»Mom, sie muß >Mrs. Curtis Chalfonte< schreiben, nicht?«
Louise beugte sich über Maizies Schulter. »O Maizie, du weißt doch, wie es sich gehört.«
»Wie denn?« Maizie, ohnehin schon kribbelig, wurde gereizt.
»Man spricht eine Dame mit ihrem Ehenamen an. >Mrs. Ramelle Chalfonte < würde man nur schreiben, wenn ihr Mann tot wäre.«
»Mutter, Ramelle ist das egal.«
»Ob ihr Mann tot ist oder nicht?«, zog Mary sie auf.
»Du weißt genau, was ich meine.« Maizie knallte den Federhalter auf den Sekretär. Tinte spritzte auf die lederne Schreibunterlage.
»Du Schwachkopf!« Louise schnappte sich den Federhalter. »Wenn was auf das Kleid kommt, krieg ich das nie wieder raus.«
»Entschuldigung.« Maizie ließ den Kopf hängen. Sie zog einen neuen Umschlag aus dem Fach und schrieb die korrekte Anschrift. »Da.«
»So, und morgen früh schreibst du ihr als erstes einen Dankesbrief, verstanden?«
»Ja.«
»Wieso hat Ramelle Celestes Bruder geheiratet?«, fragte Mary unbefangen.
»Weil sie Celeste nicht heiraten konnte«, antwortete Maizie ungeniert.
»Maizie, wie kommst du nur auf solche Ideen?« Louise war entrüstet.
»Das ist doch kein Geheimnis.« Maizie zuckte die Achseln.
»Fräulein Allwissend. Du hast keine Ahnung von der Beziehung zwischen Celeste und Ramelle. Niemand weiß, was hinter geschlossenen Türen vorgeht.«
»G-Mom schon.« Maizie schob trotzig das Kinn vor.
Louise seufzte. »G-Mom sollte die Klappe halten.«
»Mom, das schert doch keinen«, sagte Mary.
»Halt du dich da raus.« Louise schürzte die Lippen, die heute weihnachtsrot geschminkt waren. »Maizie, zappel nicht so herum. Du ruinierst sonst das Kleid. Wenn du einen Tropfen Saft auf das Kleid spritzt, dreh ich dir den Hals um, bis dir die Augen rausquellen. Hast du mich verstanden?«
»Ja.«
Juts steckte den Kopf zur Hintertür herein und stieß den Zweisigpfiff aus.
Maizie eilte in die Küche. »Tante Juts, wie findest du's?«
»So was Hübsches habe ich noch nie gesehen.« Juts warf ihren Schal über einen Stuhl. »Psst.« Juts drückte Maizie einen hellen Lippenstift in die Hand. »Laß das deine Mutter nicht sehen.«
»Danke.« Maizie zog vor Entzücken die zierliche Nase kraus.
»Und versuch nicht, ihn ohne Spiegel aufzutragen. Für den Trick braucht man Jahre.«
Ein Gepolter draußen, gefolgt von einem Klopfen an der Tür, verkündete die Ankunft von Maizies Begleiter. Angus trug eine rote Fliege und einen Kummerbund zu seinem gemieteten Frack. Louise begrüßte ihn.
»Da.« Er reichte Maizie ein Anstecksträußchen aus Orchideen.
»Soll ich es ihr anstecken?«, erbot sich Mary.
Angus nickte, und Louise winkte seinem Vater zu, der den alten Oldsmobil fuhr.
Juts reichte Angus Maizies Mantel. Er half ihr hinein, alle verabschiedeten sich höflich, und Louise lehnte sich an die Tür, als Maizie die Zufahrt hinunterzockelte.
»Seit letztem Weihnachten bin ich um zehn Jahre gealtert. Zwei Töchter. Probleme im Doppelpack. Warum gerade ich, o Herr?«
»Weil Er die Schnauze voll von dir hatte«, antwortete Juts.
»Das ist nicht komisch.« Louise trat ans Fenster und winkte, bis das Auto um die Ecke verschwand.
Mary, die keine Lust hatte, sich eine Litanei ihrer Verfehlungen anzuhören, verzog sich. »Ich geh nach oben, lernen.« »Lüg mich nicht an. Du gehst nach oben, um Billy wieder einen Roman zu schreiben. Der Junge wird noch blind vom Lesen deiner Briefe. Ich kann deine Handschrift kaum entziffern.«
»Es hilft, wenn du eine Brille aufsetzt.« Juts hatte Hunger.
»Ich brauch keine Brille.«
»Tatsächlich? Mir ist aufgefallen, daß du die Zeitung so weit vom Gesicht hältst, wie deine Arme reichen.«
»Das tun doch alle.«
Mary schlich auf Zehenspitzen nach oben.
Louise schleppte Juts in die Küche, wo Juts den Kühlschrank aufmachte und sich vom Käse ihrer Schwester bediente. Sie setzten sich an den Tisch.
Louise runzelte die Stirn. »Weißt du, ich hab so ein schlechtes Gewissen. Ich habe Maizie heute Abend einen Schwachkopf genannt.«
»Das hat sie längst vergessen. Sie ist viel zu aufgeregt.«
»Julia, manchmal sage ich was und meine es gar nicht so. Es rutscht mir einfach so raus.«
»Ich weiß.«
»Was soll das heißen?«, fragte Louise verärgert.
»Das heißt, ich weiß - mir geht es genauso.«
»Aber ich frage mich, woran werden sich Mary und Maizie mal erinnern? Werden sie mich als garstige Mutter in Erinnerung behalten? Manchmal bringen sie mich einfach auf die Palme, und ich habe das Gefühl, wenn ich ihre Stimmen oder das Wort >Mutter< noch einmal höre, fang ich an zu schreien. Und dann flutscht mir irgendeine Gemeinheit aus dem Mund.«
»So geht es doch allen.«
»Pearlie nicht.«
»Männer zählen nicht.«
Darauf mußte Louise lachen. »Das ist mal was Neues. Zumal, wenn's von dir kommt.«
»Du weißt, was ich meine. Sie werden anders erzogen. Sie fressen mehr in sich hinein. Sie denken vermutlich genauso viel gehässiges Zeug wie wir, aber sie sprechen es nicht aus.«
»Also, ich weiß nicht. Paul kommt oft nicht mal auf die naheliegendsten Dinge. Ganz einfache Sachen, wie zum Beispiel den Mädchen zu sagen, daß sie hübsch aussehen. Das ist kein gutes Beispiel, aber du verstehst, was ich meine.«
»Chester ist genauso.«
»Ihnen fehlt ein Teil im Gehirn. Ich weiß nicht genau, welches, aber sie haben irgendwo da oben ein Vakuum. Ich fürchte manchmal, daß Paul alles in sich verschließt, und dann macht es bumm.« Louise hob beide Hände. »So war es mit Hansford.«
»Ja, er ging hoch wie eine Rakete und kam runter wie ein Stock.« Juts hielt einen Augenblick inne. »Glaubst du wirklich, Pearlie könnte Wut oder Eifersucht oder sonst was in sich verschließen und eines Tages explodieren?«
»Ich weiß nicht.«
»Mir kommt er ziemlich ausgeglichen vor. Mach dir keine Sorgen. Du hast schon genug im Kopf.«
»Ich bin vierzig. Vor dir geb ich's ja zu«, flüsterte sie. »Du weißt es sowieso, aber ich wünschte, du würdest in der Öffentlichkeit nichts über mein Alter sagen. Warte nur, bis du so weit bist. Ich werde dich nicht damit aufziehen.«
»Versprochen?«
»Versprochen. Aber hier stehe ich mit vierzig, und ich habe das Gefühl, ich müßte etwas wissen, aber ich weiß nicht, was.« Louise drehte hilflos die Handflächen nach oben.
»Vielleicht gibt es nichts zu wissen, Wheezie. Vielleicht legen wir uns alles auf dem Weg zurecht.«
»Nein. Es muß mehr dahinter stecken.«
»Das glaube ich nicht. Das Leben ist ein Scheißspiel - der Schuß für 25 Cents. Wenn dir kalt ist, ist dir kalt, und wenn dir heiß ist, ist dir heiß.«
Sie saßen eine Weile still da, dann sagte Louise: »Ich habe Angst, daß das Leben an mir vorüberzieht.«
Juts stand auf und umarmte ihre Schwester. »Nein. Das Leben kann nicht an uns vorüberziehen. Wir sind das Leben.«
Jedes Jahr zogen die Weihnachtssänger in vier Gruppen auf den Hauptstraßen Hanover Street, Baltimore Street, Frederick Road und Emmitsburg Pike zum Platz. Wer über Schlitten, Heuwagen, Karren, Einspänner, Zweispänner oder andere Pferdefuhrwerke verfügte, war den Fußgängern voraus. Decken für Menschen und Tiere, Weidenkörbe bis obenhin voll mit Lebensmitteln, Krügen mit Flüssignahrung unterschiedlicher Ausprägung, Äpfeln und Mohrrüben für die Pferde, wurden auf den Wagen geladen.
Engelchen, meist von einem berittenen Erwachsenen begleitet, saßen rittlings auf ihren Ponys. Viele Häuser in Runnymede hatten auf ihrer Rückseite einen Stall, der aus demselben Material gebaut war wie das Haupthaus.
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