«Und wo lassen Sie drucken?«fragte Jörg tonlos.
«Ich bin in Gera gewesen«, sagte er in einem Tonfall leutseliger Fachsimpelei.»In Gera haben sie Lichtsatz, die lecken sich jetzt schon die Finger, so ein Geschäft bringen wir denen. Aber nur nach unseren Konditionen. Sonst fliegen wir alles aus Gießen ein. Dann kommt die Zeitung eben erst um sieben. Wann kommt sie hier?«fragte er.»Um elf, um zwölf, um zwei?«
«Und wir?«fragte ich.»Wieviel sind wir Ihnen wert?«
«Enrico!«rief Jörg und schwieg.
Ein Lächeln beseelte den Chef vom Dienst, das so verräterisch war, daß ich das Matchbox-Auto erst bemerkte, als es meine Hand berührte.
«Für jeden einen, hier vor die Tür«, sagte er. Ich schob den kleinen BMW weiter zu Jörg, der ihn mit einer Handbewegung abwehrte, als verscheuchte er eine Fliege.»Und zwanzigtausend auf die Hand, bar, in einer Woche, D-Mark, zwanzigtausend, für jeden zehn.«
Er könne seine Glasperlen wieder einstecken, sagte Jörg und sah mich an.»Das ist doch unglaublich, nicht? Völlig unglaublich!«
Am liebsten hätte ich dem Gießener — Offenheit gegen Offenheit — ein Märchen erzählt. Dieselben Argumente, die er so eindrucksvoll vorgetragen habe, hätten uns bereits dazu bewogen, nach einem starken Partner Ausschau zu halten, nach einem, der in ganz Thüringen präsent sei und der über eine Druckerei in der Region verfügte. Doch Jörgs Empörung ließ für Bluffs keinen Spielraum.
Die Peripetie kündigte sich durch Schläge gegen das Hoftor und die gleichzeitig aufspringende Tür zum Vorraum an, aus dem das» Anybody home?«des Barons erklang, eine Frage, mit der er sich selbst ständig zum Lachen bringt, obwohl niemand kapiert, was daran witzig sein soll.
Mehrmals bewegte sich die Klinke vergeblich, bevor die Tür langsam aufschwang. Vom Baron sah man nur Beine und Stiefel, alles andere war ein Karton.
Der Baron war glänzender Laune, begrüßte den Chef vom Dienst mit Herzlichkeit und schüttete sich dann aus vor Lachen, weil das» Käferchen«, die ihm auf der Treppe begegnet war, die anderen ausgesperrt hatte. Jörg lief nach unten.
Ich half dem Baron, den Karton in den Nebenraum zu tragen. Er fragte, ob er die Sachen für ein paar Tage bei uns lassen dürfe, bis sein Büro fertig sei.
Der Chef vom Dienst hatte sich erhoben, magisch angezogen von dem Markenzeichen auf dem Karton, einem angebissenen Apfel. Inzwischen war auch Jörg wieder heraufgekommen und mit ihm zwei Männer, ebenfalls schwer beladen.
Der eine, Andy, ein Ami fast ohne Deutschkenntnisse, der andere unser Rechtsanwalt Bodo von Recklewitz-Münzner.
Recklewitz haben wir es zu verdanken, daß wir in Sachen Pipping-Fenster ruhig schlafen können. Recklewitz’ Gesicht, aus dem die Nase spitz und schief hervorsticht, hat tatsächlich etwas Aristokratisches, sein Lachen ähnelt dem des Barons. Auch er verzieht jeweils nur die linke Mundhälfte. Andy, groß, breitschultrig, rotblond und blauäugig, lacht gern und laut. Seine Augen suchen ständig den Baron, weil der ihm hin und wieder etwas übersetzt.»Wie geht’s?«sagte Andy, drückte mir die Hand und schien in meinen Augen zu forschen. Der Chef vom Dienst sagte» How do you do?«und fragte mich leise:»Sie rüsten um?«Ich nickte.
Jörg mußte auf der Treppe etwas gesagt haben, denn von Recklewitz trat, sich die Hände reibend, vor den Chef vom Dienst und fragte, als erkundige er sich nach der Uhrzeit:»Sie wollen uns also brotlos machen?«
Und Jörg, dankbar, sich beklagen zu können, petzte:»Entweder mit oder gegen uns. So ist es doch, das haben Sie gesagt!?«
«So einfach ist es nun nicht«, verteidigte sich der Chef vom Dienst und zog seine Visitenkarte hervor. Während er die Geschichte unserer Freundschaft vortrug, waren Andy und der Baron nebenan damit beschäftigt, die Apparate aus den Kisten zu holen.
«Und was wird aus unseren Investitionen?«blaffte Recklewitz und hackte mit der Nase in meine Richtung. Er war großartig. 184
Der Baron bat uns herüber.»Das ist das Beste«, schwärmte er,»es gibt nichts Besseres … Sie sind aus der Branche?«Und als auch er eine Gießener Visitenkarte erhalten hatte, rief er:»Dann werden Sie das bestätigen?«Und der Chef vom Dienst bestätigte es umgehend. Sie selbst überlegten, ein paar» Apple «einzusetzen, in einigen Bereichen jedenfalls» mache das wohl Sinn«. Und allmählich wurde der Chef vom Dienst wieder zu jenem begeisterten Besucher, als der er sich im Februar über unsere Spiegel gebeugt hatte. Er hielt den Karton fest, als Andy den Bildschirm aus dem Kasten zog, räumte das Styropor zusammen, ließ sich keinen Kabelanschluß entgehen und betrachtete ebenso sorgenvoll wie Andy unsere Steckdosen.
Sogar an Verlängerungsschnüre und eine Verteilerdose hatte der Baron gedacht. Nur Recklewitz drängelte, er hatte Hunger. Wir verzogen uns mit ihm nach oben. Kurt bot Recklewitz etwas aus seiner Brotkapsel an. Recklewitz dankte irritiert. Er habe so viel vom hiesigen Mutzbraten gehört (auch er sprach es falsch aus), daß er sich lieber noch etwas beherrschen wolle. Kurt klappte die obere Scheibe zurück, zeigte eine dicke Schicht Landleberwurst vor und biß dann selbst hinein.
Solltest Du jemals Bodo von Recklewitz-Münzner kennenlernen, so wirst Du sehen, daß er seinem Namen alle Ehre macht. Zuerst ist er ganz der Herr von Recklewitz, der nur über den Wassergraben seiner Burg hinweg Befehle erteilt. Ja, man merkt seinen Augen und Schläfen die Kopfschmerzen an, die es ihm bereitet, wenn sich jemand zu ihm setzt, statt in einigen Metern Abstand auf seinen Wink zu warten. Hat er sich dann erst einmal geordnet, den Blick von einem fernen Horizont zurückgeholt und den inneren Widerstand, den jede neue Berührung mit der Welt in ihm hervorruft, überwunden, wird aus dem Herrn von Recklewitz mit jedem Wort, mit jeder Erläuterung und Anmerkung mehr und mehr der hilfsbereite Herr Münzner, der uns zukünftig mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. Wir zahlen ihm sechshundert Mark pro Monat und können ihn dafür jederzeit und mit allem in Anspruch nehmen — nur Fahrtkosten sind extra. Damit sei er, vor allem aber seien seine Klienten mit dieser Regelung stets gut gefahren. Nur sollten wir nicht den folgenschweren Fehler begehen, Recht und Gerechtigkeit miteinander zu verwechseln. Er sei für das Recht zuständig, dafür, recht zu bekommen.
Und plötzlich, nachdem der Vertrag unterschrieben war, lachte uns linksseitig unser alter Schulfreund Bodo an, mit dem zusammen wir jetzt was Gutes essen würden.
«Wir müssen da schleunigst runter«, rief er,»von allein werden die nicht rauskommen. «Bodo von Recklewitz-Münzner erwartete sich Sagenhaftes von der hiesigen Küche.
Ich lud den Chef vom Dienst ein, mit uns zu essen.»Glauben Sie mir«, sagte er und ergriff mit beiden Händen meine Rechte,»wenn ich nicht morgen früh diese Beratung hätte, ich würde es tun! Ja, ich würde es tun, und dann würde ich Sie, Sie alle hier, einladen!«
Wir geleiteten ihn zum Wagen, zu ebenjenem BMW, dessen Modell ich als Corpus delicti in der Hosentasche trug.»Ein schönes Auto«, rief ich, als der Chef vom Dienst das Fenster herabsurren ließ. Er setzte zurück und streckte den Kopf heraus, als wollte er sehen, ob wir noch alle da wären. Beim Anfahren reckte er seinen Arm bis übers Dach und winkte mit seiner Fliegenhand, wobei er, wie ein neues Versprechen, ein Goldarmband entblößte.
«Der Sauhund!«rief Jörg, der noch vor Recklewitz seinen Arm hatte sinken lassen.»Dieser Sauhund!«
«Seien Sie froh«, lachte der Baron,»daß Sie an so einen geraten sind, und seien Sie stolz! Kaum daß Sie auf dem Markt sind, umwirbt man Sie. Was wollen Sie mehr?«
«Sitzt die ganze Zeit mit so einem Spielzeug im Jackett da und wartet auf seinen Einsatz, pfui Teufel!«rief Jörg.
Der Baron schwieg, wie um sicherzugehen, daß Jörg tatsächlich zu Ende gesprochen hatte, und sagte dann:»Bauen Sie die Mauer wieder auf, aber beeilen Sie sich damit!«
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