Ganz Runnymede war vom Duft nach frisch geröstetem Kaffee durchzogen. Entschieden besser als das Leben in Spring Grove, kann ich Ihnen sagen.« Er lachte. Spring Grove war eine Kleinstadt an der Route 116 nordöstlich von Runnymede, wo eine Papierfabrik den typischen Gestank kochender Pulpe verbreitete. »Das Geschäft florierte bis 1929, und dann war der alte Herr ja nicht mehr da. Er starb, hm« - er hob die Stimme - »Cora, wann ist Cassius Rife vor seinen Schöpfer getreten?«
»Muß um die Zeit von Julias Geburt gewesen sein. Vielleicht etwas nach 1905.«
»Hm« - Hansford zuckte die Achseln - »sagen wir mal irgendwann zwischen 1905 und 1908. Ich war jedenfalls noch hier, als er starb, also muß es spätestens 1908 gewesen sein. Brutus hat den Betrieb übernommen, die Konservenfabriken und natürlich die Rüstungsfabrik. Die Kaffeefabrik hat er verkauft, als die Marktpreise mal wieder im Keller waren.«
»Er hat sie 1915 an Van Düsen verkauft.«
»Carlottas Mann. Sah gut aus in einem Hemd von Arrow.« Damit wollte Hansford ausdrücken, daß in dem Hemd nicht viel drinsteckte.
»Dann hat Brutus sie fünf Jahre später zurückgekauft, für ein Zehntel des Preises, zu dem er sie losgeschlagen hatte; denn Van Düsen war nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen.« Harper lächelte. »Alles ganz legal.«
Hansford machte die Augen zu und wieder auf. »Brutus hat das kommen sehen, Sheriff, glauben Sie mir. Das gibt's nicht, daß ein Rife einen Profit nicht wittert. Die haben ja sogar am Tod verdient - überlegen Sie mal. Die sehen Geld, wo wir es gar nicht suchen.«
»Ich glaube nicht, daß Pole und Julius so schlau sind.«
Harper sprach von Napoleon Bonaparte Rife und seinem Bruder Julius Caesar Rife, die das Konglomerat gemeinsam leiteten. Ein dritter Bruder, Ulysses S. Grant Rife, hatte sich das Leben genommen, und der älteste Bruder, Robert E. Lee Rife, geboren 1899, war als Leiter der Stagecoach Bank nach San Francisco gezogen. Auch Julius und Pole hielten sich so wenig wie möglich in Runnymede auf, da sie die Verlockungen von New York City vorzogen.
»Jetzt habe ich ein bißchen in der Vergangenheit herumgestochert und ein paar Brocken zutage gefördert.« Mit seiner langsamen Sprechweise lullte Hansford Harper ein, der den Mann unterschätzte.
Harper erwiderte: »Es ist fraglich, ob die Versicherung zahlt, weil wir nicht herausfinden können, wer das vermaledeite Feuer gelegt hat. Julius und Pole machen mir die Hölle heiß. Man sollte meinen, die hätten genug Geld.«
Hansford zuckte die Achseln. »Ich sehe alles mit den Augen eines Bergmanns. Sie müssen hier tief schürfen, Harper, und wenn ich schürfen sage, meine ich schürfen.«
»Ich werde Ihren Rat beherzigen. Danke, Hansford.« Harper stand auf.
Auf die Armlehne des Sessels gestützt, stemmte sich Hansford hoch. »Versuchen die Rifes, aus Noe Geld rauszuquetschen?«
»Nein.«
»Das ist ungewöhnlich. Wie gesagt, Sie müssen tief schürfen und darauf achten, ob ein Armer plötzlich Geld hat.«
»Ich werde es beherzigen, wie gesagt.« Harper gab ihm die Hand und ging, ohne recht zu verstehen, worauf Hansford hinauswollte.
Tage kommen und gehen. Manchmal bleibt einer im Kopf haften wie Kaugummi an der Schuhsohle. Der 29. April war für Julia Ellen so ein Tag. Hitler und Mussolini trafen sich in Salzburg. Gab Julia auch vor, sich für das Tagesgeschehen zu interessieren, so interessierte sie sich doch weit mehr für ihre eigenen Angelegenheiten.
Louise war stolz auf Maizie, die in der Schule inzwischen sehr beliebt war. Die Unbeholfenheit der Vierzehnjährigen war mitunter schwer zu ertragen, doch da ihre gleichaltrigen Freundinnen selbst damit zu kämpfen hatten, fiel es ihnen gegenseitig nicht auf. Maizie war nicht nur bei den Mädchen beliebt, sondern auch bei den Jungen. Außerdem kümmerte sie sich um ihre betrübte Schwester.
Mary, ein hübsches Mädchen, fragte Maizie, was sie so beliebt mache. Maizie erwiderte: »Ich höre allen zu und unterbreche sie nicht.«
Zweifellos hatte sie Zuhören gelernt, weil ihre Mutter, ihre Tante und Mary sich gegenseitig die Redezeit streitig machten, aber das sagte sie nicht.
Wenn Juts gerade keine Kundinnen bediente, strich sie die großen Blumenkästen draußen vor dem Salon, hängte Körbe auf und arrangierte Blumen. Buster buddelte einen Kasten mit blaßgelben Tulpen aus und handelte sich dafür einen Klaps ein. Die beiden Schwestern arbeiteten fleißig an diesem Tag, angespornt durch die Tatsache, daß sie noch eine einzige Zahlung an Flavius Cadwalder zu leisten hatten, bevor sie schuldenfrei waren.
Als Juts sich nach Hause schleppte, war sie fix und fertig. Sie legte sich aufs Sofa und wollte die Trumpet lesen, als Chester vorzeitig nach Hause kam.
»Hallo, Schatz«, rief sie.
»Hallo«, antwortete er aus der Küche. »Konnte früher weg. Möchtest du was trinken?«
»Nein, ich bin so müde, da würde ich glatt einschlafen.«
Sie hörte ihn Eiswürfel zerkleinern, dann erschien er mit einem Whiskey.
»Ich bin vollkommen erledigt.« Er setzte sich zu ihr aufs Sofa.
»Zieh bloß nicht die Schuhe aus. Das ist schlimmer als Senfgas.«
Er legte die Füße übereinander, seine Schuhe berührten fast ihr Gesicht. »Wir bauen Kampfflugzeuge, aber Stinkefüße können wir nicht kurieren.« Er schluckte. »He, wollen wir heute Abend ins Kino gehen?«
So geschlaucht sie auch war, die Energie für einen Kinobesuch brachte sie immer auf. Sie toupierte sich die Haare, während Chester seinen Whiskey austrank.
Sie kamen gerade rechtzeitig.
Nach der Vorstellung wirbelte ein dünner Nebel um den Runnymede Square.
»Wer ist heute Abend auf dem Turm?«
»Caesura und Pearlie.«
»Wie ist der denn da reingeraten?«
»Mir hat ein Mann gefehlt, da ist er eingesprungen. Schön ist es draußen heute Abend, nicht?« Sie schlenderten an der Bank vorüber, deren korinthische Säulen aus dem Nebel ragten.
»Bißchen feucht.«
Er hakte seine Frau unter. »Meine Untersuchungsergebnisse sind endlich gekommen.« Sie ging schweigend weiter, und er sagte: »Ich bin der Übeltäter. Es liegt an mir, daß wir keine Kinder haben können. Nicht genug Sperma.
Doc Horning meint, es könnte daher kommen, daß ich als Kind Mumps hatte.«
Julia sagte nichts. Sie blieben stehen, um die Auslagen im Schaufenster des Bon-Ton zu bewundern, eine Golfausrüstung vor einem täuschend echten Grün, wo die Flagge mit der Nummer 16 hing.
Als sie endlich sprach, war ihre erste Reaktion: »Hast du es deiner Mutter gesagt?«
»Nein. Das würde ich nie tun.«
»Ich kann nicht behaupten, daß ich überrascht bin, Chessy.« Sie drückte seinen Arm. »Irgendwas konnte nicht stimmen. Schließlich sind wir lange genug verheiratet, da hätte es ja mal klappen müssen, findest du nicht? Ich meine, es ist nicht so, daß wir's nicht geahnt hätten, aber jetzt haben wir Gewißheit.«
»Ja.«
»Wir können ein Kind adoptieren.«
»Das ist - nehmen wir es, wie es kommt, Julia. Meine Familie wird ein Adoptivkind nicht anerkennen.«
»Na und?«, entgegnete sie kampflustig.
»Meinst du nicht, daß ein Kind es dadurch sehr schwer hätte?«
»Das Leben ist schwer.«
»Du weichst mir aus.«
»Das Leben ist schwer. Das wird das Kind früh genug erkennen. So sehe ich das. Wenn wir das Kind lieben, wird es einen guten Start ins Leben haben. Wir müssen unser Bestes tun. Es ist mir schnurzegal, was deine Mutter denkt. Sie hat vom ersten Tag an kein gutes Haar an mir gelassen. Wir müssen ein Kind haben, Chester. Wenn es nicht bald geschieht, sind wir zu alt, um ein Kind aufzuziehen - dann sind wir zu festgefahren in unseren Gewohnheiten.«
Читать дальше