Sie stand vor dem Haus, näherte sich dem Fenster, aus dem schwacher Lichtschein drang, als sie aber durch die Scheiben blickte, sah sie sich selbst, vor dem Haus, ihr eigenes Gesicht, das sich der Scheibe näherte, mit den Händen rechts und links das Tageslicht abschirmte, und während sie ihre eigene Gestalt kalt musterte, wußte sie, daß sie träumte. Auf ihr Klingeln öffnete niemand, sie fühlte sich billig, sie wußte, daß sie ihm nachlief, würdelos, aber sie sehnte sich so sehr nach ihm, daß sie dort blieb, vor dem Haus, bis eine Stimme aus einem der oberen Stockwerke sie aufschreckte, und dann rannte sie, durch eine dieser Straßen, die sich so allmählich krümmten, daß man die Biegung immer erst im nachhinein spürte, sie hetzte an den imposanten, grauen Fassaden vorbei. Das ist doch die Regent’s Street, dachte sie, und dann war sie im Park, weite Grasflächen waren abgesperrt, weil dort frisch ausgesät war, erklärte ihr ein alter Mann, der eine Taube in der Hand hielt, aber sie sah genau, daß das Gras dicht und hoch wuchs. Durch das Gras näherte sich eine Katze, und Isabelle ging langsam davon, als könnte sie die Katze täuschen, sie wußte, daß sie aufwachen und nackt sein würde, in einem Zimmer, das hell beleuchtet war, sie bedeckte mit den Händen ihre Scham. Als sie aufwachte, fand sie sich aufgerichtet im Bett, ihr Unterhemd schweißnaß. Jakob war längst fort. Von der Straße hörte sie Lärm, als sie zum vorderen Fenster ging, sah sie ein kleines Baufahrzeug hin- und herfahren, dort, wo vor ein paar Tagen schon der Asphalt aufgebrochen worden war, daneben stand eine Betonmischmaschine, die sich drehte. Die Sonne schien hell ins Zimmer. Es war ein Unterhemd von Jakob, das sie trug, sie streifte es ab, als wäre es eine Berührung, dann duschte sie und zog sich an.
Mit der Kaffeetasse trat sie im Erdgeschoß wieder ans Fenster und schob es hoch. Zwei Männer standen vor dem Fahrzeug, es war ein kleiner Bagger, sie lachten, ihre braungebrannten Oberkörper berührten sich, sie beugten sich über die Grube zu ihren Füßen und lachten. Der eine sprang in die Grube, in der er bis zum Oberkörper verschwand, reckte sich, hob den Spaten. Der andere rief etwas, gestikulierte, hielt die Fäuste über dem Kopf, eine über der anderen, und drehte sie gegenläufig, eine brutale, vulgäre Bewegung, und der andere klopfte sich auf die Schenkel vor Vergnügen, machte sich ein Vergnügen daraus, mit den Händen auf seinen nackten Oberkörper zu schlagen, und da sie die Betonmischmaschine ausgestellt, ihr monotones Kreiseln unterbrochen hatten, hörte Isabelle das Klatschen so deutlich, als sei es neben ihrem Ohr. Sie trank in großen Schlucken den Kaffee, drehte sich um und sah auf ihrem Tisch die Grundrisse des Büros liegen, auf der Kommode den Schlüssel, Hannas Schlüssel, der nicht mehr passen würde, wenn sie nach Berlin zurückkäme. Die Bücher und Unterlagen wurden schon zusammengepackt, die Regale abgeschlagen, — muß ich jetzt deine Schreibtischschublade ausräumen, oder wie stellst du dir das vor? hatte Andras gefragt, aufgebracht, enttäuscht, daß sie nicht einmal zum Umzug nach Berlin kam, — für ein paar Tage, du hast dir nicht einmal das neue Büro angeguckt! Den Mietvertrag, der ihr von Peter zugefaxt worden war, hatte sie unterschrieben, ihrem Anteil entsprechend, ein Drittel Mietvertrag, ein Drittel Kaution, ein Drittel Auslagen, — du könntest mir eine Vollmacht geben, hatte Andras vorgeschlagen, aber Isabelle zog es vor, selber zu unterschreiben. Und schließlich war da Hans, der sich um die Wartburgstraße kümmerte, der den Mietvertrag durchgesehen hatte, auf alles aufpaßte, — der getreue Hans, wie Alistair mit seinem starken Akzent sagte. In ihrer Schublade hatte Andras die alten Fotos gefunden, Alexas Fotos, — ich habe sie in einen Umschlag und zwischen irgendwelche Bücher gepackt. — Alexas Fotos, sagst du? — Wer soll sie denn sonst gemacht haben, hatte Isabelle ungeduldig erwidert. Die Schlüssel. Fotos. Sie würde ihn nicht bitten, ihr die Fotos nach London zu schicken. Tastete ins Leere. Jakob im Büro. Ihr Körper, der immer noch nach Schweiß roch, obwohl sie geduscht hatte, Nachtschweiß, Angstschweiß. Entschlossen griff sie sich den Schlüsselbund und ging hinaus auf die Straße. Jetzt war da Jim, stand vor den beiden Bauarbeitern, die zu ihm aufsahen, als erteile er ihnen seine Befehle. Der eine, kleinere der Arbeiter sah, wie Isabelle sich näherte, Schritt vor Schritt setzte, und da drehte Jim den Kopf zur Seite, um zu sehen, was hinter seinem Rücken vorging, Isabelle trat in den Schatten einer Platane und wieder heraus, als wären ihre eigenen Bewegungen ein Teil des Spiels von Licht und Schatten auf dem Asphalt, das mit jedem Windstoß neue Muster entstehen, alte vergehen ließ. Inzwischen hatte Jim sich ganz zu ihr gedreht, stand breitbeinig da, sagte grinsend etwas zu den beiden Bauarbeitern, die auflachten; wie in einer vorab gedrehten Szene lief sie weiter, wußte, sie würde ihm gehorchen, sie würde sich umarmen und auf den Mund küssen lassen. Ihr Rock war zu kurz, der Wind fuhr darunter, hob ihn hoch, wieder lachten die Männer, der kleinere bückte sich, den Kopf schief gelegt, schielte unter den Rock, und ihr war, als würden seine Hände sich an ihr zu schaffen machen, rasende Wut stieg in ihr auf, sie trat mit zwei raschen Schritten auf ihn zu, der sie verblüfft anguckte, und gab ihm eine Ohrfeige. Das Geräusch schockierte sie. Und da war Jim, trat blitzschnell hinter sie und umfaßte sie von hinten, der andere bog sich vor Lachen, während ihr Opfer blöde dastand, unentschieden, ob er ebenfalls lachen oder Genugtuung verlangen sollte. — Ok, einen Kuß kriegst du, verkündete Jim, hielt Isabelle so fest, daß sie aufstöhnte, sein rechtes Bein hatte er zwischen ihre Schenkel geschoben. Der Geohrfeigte näherte sich, er grinste zufrieden, die Wut schoß wieder in ihr hoch, sie trat, so fest sie konnte, in seine Richtung, während sie sich an Jim preßte. — Laß nur, winkte der Mann ab, ist ja dein Pferdchen. Jim lockerte seinen Griff, legte seine linke Hand auf ihre Brust, — aber sie soll tun, was ich ihr sage, er drückte ihre Brust, knetete sie. Dann schob er sie sachte vorwärts, bis sie am Rand des Aushubs stand. Die beiden Männer packten ihre Spaten und T-Shirts, holten aus einer Tüte zwei Bierflaschen und trollten sich. Jim ließ sie nicht los, er rieb sich an ihrem Po, während sie hinunterstarrte, wo drei Ratten erschlagen in dem flachen Wasser lagen, die Ratten ebenso schmutzigbraun wie das Wasser, und daneben die Katze, aus deren Bauch die Eingeweide quollen, stinkend, das Fell leuchtete aber vor dem dunklen Hintergrund. Jim trat neben sie, beobachtete ihr Gesicht, dann griff er einen langen Stock, schob ihn unter den Hals der Katze und hob sie ein paar Zentimeter aus dem Wasser, aus dem einen Auge war Blut gesickert und eingetrocknet, die Ratten hatten am Bauch angefangen zu fressen, doch man konnte deutlich sehen, daß der Schädel eingedrückt war. Jemand mußte sie in die Baugrube geworfen haben, ins flache Wasser. — Sie werfen Sand drauf und machen alles dicht, sagte Jim, wenn du der Katze ein Gebet sagen willst, dann mußt du’s jetzt tun. Er stocherte mit der Spitze seiner Turnschuhe gelangweilt im aufgehäuften Sand. — Siehst du den Kopf? Hübsch eingeschlagen. Sie muß ein paar Tage woanders gelegen haben, sonst hätten die Ratten sie längst erwischt. Ein Windstoß blies ihr den Gestank ins Gesicht. Von einem Baum stürzte eher als daß sie flog eine Möwe, mit einem hellen, aggressiven Schrei, touchierte den Asphalt neben ihnen, stieg wieder auf, wiederholte das Manöver noch einmal und schneller, diesmal landete sie unglücklich, Jim schlug mit dem Stock nach ihr, sie riß sich wieder hoch, beinahe senkrecht aufsteigend. Isabelle würgte. Er nahm ihr die Schlüssel aus der Hand, die Schlüssel, die warm und feucht waren wie ihre Handfläche, er steckte den Finger durch den Schlüsselring, klimperte vor ihrem Gesicht. — In ein paar Tagen haue ich ab. Blaß stand sie vor ihm, die Übelkeit niederkämpfend. — Ich gehe, kapierst du? Er drehte sich um und ging auf ihre Haustür zu, fand den richtigen Schlüssel, öffnete die Tür. — Komm schon, rief er gleichgültig, trat auf die Schwelle, wartete, bis sie ihm folgte. Er schien zu wissen, daß Jakob nicht da war, und selbst wenn, dachte sie, wäre es eine Niederlage für Jakob, der sich nicht wehrte, der sich in Sicherheit gebracht hatte. Jim ließ die Tür zufallen, schloß sie hinter ihnen ab, steckte den Schlüssel ein. Auf dem Treppengeländer hing Jakobs Unterhemd wie eine weiße Fahne. Isabelle hielt sich am Geländer fest, mit beiden Händen, — Scheißkerl, sagte Jim unmotiviert, das Telefon klingelte, er bedeutete ihr stehenzubleiben, nicht zu antworten. Das Band sprang an, sie lauschten beide Isabelles Ansage, den Atemzügen des Anrufers. Das ist Andras, dachte sie, richtete sich auf. Es war Andras. Er sagte seinen Namen, zögerte. — Sonja ist schwanger, sagte er, wollte ich dir nur erzählen. Isabelle traten Tränen in die Augen. Jim musterte sie neugierig, dann wendete er sich ab, ging die Treppe hinauf, arbeitete sich vom obersten Stockwerk, vom Schlafzimmer, nach unten vor, jedes Möbelstück musternd, die Hände in den Hosentaschen, als wollte er demonstrieren, daß er nichts anfaßte, wie ein Kind, das brav den Eltern folgte, bei fremden Leuten zu Besuch, gelangweilt und doch neugierig auf dieses fremde Leben. Er sah mißmutig aus, als sei vereitelt, was er sich vorgenommen hatte. Den Schlüssel zog er wieder aus der Tasche, spielte damit.
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