»Juts, du mußt das Kind bestrafen, und zwar gleich.«
»Sei nicht patzig zu Tante Wheezie, Kind.« Juts zog ihre Zigaretten aus der Tasche ihres Hauskleids. Sie zündete sich eine an und gab Nickel eine zum Spielen.
»Nein, Julia, du mußt ihr den Hintern versohlen. Dasselbe sage ich Mary wegen Oderuss. Sei streng. Sei konsequent. Nicky ist weggelaufen. Sie ist trotzig. Sie hätte umkommen können!«
»Ich versohle sie erst, wenn sie es noch einmal tut.«
»Du ziehst einen Satansbraten groß. Du hast nicht die leiseste Ahnung von Mutterschaft«, klagte Louise, immer noch aufgewühlt, als sie zum Haus zurückgingen. »Aber was sollte ich auch anderes erwarten?«
»Was soll das denn bitte heißen?«
»Nun ja, du hast das Kind nicht in dir getragen. Es ist etwas anderes, wenn Kinder in einem wachsen.« Louise zog ihren letzten Trumpf aus dem Ärmel.
»Schwachsinn.«
»Siehst du, eine richtige Mutter würde vor einem Kind nicht fluchen.«
Julia lief rot an und zischte: »Halt deine gottverdammte Klappe.«
»Ich muß doch sehr bitten.« Louises Stimme klang hohl.
»Du wirst mich noch um was ganz anderes bitten. Du hast deine Kinder auf deine Art erzogen, und ich erziehe mein Kind auf meine Art. Und komm mir bloß nicht noch einmal mit diesem Mist von wegen es muß in einem wachsen, sonst helfe mir Gott, ich schlag dir deine gesamten Goldfüllungen in die Gurgel.«
»Sei doch nicht so empfindlich.«
»Wenn du denken würdest, bevor du den Mund aufmachst, kämst du nicht halb so oft in Schwierigkeiten.« Juts rempelte Louise mit der Schulter an und zwang ihre Schwester, das Gewicht zu verlagern.
»Wer im Glashaus sitzt.«
»... soll nicht mit Steinen werfen.«
»Der Spatz in der Hand.«
». ist besser als die Taube auf dem Dach. Gleich und Gleich.«
».gesellt sich gern.«
»Ein rollender Stein.«
». setzt kein Moos an.« Wheezie lächelte, als sie das Lattentor aufstießen. Sie betrachtete Nickel, die nicht wie eine Hunsenmeir aussah, obwohl Rillma mütterlicherseits, von der irisch-maurischen Seite her, mit Cora verwandt war. Ihr kam der Gedanke, daß es für ein braunäugiges Kind womöglich befremdlich war, mit Eltern aufzuwachsen, die beide blonde Haare und strahlend graue Augen hatten. Wenn Louises Töchter sie ansahen, konnten sie gewissermaßen sich selbst wiedererkennen; das Gefühl würde Nickel nie kennen. Louise war überzeugt, daß dies ins Gewicht fiel. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, daß sich das Kind ohne solche Bindungen und Erwartungen unter Umständen freier fühlte.
»Louise, Mutter zu sein ist viel schwerer, als ich gedacht hatte, aber Kindererziehung hat nichts mit Abstammung zu tun.« Juts hatte nach diesem Schrecken nicht die Kraft, Louise zusammenzustauchen.
»Siehst du nicht, daß alles, was du jetzt tust, später auf dich zurückfällt? Du kannst das Kind nicht ohne Zügel.«
»Ich hab nur eine Sekunde nicht hingeguckt.«
»Das genügt. Denk dran, was Tadja BonBon passiert ist.« Tadjas kleiner Junge war im Jahr zuvor im Schwimmbad ertrunken. Sie war nur einen Augenblick lang abgelenkt gewesen. Alle hatten ihr die Schuld gegeben, was das Ganze noch schlimmer machte. »Ich möchte nicht, daß du noch mehr Kummer hast, als du ohnehin schon hattest. Sie ist ein eigensinniges kleines Ding, und sie braucht eine starke Hand. Sie sind wie Tiere, Julia, du mußt sie im Griff haben, sonst stellen sie alles auf den Kopf, verpulvern dein Geld und gehen fort, ohne auch nur danke zu sagen. Mein Gott, sieh dir die BittersSippschaft an. Extra Billy ist der Einzige, der sich bemüht hat, etwas aus sich zu machen, und er ist immer noch reichlich ungeschliffen. Du mußt standhaft bleiben.«
Juts erwiderte: »Manchmal habe ich den Eindruck, du hast lauter Perlen ohne Schnur.«
Grün wogte das Gras auf den Wiesen. Daß der Frühling sich auch dieses Jahr beeilt hatte, verhieß einen guten Start für die Ernte, und die Bauern prophezeiten, wenn das Wetter sich hielte, würden sie dreimal reichlich Heu einfahren können.
Chester lebte nach der Devise >Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben<. Abends arbeitete er an der Vollendung der Sattelkammer von Harry Mundis. Harry wollte wie ein englischer Lord leben. Freilich hatten die echten englischen Lords in zwei Weltkriegen so viel verloren, daß viele in kalten Häusern froren, um Heizkosten zu sparen. Schlimmer noch, manche teilten ihre großen Güter auf. Harry jedoch verdiente sich dumm und dämlich, zuerst mit Regierungsaufträgen während des Krieges und danach mit dem Abriß derselben Gebäude und dem Verkauf des Materials an Bauunternehmer. Das war nicht ungesetzlich, solange er das Material als gebraucht deklarierte, und das tat er. Da Geld nach dem Krieg knapp war, war mancher froh, Ziegelsteine, Bauholz, Seitenwandungen und Dachrinnen zu reduzierten Preisen zu bekommen. Den Stahl hortete er.
Mundis' Aufstieg zum glanzvollen Konkurrenten der Rifes und Chalfontes rief Bewunderung, Neid und sogar Verwirrung hervor. Mary Miles gehörte zu den Verwirrten. Sie hing an ihren alten Freundinnen, ihren alten Gewohnheiten; auch ihr altes Haus hatte ihr besser gefallen. Sie hatte nichts gegen Geld, im Gegenteil, aber sie sah keinen Grund, mit ihrem Reichtum zu protzen - außer, wenn es um neue Autos ging. Wie die meisten Menschen ihrer Generation, die vor der Erfindung des Verbrennungsmotors geboren waren, schwärmte sie für Autos.
Als die schrägen Sonnenstrahlen lange goldene Schatten warfen, machte Chester Feierabend. Er fuhr über den Platz und hielt an, um sich zu vergewissern, daß die Eisenwarenhandlung abgeschlossen war. Trudy sperrte gerade das Juweliergeschäft ihres Gatten zu. Chester wandte den Blick ab. Seit dem peinlichen Abend des Luftangriffs hatte er nur das eine Mal mit ihr gesprochen, als er die Affäre beendete.
Lange Zeit hatte er sich gefühlt wie ein Toter. Alle hatten sich nur um Juts gekümmert. Niemand hatte seinen Kummer beachtet. Er bezweifelte nicht, daß auch Trudy sich eine Zeit lang schrecklich gefühlt - und ihn wie die Pest gehaßt hatte. Als sie Senior Epstein heiratete, war er zugleich eifersüchtig und erleichtert gewesen. Jacob, ein guter Mensch, war nicht mehr einsam, und Trudy hatte einen zuverlässigen Ehemann.
Chester hatte sich nie vorgestellt, wie schwierig es war, das Ehegelöbnis zu halten. Er schwankte zwischen Scham und dem Glauben, daß es so verwerflich nicht war, dem Leben mehr Glück abringen zu wollen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß dieses Glück entsprechendes Leid verursachen würde.
Doch eins war sicher: Er liebte sein kleines Mädchen. Als er die Tür öffnete, stürmte Buster herbei, Juts rief aus der Küche, und Nicky lief zu ihm, so schnell ihre Beine sie trugen. »Daddy!« Es klang nicht unbedingt wie »Daddy«, aber er wußte, was sie meinte.
»Wie geht's meinem Cowboy? Was macht meine Beste?« Er gab ihr einen Kuß und schwenkte sie herum. Sie quietschte. Buster sah interessiert zu. Chester gab ihr noch einen Kuß und ließ sie herunter, aber sie klammerte sich an sein Bein. So ging er mit dem zweijährigen Klotz am Bein in die Küche. »Hast du schon mal so einen großen Floh gesehen?«
Juts lachte. »Dein großer Floh war heute ein ungezogenes Mädchen.«
»So?« Er schüttelte sein Bein, was abermals entzücktes Quietschen auslöste.
»Sie ist zur Ecke spaziert und hat sich mitten auf die Straße gesetzt, und Chessy, ich schwöre - Louise ist meine Zeugin, sie war dabei -, ich habe sie höchstens ein Sekündchen aus den Augen gelassen.«
»Hast du das wirklich getan?«
Nickel schüttelte den Kopf.
»Sie hat mich so erschreckt, daß ich zwei Aspirin nehmen mußte. Ich hab trotzdem noch Kopfschmerzen. Man muß sie an die Leine nehmen.«
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