«Ich würde lachen und Sie für einen Dummkopf halten. Sie gehört Ihnen ja schon. Sie brauchen dafür nicht zu zahlen. Die Luft gehört allen.«
Und dann, als die Herero weiter ihre Rinder über das Land trieben, holten die Farmer die Soldaten, die richteten die Gewehre auf die Köpfe und die Geschlechtsteile ihrer Geschäftspartner.
Bei seinem achten Mord hatte Alverdes einen Zeugen, nämlich einen deutschen Gendarmen aus Okahandja. Der Mann hieß Wipplinger und stammte aus dem Allgäu. Er war erst seit einem halben Jahr in Südwest und der friedlichste Mann, der sich denken läßt. Er war gerade im Begriff, einen jungen Hereromann, der beim Diebstahl einiger Küchengeräte erwischt worden war, in den Kotter zu bringen, als Alverdes auf den Platz trat. Es war mitten am Tag vor dem Amtsgebäude. Obwohl Alverdes dauernd unterwegs war, kannte ihn hier jeder. Die Farmer fürchteten sich ein wenig vor ihm, weil sie nicht abschätzen konnten, wie weit und in welche Richtungen sein Einfluß reichte; und sie ärgerten sich über ihn, weil er ein» Negerfreund «war; aber sie schätzten ihn auch, das heißt: Sie brauchten ihn, denn sie kannten keinen anderen, der über dieses Land so viel wußte und der vor Babel geboren zu sein schien, denn es gab keine Zunge, in der er nicht reden konnte; er kannte alle Gesetze des Deutschen Reiches, alle Bräuche und Riten der Eingeborenen, er konnte mit allen Geschäfte machen, mit den verschlagenen Belgiern ebenso wie mit den sturen Portugiesen, er brachte die hochnäsigen Engländer zum Nachgeben und hielt den brutalen Holländern stand. — Jeder Deutsche in diesem Land kannte Hanns Alverdes. Kaum einer war schon länger in Südwest als er.
Gendarm Wipplinger hatte gewartet, bis Alverdes ihn erreichte. Der junge Herero trug eine französische Gabardinehose, sonst nichts, am Gürtel hielt ihn Wipplinger fest.
«Er hat Eßbesteck gestohlen«, begrüßte er Alverdes.
Ohne ein Wort zog Alverdes seinen Revolver, hielt ihn dem schwarzen Mann an die Schläfe und drückte ab. Das Blut schoß in einem hohen Strahl aus dem Loch. Wipplinger schleifte den Toten an Gürtel und Arm über den Platz und hinein in seine Amtsstube. Nun erst fand er stammelnde Worte und keuchte irgend etwas vor sich hin, er müsse das melden, er wisse nicht, was der Grund für diese Tat sei, sicher gäbe es einen Grund, sicher einen guten Grund, nur hätte er die Sache gern anders erledigt gesehen — und so weiter. Alverdes saß währenddessen auf dem Amtssessel und nickte nur. Noch immer hielt er seinen Revolver in der Hand. Eine junge Frau betrat das Büro, eine Deutsche, Alverdes kannte sie, sie war zusammen mit einer Familie aus der Nähe von Braunschweig nach Südwest gekommen. Sie war nicht restlos richtig im Kopf, er wußte nicht, ob sie eine Tochter der Familie war oder eine Dienstmagd. Sie hatte Eimer und Wischer in den Händen, schaute auf den toten Mann mit der purpurschwarzen Gesichtshälfte, schaute auf Wipplinger, zuletzt auf Alverdes. Eine Miene absoluter Gleichgültigkeit zog über ihr Gesicht, sie wollte etwas sagen, aber sie schmatzte nur mit den Lippen.
«Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Alverdes. Dann schoß er Wipplinger ins Herz. Die Frau drehte sich um und ging aus dem Haus, langsam, so langsam, wie sie gekommen war, und Alverdes blieb zwischen den Leichen sitzen und wartete auf die Folgen.
Aber es gab keine Folgen.
Mit dem nächsten Dampfer der Reederei Troost fuhr er von Swakopmund nach Hamburg. Das war im Sommer 1901. Er änderte seinen Namen in Achim Herzog, beschaffte sich neue Papiere, bekam eine Anstellung bei einer Handelsgesellschaft, für die er in Afrika tätig gewesen war, lernte Veronika Schneidewind kennen, die Tochter eines Hamburger Großhändlers, und zog in die Geschäftsleitung des Hauses ein. Wenige Tage vor der Hochzeit verschwand er. Er fuhr auf einem Handelsschiff nach Kiautschou, blieb aber nur wenige Wochen in China, dann bestieg er ein Schiff nach Kapstadt.
Weihnachten 1903 kehrte Hanns Alverdes nach Deutsch-Südwestafrika zurück. Er wurde in Okahandja verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Die Frau, die Zeugin des Mordes an dem Polizisten Wipplinger gewesen war, hatte ausgesagt. Alverdes beteuerte, er habe im Gegenteil Wipplinger das Leben retten wollen, der Herero habe Wipplinger angegriffen und schließlich auf ihn geschossen; er habe dem Mörder die Waffe entwunden und sie auf denselben abgefeuert. Alle glaubten ihm. Zumal bei dem Geisteszustand der Frau mit einer zuverlässigen Zeugenaussage ohnehin nicht gerechnet werden durfte. Aber man ließ ihn dennoch nicht frei. Deutsch-Südwestafrika sei ein zivilisiertes Land, hieß es, hier sei das Deutsche Reich, hier herrsche Ordnung, nicht anders als im Deutschen Reich sei auch hier ein Gericht zuständig, wenn es um Mord oder Totschlag oder Tötung aus Notwehr gehe. Nur ein Richter könne darüber entscheiden, was weiter mit ihm geschehe. Bis das Gericht zusammentrete, bleibe er in Gewahrsam. Es wurde gut für ihn gesorgt.
Die Ordnung aber war seit einiger Zeit außer sich geraten.
Wegen der aus dem Süden eingeschleppten Rinderpest und einer Heuschreckenplage hatten die Herero in einem Jahr fast zwei Drittel ihrer Rinder eingebüßt. Als Folge war der Fleischpreis gestiegen. Etliche deutsche Farmer, die nur Ackerbau betrieben hatten, ergriffen die Gelegenheit, um auf Viehzucht umzusteigen, die bisher den Herero vorbehalten war. Die Herero standen vor dem wirtschaftlichen Ruin und waren gezwungen, ihre Lebensmittel auf Kredit bei den Deutschen zu kaufen. Als die Rückzahlfristen verstrichen, wurde ihnen das Land genommen. Inzwischen wußten die Herero, daß ihr Land einen Wert besaß. Ihre Weidegebiete, die nördlich von Windhoek bis zum Ovamboland reichten, wurden zerstückelt, die Farmer errichteten Zäune, sie hielten die ehemaligen Besitzer mit Waffen von den Brunnen fern. Im Januar 1904 griffen die Herero deutsche Siedler an. Ihr Anführer war Samuel Maherero. Gouverneur Leutwein — inzwischen ließ er sich nicht mehr mit Landeshauptmann ansprechen — stellte sich mit seiner Schutztruppe den Aufständischen entgegen. Das Ergebnis war ein Desaster: Ein Viertel seiner Leute wurde erschossen, die meisten mit Gewehren, die vor nicht langer Zeit gegen Land getauscht worden waren. Maherero stürmte das Amtsgebäude von Okahandja, verwüstete das Büro sowie die Wohnung des Polizeimeisters und — befreite den einzigen Gefangenen, der in dem engen Raum mit der eisenbeschlagenen Tür einsaß.
Es fiel Alverdes nicht schwer, seinem Freund zu erklären, warum er als Deutscher in einem Gefängnis der Deutschen sitze. Seine eigenen Landsleute, sagte er, seien über ihn hergefallen, weil er sie beschimpft hätte; er habe die Partei der Herero ergriffen, habe die Deutschen des Betrugs und der brutalen Ausbeutung bezichtigt, habe am Ende geschworen, er werde sich nie gegen das Volk der Herero und dessen Kapitän, seinen Freund Samuel Maherero, stellen; daraufhin hätte ihn Gouverneur Leutwein ins Gefängnis geworfen.
Von nun an kämpfte Hanns Alverdes auf der Seite der Herero gegen die Deutschen. Er wußte, auf welchen Farmen die meisten Waffen zu finden waren, denen gingen sie bei Tag aus dem Weg; in der Nacht aber brachen sie ein, töteten die Bewohner im Schlaf und nahmen sich die Gewehre. Alverdes wußte auch, wo die Vorräte der Stadt aufbewahrt waren; sie plünderten und legten Feuer. Und: Er wußte, wo die Familie jener Frau lebte, die ihn verraten hatte. Unter der Angabe, dort halte sich einer der schlimmsten Scharfmacher gegen die Herero auf, führte er die Aufständischen vor die Stadt. Sie überfielen die Farm, töteten alle Tiere, töteten den Besitzer der Farm, töteten dessen Frau, töteten die drei erwachsenen Söhne, deren Frauen und deren sechs Kinder. Die Magd, die nicht richtig im Kopf war, fing wie wahnsinnig an zu schreien, als sie Alverdes erkannte, und sie hörte nicht mehr auf. Sie wurde zu Boden gerissen, und vier Männer stellten sich auf ihre Arme und Beine. Alverdes trieb zugespitzte Holzkeile durch ihre Hände und Füße und pflockte sie am Boden vor der Scheune fest. Er bat Maherero, ihn allein zu lassen. Er häufte Stroh auf ihren Körper und zündete es an. Er setzte sich neben die schreiende Frau, deren Leib brannte, legte Stroh und Holzspreißel nach, bis sie tot war.
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