»Die Brautjungfer ist immer die beste Freundin, Maizie. Das haben wir oft genug durchgekaut.« Louise funkelte sie an. »So wie du dich aufführst, kannst du von Glück sagen, daß du überhaupt bei der Hochzeit dabei bist. Und außerdem bist du die Kleinste hier. Du mußt am Schluß gehen.«
»Wer war deine Brautjungfer?«
»Ich«, sagte Juts.
»Siehste«, sagte Maizie eine Spur zu laut.
»Maizie, meine Hochzeit war etwas anderes als Marys. Zum Beispiel wurde sie nicht erst in letzter Minute zusammengestöpselt. Du bist still und tust, was sich gehört, oder ich zerr dich aus der Brautjungfernreihe, ehe du weißt, wie dir geschieht.«
Maizie biß sich auf die Lippe, machte auf dem Absatz kehrt und stakste hinaus.
»Lieber Gott, laß mich lange genug leben, um meinen Kindern eine Last zu sein. Ich will ihre Möbel zertrümmern, ihre Teller zerdeppern, ihren Schlaf stören und ihnen morgens, mittags und abends widersprechen. Ich will ihnen auf der Tasche liegen.«
Juts lachte, und dann mußte Louise über sich selbst lachen. Juts sah wieder auf die Uhr. »So, Brautmutter, wir gehen jetzt in die Kirche und setzen uns. Mir tun die Füße weh.«
Louise blieb einen Moment regungslos stehen, blinzelte und nickte dann. Die Schwestern gingen ins Vestibül, schritten sodann Schulter an Schulter durch den Mittelgang, und die Versammelten erhoben sich zu Ehren der Mutter.
Im Aufenthaltsraum des Bräutigams gingen Jacob Epstein in seinem geliehenen Stresemann und Extra Billys zwei Brüder in ihren geliehenen Anzügen nervös blinzelnd auf und ab und atmeten tief durch. Billys breite Schultern füllten seinen grauen Frack aus.
Der Bräutigam räusperte sich. »Mr. Smith, ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie hier bei mir sind.«
Chester lächelte. »Billy, das ist das vierte Mal, daß du mir gedankt hast. Ich bin gern hier.«
»Bin wohl ein bißchen hibbelig.«
»Billy« - Chester legte ihm seine Hand auf die Schulter - »in ungefähr zwanzig Minuten ist die Trauung vorüber, und dann bist du ein verheirateter Mann. Alles wird anders. Wenn wir heiraten, denken wir viel an das Körperliche, aber zu einer Partnerschaft gehört mehr.«
»Sir«, stimmte Billy zu.
»Ich glaube, auch wenn ich drei Leben hätte, ich würde die Frauen nie verstehen. Sie sind eigenartig.« Chester lächelte den großen jungen Mann an, der vor ihm stand. »Aber ihr müßt am gleichen Strang ziehen, miteinander reden und über die kleinen Nervereien hinweg sehen, die euch auf die Palme bringen. Und noch etwas - sag ihr, daß du sie liebst. Manchmal meinen wir, sie wissen es, aber aus irgendeinem Grund müssen die Frauen es öfter hören als wir.« Er streckte die Hand aus. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt.«
»Danke, Mr. Smith.« Billy schüttelte ihm die Hand. Die Organistin spielte die Erkennungsmelodie für den Bräutigam.
»Ich begleite euch hinein.«
Er führte die jungen Männer zum Gang rechts vom Altar. »Billy, zähl bis fünf, damit ich zu meinem Platz kommen kann, okay?« Als Billy nickte, zwinkerte er ihm zu. »Du hast dir ein wunderbares Mädchen ausgesucht.« Dann schlich er leise durch den Seitengang.
Als die Musik verstummte, gingen Billy und seine Trauzeugen hintereinander vor den Altar. Sie stellten sich kerzengerade auf.
Der Hochzeitsmarsch erschallte. Mary erschien im Vestibül, ihr Vater neben ihr kämpfte mit den Tränen. Er küßte sie rasch durch den Schleier, bevor sie durch den Mittelgang schritten. Maizie bildete die Nachhut und träumte von ihrer eigenen Hochzeit, die eines Tages stattfinden würde. Billy drehte sich um, als er den Hochzeitsmarsch hörte, und der überwältigende Anblick von Mary in ihrem blendend weißen Brautkleid zauberte ein Lächeln reinen Glücks in sein Gesicht. Wer an diesem Tag zugegen war, würde den Ausdruck in Extra Billy Bitters Gesicht nie vergessen. Es war wahrlich eine Liebesheirat.
Louise weinte in ihr Spitzentaschentuch. Juts legte den Arm um sie, auch ihr stiegen die Tränen in die Augen. Warum, wußte sie nicht. Vielleicht waren es Tränen der Hoffnung, der Hoffnung, daß diese zwei irgendwie zusammen überleben würden, daß sie die Knüppel überleben würden, die ihnen das Leben zwischen die Beine warf, und daß sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten überleben würden.
Sogar Chester weinte.
Juts blickte über den Gang und bemerkte, daß Millard Yost sich die Augen abtupfte. Dann fiel ihr der Aushang ein, den er in jedem Schaufenster von Runnymede angebracht hatte, als sein Irish Setter weggelaufen war.
VERMISST
Seamus, dicker Irish Setter, kastriert
wie ein Mitglied der Familie
Ihre Schultern bebten. Louise umarmte sie fester, weil sie dachte, das heilige Sakrament rührte Juts in tiefster Seele. Dann sah sie das Gesicht ihrer jüngeren Schwester.
»Hör auf«, zischte Louise leise.
»Ich kann nicht.« Juts erstickte fast.
»Ich werde mein erstes Magengeschwür nach dir benennen.« Louise stieß Juts so fest mit dem Ellenbogen an, daß hinter den Schwestern ein hörbares Umpf zu vernehmen war. Die Hochzeitsgäste nahmen an, beide seien von Emotionen überwältigt. Insoweit hatten sie Recht. Glücklicherweise verbarg die Konvention, um was für Emotionen es sich handelte. Die Menschen sehen, was sie sehen wollen.
Juts fühlte Chessys starke Hand, die ihre nahm und sanft drückte. Sie riß sich zusammen, doch sie wußte, nie würde sie an diese Hochzeit denken können, ohne an Seamus zu denken, den dicken Irish Setter.
Braut und Bräutigam drehten auf der Fahrt zu ihren Flitterwochen nach Baltimore eine Ehrenrunde um den Platz. Etwa acht Kilometer außerhalb der Stadt schaltete Extra Billy das Radio ein. Auf der Stelle kehrte er um und fuhr an diesem eisigen Morgen des 7. Dezember nach Runnymede zurück.
Es ist schon merkwürdig, was nach einer seismischen Erschütterung im Gedächtnis haften bleibt wie Baumwollreste an einer abgezupften Samenkapsel.
Der Salon war sonntags und montags geschlossen, also spazierten Julia und Louise mit Buster und Doodlebug um den Platz. Selbst die Hunde waren trübsinnig. Das Postamt auf der Nordseite stand hinter dem prächtigen Rathaus am Platz. Das aus Granit errichtete Postamt mit den dorischen Säulen - das Rathaus hingegen hatte ionische Säulen -, ragte hoch auf. Zwei enorme Kohlenbecken, ein halbes Stockwerk hoch, flankierten die Treppenstufen. Obwohl blasses Winterlicht durch die glühenden Wolken sickerte, brannte das Feuer in den Becken. Eine Schlange von jungen, mittleren und sogar alten Männern zog sich den Emmitsburg Pike entlang; eine zweite Schlange wand sich um das Rathaus fast bis zur Hanover Street.
Arm in Arm standen die Schwestern da und gafften. Billy Bitters, einen abgetragenen Schal um den Hals, wartete geduldig. Sobald er die Nachrichten im Radio gehört hatte, war er umgedreht und nach Hause gefahren. Die Flitterwochen mußten warten. Er war umringt von Ray Parker, Jacob Epstein, Doak Garten und anderen Freunden. Er lächelte und winkte den Hunsenmeirs zu. Juts winkte zurück. Louise nickte. Schlimm genug, daß er ihre Tochter geheiratet hatte. Jetzt würde er sie auch noch verlassen.
Sie gingen zum Postamt von Süd-Runnymede, einer bescheideneren Angelegenheit aus weißem Balkenwerk mit einer lang gestreckten Veranda und grünen Fensterläden. Die amerikanische Flagge wehte auf Halbmast, ebenso die Flagge von Maryland, eine ausnehmend schöne rotschwarz-gelbe Staatsflagge, viergeteilt und mit dem Wappen von Lord Baltimore verziert. Das Postgebäude stand mit der Front zur Baltimore Street. Eine Schlange von Männern wand sich am Platz entlang in westlicher Richtung; Nachzügler hatten sich in der Gasse zwischen der Bibliothek und dem Postamt angestellt. Eine weitere Schlange erstreckte sich nach Osten die ganze Baltimore Street hinunter. Paul Trumbull und Chester Smith standen nebeneinander in dieser Schlange.
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