noch glaubte, ein Bündnis mit dem Deutschen Reich werde in Zukunft Vorteil bringen — mußten zugeben, daß sie ständig in die Irre geführt wurden, konnten aber ihrem Auftraggeber nicht erklären, was dabei das Ziel und die Absicht des Feindes sei, ob er die Deutschen in einen Hinterhalt locken oder bloß verwirren wollte. Eines Nachts wurde das Lager angegriffen, und als es hell wurde, war das Ergebnis zu sehen: Der bestbewaffneten Truppe des südlichen Afrika waren verheerende Verluste zugefügt worden. Die Stimmung bei den deutschen Soldaten war dementsprechend schlecht; die schon länger in Südwest dienten, begannen an den Fähigkeiten von Generalleutnant von Trotha zu zweifeln.
Die Taktik der Herero (heute würde man von Guerillataktik sprechen) sei, so behauptete Alverdes später vor Gericht, ausschließlich von Samuel Maherero entwickelt worden.»Bei aller Abscheu gegenüber diesem Mann«, so wird der Angeklagte im Prozeßprotokoll zitiert,»muß man doch zugeben, daß er ein außerordentliches militärisches Talent besaß. «Diese Aussage darf man relativieren: Niemals hätte Alverdes vor dem deutschen Gericht eingestanden, Maherero wenigstens beraten zu haben. Wahrscheinlich ist vielmehr, daß er als der Verantwortliche für dieses An-der-Nase-Herumführen des Expeditionskorps gesehen werden muß. Samuel Maherero hätte sich eine Kriegerschar wie die seines Feindes, bevor er sie zum erstenmal vor sich sah, nicht einmal vorstellen können. Die Kämpfe gegen die Nama oder gegen andere Stämme waren Massenraufereien gewesen, es gab keine Strategie und keine Taktik zu entwickeln; die einen kämpften gegen die anderen, und alle kämpften auf einmal und kämpften so lange, bis alle erschöpft waren. Daß die Deutschen ein Heer aufgestellt hatten, das zahlenmäßig ein Viertel des gesamten Volkes der Herero ausmachte, Frauen, Kinder, Alte mit eingerechnet, dazu Waffen von einer Zerstörungskraft besaßen, die den Herero als nicht von dieser Welt erscheinen mußten, dem Kapitän das zu erklären, dazu hätte die Zeit, die ihm und seiner Sache blieb, nicht ausgereicht. Herwig Leopold geht in seinen Kriminalprozessen davon aus, daß Alverdes, jedenfalls in dieser Phase des Kampfes, das Heer der Herero geführt hat. Die Rebellen zerstörten Eisenbahnbrücken und rissen Schienen aus ihren Kofferungen und behinderten so den Nachschub für die deutschen Truppen; sie kappten wichtige Telegraphenverbindungen in die Hauptstadt und überfielen die Höfe deutscher Siedler, raubten Lebensmittel und Waffen.
Die Hererokrieger hatten ihre Familien im Troß, weil sie fürchteten, das Deutsche Reich werde mit ihren Frauen und Kindern, wenn es sie unbeschützt träfe, kein Erbarmen haben (was die Soldaten des Deutschen Reiches dann ja auch nicht hatten); und sie trieben ihr Vieh vor sich her, weil es sonst vom Deutschen Reich requiriert worden wäre (was deutsche Farmer dann ja auch taten). Nachdem er sein Volk ein halbes Jahr lang kreuz und quer durch das Land geführt hatte, verschanzte sich Maherero am Waterberg bei Hamakari, um aus sicheren Stellungen heraus so lange dem Feind standzuhalten, bis der zu Verhandlungen und Zugeständnissen bereit wäre. Sicher rechnete er damit, daß Alverdes als Vermittler mit den Weißen rede. Hätte Gouverneur Leutwein die deutschen Truppen befehligt, wäre der Krieg wahrscheinlich auf diese Art und Weise beigelegt worden. Von Trotha aber dachte keinen Augenblick daran, mit diesen Menschen zu reden, er sah in ihnen nichts weiter als Affen, Paviane, die dem Deutschen Reich im Weg waren.
Am 11. August 1904 kam es zur letzten Schlacht. Gegen die neuen Geschütze der Deutschen boten die Stellungen der Herero wenig Schutz. Nicht ein einziger Speer, kein Pfeil, keine Lanze verließ das Knäuel der Schreienden und Sterbenden. Die Munition war verschossen. In Panik liefen die Frauen mit ihren Kindern auf dem Arm in die Kugeln der automatischen Geschütze. Maherero sah keinen anderen Ausweg, als alles zurückzulassen und mit dem Gros seines Volkes an der schwächsten Stelle der Umzingelung durchzubrechen — in die Omaheke, einen Ausläufer der Kalahariwüste! Die deutschen Truppen verfolgten die Fliehenden bis über die letzten Wasserstellen hinaus. Die Brunnen wurden mit bewaffneten Wachposten besetzt; die hatten Befehl, jeden, der sich dem Wasser näherte, zu erschießen. In breiter Front riegelte von Trotha die Wüste ab. Nach wenigen Wochen schickte Maherero fünfzehn Unterhändler, um die Modalitäten seiner Kapitulation auszuhandeln. Von Trotha ließ zehn von ihnen aufhängen, die anderen jagte er in die Wüste zurück. Eine Proklamation hatte er ihnen mitgegeben. Sie war in Otjiherero verfaßt, der Sprache der Herero:
«Ich, der große General der Deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält tausend Mark, wer Samuel Maherero bringt, erhält fünftausend Mark. Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit der Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers.«
(Bundesarchiv Potsdam, Akten des Reichskolonialamtes, 10.012089 BI. 7, Abschrift Kommando Schutztruppe 1 Nr. 3737, Osombo-Windhuk, 2.10.1904)
Von den hunderttausend Herero — so eine zeitgenössische Schätzung — starben achtzigtausend, die meisten an Hunger und Durst. Die überlebt hatten und aufgegriffen worden waren, wurden in Konzentrationslager gesperrt. Samuel Maherero gelang es, sich mit wenigen hundert nach Britisch-Betschuanaland, dem heutigen Botswana, durchzuschlagen, wo er 1923 starb. Von Trotha wurde abgelöst — nicht zuletzt, weil die Sozialdemokraten im Berliner Reichstag unter der Führung ihres Vorsitzenden August Bebel heftig gegen diesen» Vernichtungsfeldzug «protestierten. Als neuen Gouverneur setzte der Kaiser Friedrich von Lindequist ein.
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