Es war ein Rausschmiß, nicht mehr und nichts anderes, Jim zerriß den Brief in Schnipsel, trat gegen das Sofa. Das war es. Und er wußte nicht, wohin. Leutselig, ekelhaft. Weil Damian Geld hatte, weil er seine Eltern hatte, die das Geld hatten, und er, Jim, mußte dankbar sein für all die Monate, die er hier gewohnt hatte, ohne einen Cent zu bezahlen. Er schaute sich um, es war ziemlich aufgeräumt, so, wie es Mae gefallen hätte, und eines Tages, hatte er gedacht, würde er sie hierherbringen und sagen, dies ist dein Zuhause. Eine nette kleine Wohnung in einer netten kleinen Straße. Ein Zuhause. Eines Tages, hatte er gedacht, würde er sie finden. Ihre Vermißten-Poster waren längst durch andere ersetzt, mit anderen Gesichtern und anderen Namen, und nur einmal hatte Jim zwei Verrückte davorstehen sehen, die irgend etwas vor sich hinbrabbelten.
Er war in das Pub auf der Holloway Road gegangen, aber die braunhaarige Kellnerin war nicht dagewesen, und dann hatte er ein Mädchen aufgelesen, aber bevor sie in die Lady Margaret Road eingebogen waren, hatte er ihr einen Geldschein in die Hand gedrückt und sie weggeschickt. Er dachte, daß er verrückt werden würde, wenn er nicht bald mit einer Frau schlief, aber gleichzeitig ekelte ihn der Gedanke daran. Dave war zwei Nächte bei ihm geblieben, nach einer Prügelei mit seinem Vater, das war die einzige Abwechslung gewesen, obwohl Dave ihm die Ohren vollgejammert hatte, daß seine Schwester eine ganze Nacht im Garten verbracht habe, daß ihr Vater ihn rausschmeißen wolle, endgültig, weil Dave gedroht habe, in der Schule zu sagen, daß seine Schwester nicht in die Schule gehe, und wer den Ärger bekommen würde, — wie ich ihn hasse, hatte Dave gesagt und angefangen zu weinen, nicht wie ein Kind, sondern wie ein Erwachsener. Ein stilles, erwachsenes Weinen. Dave bettelte ihn an, er solle ihn mitnehmen, aber Jim hatte keine Lust, sich Ärger einzuhandeln. Er wollte ihn nicht zu Albert schicken. Er hatte Dave das Sofa überlassen, obwohl er selbst lieber auf dem Sofa als im Schlafzimmer, in dem Doppelbett, schlief. Einmal brachte Dave die Kleine mit zu Pang’s Garden , sie aß langsam ihre Pommes und starrte ihn andächtig an, weil er ihr Pommes kaufte, weil er ihr eine Cola kaufte. Weggehen, dachte er, als er sie sah, ein häßliches, kleines Ding mit hartnäckigen Augen. Sie beobachtete aufmerksam, wie aus der Luke über der Küche ein herausgeputztes Mädchen herunterkam, vergnügt und mit einer Schleife im Haar, die enge Treppe, eher eine Leiter, herunterbalancierte. Hishams Jungen fielen ihm ein, und er spuckte aus. Liefen aufgeputzt und vergnügt herum, während die beiden Kinder hier, richtige Engländer, abgerissen und verängstigt aussahen und ihn anstaunten wie den lieben Gott, weil er ihnen Pommes und eine Cola spendierte. Die Kleine nervte ihn, weil sie sich an seinem Gesicht förmlich festsaugte mit ihren Augen, und dann streckte sie ihm die Hand hin und sagte, — Danke, Sir. Hartnäckig sah sie aus, zutraulich, schuldbewußt. Dave wollte Sachen für ihn erledigen, sagte er, aber Jim weigerte sich. Sie gingen zu dritt zurück, als wären sie eine Familie, dachte Jim, das war es, was man denken mußte, wenn man sie sah, zu dritt nebeneinander. Er stellte sich vor, daß er mit Mae und mit zwei Kindern wohnte, daß sie aufs Land zogen, weil das hier kein Leben war. Und Damian kam zurück und jagte ihn aus der Wohnung.
Als es eines Mittags klingelte, griff Jim ein Messer und riß die Tür auf. Aber es war nicht Damian, es war Hisham, und Jim, erleichtert, aufgebracht, verlor die Fassung. — Woher hast du beschissener Bastard meine Adresse? Er tobte, Hisham ging an ihm vorbei ins Zimmer, ohne etwas zu sagen, und Jim griff einen Teller, warf nach ihm, schleuderte einen Stuhl mit solcher Kraft, daß Hisham Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben, und der Stuhl zerbrach. Es war Jim recht, er würde Damian eine Wüste hinterlassen, in seinem Kopf war etwas Klares, Helles, und Hisham bückte sich, um die Scherben aufzulesen, mit seinem ruhigen, irgendwie bekümmerten Gesicht, wie eine Krankenschwester, wenn der Patient sich die Schläuche aus den Armen zerrt, und Jim lachte, lachte. Hisham würde auch noch helfen aufzuräumen, wenn Jim es nur zuließ, es stachelte ihn an, er trat gegen den Fernseher, den Hisham im letzten Moment festhielt, rannte in die Küche, riß die Schränke auf, alles, woran er sich gewöhnt hatte, so eine hübsche Küchenzeile, mit Bedacht von Damians Mutter ausgesucht, die jetzt irgendwo auf den Kanal-Inseln oder in der Schweiz ihren fetten Arsch auf den Polstern rekelte, immer eine Sonnenbrille im Gesicht, weil sie sich für ihren Sohn schämte, immer bereit zu bezahlen, damit man sie nur in Ruhe ließ, und Damian würde sie anrufen, etwas von Einbrechern faseln, die Polizei anrufen, und dann würde Mum die Renovierung bezahlen, ein neues Leben vielleicht, nicht wahr? Es gab immer ein neues Leben, man mußte nur von neuem anfangen, den Dreck wegräumen, von vorne beginnen, unverzagt, ein guter Mensch werden, ein gutes Leben führen, so wie Hisham, der aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen vor Kummer, und wahrscheinlich betete er schon zu Allah, daß er Jim retten möge, da der verfickte Christengott sich um anderes zu kümmern hatte, etwa um die Schlachtopfer seines Konkurrenten, die auf ihren Beinstümpfen durch Bagdad oder New York wackelten. So war es gut. Irgendwo gab es eine Heimstatt für die Unglücklichen und Verfolgten, denn die Hand des Herrn wacht über euch. War das nicht so? Er wischte mit der Hand die Gläser aus dem Schrank und zertrat sie, mit nackten Füßen, weil es hell war, weil er etwas in Hishams Gesicht sah, das er nicht begriff und vor dem er Angst hatte, und da war es, was er fürchtete, dieses Fremde, das von ihm Besitz ergriff, ein Engel, der ihm die Flügel um die Schultern legte, der ihm die Augen verschloß, damit er nicht sah, was ihm widerfuhr. Sein Garten, der Garten mit dem Kirschbaum in der Mitte und der Mauer drum herum, wo Mae auf ihn wartete, weil sie leben wollte, weil sie beide auch ein Anrecht hatten auf ihr Leben. Sie lächelte ihm zu, zufrieden, gesund, sie breitete die Arme aus, nur drängte sich immer jemand dazwischen, jemand, der es ihnen nicht gönnte, daß sie lebten, daß sie glücklich waren. Sie hätte ihn nie aus eigenem Antrieb verlassen, und es war richtig, auf sie zu warten, sich nicht in die Irre führen zu lassen, nicht von Albert und nicht von Isabelle, die ihn mit ihren kindischen, tollen Augen aufforderte, sie zu küssen, denn so war es, sie bot sich ihm an, er müßte nur ein Wort sagen, schon hinge sie ihm am Hals. Mae liebte ihn. Es gab etwas Helles, es war nur eine Handbreit von ihm entfernt, er mußte nur danach greifen, bevor es zu spät war, bevor Damian ihn rausschmiß. Mit der linken Hand schwenkte er triumphierend die Pfanne, schnellte herum, denn Hisham war hinter ihm, fahl wie der andere Engel, der ihn nicht beschützte, sondern verriet, der Todesengel. Aber er würde es ihm austreiben, sich einzumischen. Jim fühlte, daß Mae in der Nähe war, nur einen winzigen Schritt entfernt, er versuchte sich zu konzentrieren, nur ein winziger Schritt, bis er bei ihr war, und in seinem Kopf splitterte etwas, während er ausholte, da war es, wie er es mit Mae kannte, hell, aber es zersplitterte, und er würde Hisham töten. Sie sahen sich an. Dann schlug Hisham die Augen nieder, drehte sich um, als wollte er nicht schuld, nicht Zeuge sein. Er bot Jim den Hinterkopf, verharrte, ohne sich zu schützen. Fing leise an zu reden, zu leise, als daß Jim ihn hätte verstehen können. — Scheißkerl, sagte Jim. Jetzt war es weder hell noch dunkel. Nur die Küche, die Scherben, Jims Füße, die bluteten. — Scheißkerl. Einen Moment war es still. Als wäre die Luft mit etwas vermischt, dachte Jim, vollgestopft mit etwas, das einen nicht atmen ließ. —Besser so als anders, sagte Hisham langsam. Schau dir das an. Er zog eine Schublade, eine zweite auf, suchte etwas, fand es nicht. — Mein Gott, sagte er zu Jim, jetzt hol wenigstens Klopapier.
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