»Ich kann nicht klagen«, sagte Louise, die ständig klagte.
»Du siehst gut aus«, log Juts; sie fand Bunny Von Bonhurst fett wie eine Zecke.
»Wie ich höre, bist du jetzt Mutter.«
»Ja, sie ist ein Quälgeist.«
»Das sind sie alle.« Bunny lachte herzhaft. »Sagt mal, ich hab an euch gedacht im Krieg, als ich in der Zeitung den Artikel über die deutschen Flugzeuge las. Ihr müßt Todesängste ausgestanden haben.«
»Allerdings«, erwiderte Louise wahrheitsgemäß, und sie lächelte, als die daran zurückdachte.
»Das war vielleicht eine Nacht.« Juts beschloß, Louise die Hölle heiß zu machen. »Louise hatte das Fernglas, und wir haben was gehört. Natürlich dachten wir nicht im Traum daran, daß es der Feind sein könnte, obwohl wir ausgebildet waren, nach ihm Ausschau zu halten. Jedenfalls haben sich dicke Wolken am Himmel gewälzt, und dann sah Louise sie in V- Formation direkt auf uns zukommen. Mir ist fast das Herz stehen geblieben.«
Louise ging es jetzt ebenso, denn sie war überzeugt, daß ihre wütende Schwester sie mit einem ungeschminkten Bericht bloßstellen würde. »Aber Julia. Bunny will bestimmt nicht alle Einzelheiten hören.«
»O doch!«
»Hm« - Julia leckte sich die Lippen - »Wheezie schrie >Deutsche<, und ich hab den großen Scheinwerfer auf die Flugzeuge geschwenkt, aber die waren sehr weit oben. Wheezie hat die Sirene gekurbelt. Es war mitten in der Nacht. Die Leute kamen aus ihren Häusern gerannt; Caesura Frothingham, du erinnerst dich an sie.« Als Bunny nickte, fuhr Juts fort: »... hat so laut gebrüllt, daß sie Tote hätte aufwecken können: >Die bringen uns um!<, dann ist sie wie ein kopfloses Huhn rumgerannt, bis sie sich schließlich unter ihrem Auto verkroch. Als ob das was genützt hätte. Und.«
»Julia, wirklich.« Louise sah demonstrativ auf ihre Armbanduhr. »Bunny, es war so schön, dich mal wieder zu sehen.«
»Weißt du, das Seltsame mit diesen Deutschen war, daß sie plötzlich verschwanden. Die Wolken müssen weiter westlich wohl doch dichter gewesen sein, oder vielleicht sind sie umgekehrt und zum Meer zurückgeflogen.« Juts grinste Louise hämisch an, dann schenkte sie Bunny ein reizendes Lächeln.
»Pearlie war fest überzeugt, daß sie aus Neufundland kamen«, sagte Louise abgehackt.
»Das ist aber weit weg.« Bunny runzelte die Stirn.
»Sie haben keine Flugzeugträger«, rieb Juts ihr unter die Nase.
»Sie hätten sich einen von den Japanern leihen können. Immerhin standen sie auf derselben Seite.« Louise erdolchte sie mit ihrem Blick.
»Ja, die waren schwer auf Achse.«
Bunny kicherte. »Juts, du änderst dich nie.«
»Leider.« Louise lächelte steif. »Immer noch die böse kleine Schwester.« Sie nahm Julia am Arm, schob sie die Straße hinunter und rief Bunny über die Schulter zu: »Komm uns doch mal besuchen. Wir haben uns so lange nicht gesehen.«
Bunny winkte. »Mach ich.«
Als sie außer Hörweite waren, zischte Louise: »Wenn du noch einmal auch nur darauf anspielst, was damals in der Nacht passiert ist, schneid ich dir die Kehle durch.«
»Dann sei mal lieber sehr nett zu mir.«
»Ich bin nett zu dir. Ich versuche, eine kommende Katastrophe zu verhindern.«
»Wenn ich deinen Rat wünsche, werde ich dich darum bitten. Andererseits« - das hämische Grinsen erschien wieder - »bist du meine große Schwester. Dein Geburtstag steht vor der Tür, und du wirst bald fünfzig.«
»Werd ich nicht!«
»Stimmt, ich vergaß. Du bist 1901 geboren. Du wirst erst neunundvierzig. Da werden wir wohl noch ein Jahr auf den großen Tag warten müssen.«
»Ich bin nicht neunundvierzig.«
»Das ist aber komisch, Wheezie, denn ich bin fünfundvierzig.«
»Du warst nie gut in Mathematik.«
Sie fuhren schweigend nach Hause. Louise war gewarnt und wollte Julia nicht noch mehr provozieren, und sie war immer noch so wütend, daß sie nicht wagte, den Mund aufzumachen. Juts summte auf dem ganzen Heimweg, unterbrach ihre musikalische Träumerei nur, wenn sie auf der Route 116 an Vertrautem vorbeikamen. Sie genoß es, Louise in der Hand zu haben. Sie ließ sie sogar in Spring Grove anhalten, um sich eine Cola zu kaufen, weil sie wußte, daß der Gestank von der nahe gelegenen Papierfabrik Louise den Magen umdrehen würde.
Als Wheezie in Juts' Einfahrt anhielt, sprang Juts aus dem Auto, schnappte sich ein paar Päckchen und sagte: »Ich habe eine neue Devise - >Sag die Wahrheit und mach dich davon. < Neunundvierzig!« Sie schloß den Wagenschlag und flitzte zum Haus.
Alle, die auf Louises Geburtstagsfeier eingeladen waren, mußten die Illusion aufrechterhalten, daß sie knapp die vierzig überschritten hatte.
Nickel, die Feste aller Art liebte, stand an der Tür und nahm die Mäntel entgegen. Sie warf sie auf das Bett in Louises Schlafzimmer. Als der Haufen zu groß wurde, warf sie die Mäntel auf Doodlebugs Bett, weil sie dachte, auf das Bett käme es an. Das einzig Dumme dabei war, daß Ramelle Chalfontes Nerzmantel Flöhe bekam.
Extra Billy und Mary betätigten sich als Barkeeper und Bedienung. Mary reichte Tabletts mit Horsd'reuvres herum. Sie faßte es nicht, daß Menschen so viel essen und trinken konnten.
Lillian Yost begrüßte Juts. »Was sagst du zu Natalie Bitters?« Natalie war Billys Großtante. »Eine Bärenkonstitution, und dann - mir nichts, dir nichts hinüber.«
»Popeye Huffstetler hat die Todesanzeige verfaßt. Er schrieb: Natalie Bitters hat in den liebenden Armen Jesu die ewige Ruhe gefunden<���« Juts kicherte. »Das war gelogen. Nicht mal Jesus würde diese Zicke wollen.«
Wäre Juts umsichtiger gewesen, hätte sie gesehen, daß Natalie Bitters' einzige Freundin in diesem Leben, Samantha Dingledine, hinter ihr stand.
»Wie kannst du so etwas sagen?«
»Sie war ungefähr so attraktiv wie Ziegenködel«, erwiderte Juts, die dem Alkohol kräftig zugesprochen hatte, während sie bei den Vorbereitungen für das Fest half.
»Ich gehe!« Samantha schob sich zur Tür.
Louise, die Samantha nicht verprellen wollte, weil sie ein großes Haus zu streichen und Pearlie sich um den Auftrag bemüht hatte, eilte zu ihr. »Hör nicht auf Juts. Sie hat weniger Verstand, als Gott einer Gans gegeben hat.«
»Gans oder Gänsen?« Juts kniff die Augen zusammen.
Louise, der die Anspielung nicht entging, legte ihren Arm um Samanthas Schultern und zwinkerte dabei Juts zu, in der Hoffnung, sie dadurch zu ihrer Verbündeten zu machen. »Feind hört mit.«
»Meinst du mich oder deine Schwester?«
»Entschuldige, Samantha. Das sagen Juts und ich immer, um uns gegenseitig zu beruhigen.«
Als Louise zur Bowleschüssel kam, leerte Nickel dort gerade ein Glas Bowle.
»Stell das Glas hin, du kleine Säuferin.«
»Hm?« Erschrocken sah Nicky ihre Tante an, deren roter Lippenstift leicht verschmiert war.
Louise riß Nickel das Glas aus der Hand. Juts schritt ein. »Wheezie, sie wußte nicht, daß es eine Schüssel für Kinder und eine für Erwachsene gibt.«
»Du könntest mal versuchen, sie zu erziehen.«
Nickel lauschte dieser Auseinandersetzung, während Samantha Dingledine sich zurückzog. Dann tauchte sie geschwind ein neues Glas in die Bowle, die ihr ausgezeichnet schmeckte.
»Ich erziehe sie ja!«
Louise entging der zweite Vorstoß auf die Bowle nicht. Sie packte Nickel am Handgelenk. »Wag es nicht, die Bowle zu trinken.«
»Laß sie in Ruhe.« Juts schlug Louise so fest auf den Rücken, daß ihre falschen Zähne in die Schüssel flogen.
Louise konnte nicht schreien, weil dann alle gemerkt hätten, daß sie keine Zähne hatte. Sie hoffte, daß niemand das Gebiß hatte herausfliegen sehen, aber natürlich hatten es viele beobachtet. Sie fischte in der Schüssel umher.
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