Heute vor einem Jahr ist Carl gestorben. Ich erinnere mich — und das heißt wohl auch, ich lüge mir eine Ordnung in die Dinge. Der Aprilhimmel ist, wie er immer war; die Weiden an der Donau beim Albernen Hafen sind nicht anders als vor fünfundvierzig Jahren, als ich zum erstenmal ihre Unterseiten im Wind blinken sah und dachte, es sei etwas Schreckliches passiert; Hunde mit blauen Augen sind seither in Mode gewesen und wieder aus der Mode gekommen und wieder Mode gewesen, nicht viel anders als die Stöckelschuhe; das Bohnerwachs im Stiegenhaus zu Roberts und Hannas Wohnung riecht, wie das Bohnerwachs in der Anichstraße in Innsbruck gerochen hatte (was mit Bestimmtheit einer der Gründe ist, warum ich die beiden so gern besuche); und jeden Freitag nachts um eins telefonieren Dagmar und ich miteinander, sie unter ihrer Zudecke in Frankfurt, ich unter der meinen in Wien; nun schon seit fast einem Jahr tun wir das, mit wenigen Ausnahmen. Nicht zu jeder Zeit meines Lebens würde ich mich zwischen noch nicht und nicht mehr für das erstere entschieden haben; aber meistens doch. Ja: Es bestehen gute Aussichten! Dagmar fährt mit einer Gruppe von Architekten und Städteplanern im Sommer nach Hongkong. Sie hat mich gefragt, ob ich sie begleiten wolle. Ich habe nicht nein gesagt. David geht es sehr gut. Dagmar und ich haben uns letztes Jahr überlegt (nachts um eins am Telefon), ob wir drei gemeinsam Weihnachten feiern sollten. Aber im letzten Augenblick habe ich abgesagt. Plötzliche Panik. Ich bin in Wien geblieben, Evelyn hat gekocht, wir haben die Kerzen auf dem kleinen Tannenbäumchen angezündet und sind keusch nebeneinander auf dem Sofa eingeschlafen. Seit Carls Beerdigung habe ich David zweimal gesehen — im vorigen Herbst bei der Buchmesse in Frankfurt; und erst vor kurzem, im März in seinen Semesterferien, hat er mich zusammen mit seiner neuen Freundin in Wien besucht. Sie heißt Christiane und ist still und liebt ihn. Damals während der Buchmesse war Dagmar leider nicht in Frankfurt gewesen — ebenfalls eine Exkursion mit Architekten und Studenten, nach Berlin. Es war ein Mißverständnis gewesen, sie hatte sich im Datum geirrt, hatte gemeint, die Buchmesse beginne eine Woche später …
Christian Berger, Reinhold Bilgeri, Heli Burtscher, Bernhard Dostal, Hubert Dragaschnig, Oliver Friedrich, Uli Streatfeild, Conny Gstrein-Rümmele, Hartmut Häfele, Walfried Hauser, Lorenz Helfer, Alfred Hobisch, Peter Huemer, Sonja Kato, Radek Knapp, Harald Kloser, Birgit Köhlmeier, Peter König, Michael Krüger, Undine Loeprecht, Hanno Loewy, Karl Löbl, George Nussbaumer, Christian Mähr, Gebhard Mathis, Robert Menasse, Susanne Randolf, Karl Ratzer, Traugott Schneidtinger, Andi Schreiber, Willi Sieber, Rudolf Taschner, Thomas Tebbe, Karl Woisetsschläger, Jill Zobel, Konrad Zobel sowie Sr. Margarita Maria, Sr. Maria Dorothea und Sr. Maria Johanna vom Karmel Mater Dolorosa in Maria Jeutendorf, Niederösterreich
Besonderen Dank Monika Helfer
Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier, geboren 1949 in Hard am Bodensee, lebt als freier Schriftsteller in Hohenems (Vorarlberg) und Wien. Bei Deuticke erschienen bisher (u.a.): Dein Zimmer für mich allein (1997), Calling (1998), Der traurige Blick in die Weite (1999), Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt war (2002), Roman von Montag bis Freitag (2004), Nachts um eins am Telefon (2005) und Idylle mit ertrinkendem Hund (2008); bei Hanser erschien 2007 der Roman Abendland . Gemeinsam mit Monika Helfer veröffentlichte er 2010 Rosie und der Urgroßvater im Hanser Kinderbuch. Die Erzählungen Mitten auf der Straße (2009) und Das Sonntagskind. Märchen und Sagen aus Österreich (2011) sind im Deuticke Verlag erschienen.
Auszeichnungen
2011Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis
2011Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis
2011Buch des Monats Dt. Akademie für Kinder- und Jugendliteratur
2010Die besten 7 (Deutschlandfunk)
2008Bodensee-Literaturpreis
2007Finalist für den Deutschen Buchpreis
2007Österreichischer Würdigungspreis
2001Preis des Vorarlberger Buchhandels
1997Grimmelshausen-Preis
1996Buchprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst
1996Anton-Wildgans-Preis der Österreichischen Industrie
1993Manès-Sperber Preis
1993ORF-Hörspielpreis
1988Johann-Peter-Hebel-Preis
1983Rauriser Literaturpreis
1976Nachwuchsstipendium für Literatur des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst
1974Rauriser Förderpreis
Bibliographie
Im Carl Hanser Verlag ist erschienen
2007 Abendland. Roman
2010 Madalyn. Roman
Im Deuticke Verlag sind erschienen
1997 Dein Zimmer für mich allein. Erzählung
1997 Der liebe Augustin. Eine Ballade fürs Theater in 56 Bildern
1997 Der Unfisch. Eine Filmerzählung
1997 Die Welt der Mongolen. Libretto zu einer Oper von Kurt Schwertsik
1998 Calling. Eine Kriminalgeschichte
1999 Der traurige Blick in die Weite. Geschichten von Heimatlosen
2002 Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt war. Novelle
2004 Roman von Montag bis Freitag. 38 Stories
2005 Nachts um eins am Telefon.
2006 Der Spielverderber Mozarts. Novelle
2008 Idylle mit ertrinkendem Hund
2009 Mitten auf der Straße. Die Erzählungen
2011 Das Sonntagskind. Märchen und Sagen aus Österreich
Im Hanser Kinderbuch ist erschienen:
2010 Rosie und der Urgroßvater. Kinderbuch. Gemeinsam mit Monika Helfer.
Weitere Veröffentlichungen (Auswahl)
1988 Spielplatz der Helden
1989 Die Musterschüler
1993 Bleib über Nacht
1995 Telemach
1997 Kalypso
1998 Bevor Max kam
2000 Geh mit mir