Juts hatte sogar eine kleine Kapelle engagiert.
Trudy Archer flüsterte Chessy ins Ohr: »Warum tanzen Sie nicht?«
»Ich bin noch nicht so weit.«
»Sie hatten drei Tanzstunden, vier mit der Gratisstunde.«
»Ich bin zu.« Er zuckte die Achseln. »Das kommt schon noch. Sie müssen Geduld haben.«
»Mache ich meine Arbeit nicht gut?«
Er klopfte ihr auf die Schulter. »Sie sind großartig. Wenn ich so weit bin - also, das werde ich schon merken. Und jetzt gehen Sie und schnappen sich einen von den Männern. Edgar Frost ist ein guter Tänzer.«
Sie lächelte und ging zu dem Rechtsanwalt, den sie vor ein paar Tagen kennen gelernt hatte.
Die uralten ledigen Rife-Drillinge, die Schwestern von Brutus - Ruby, Rose und Rachel - erschienen in Begleitung wesentlich jüngerer Männer. Man konnte sie durch ihre Kleidung auseinander halten. Ruby trug Mainbocher, Rachel trug Hattie Carnegie, und Rose hatte erst vor kurzem Sophie of Saks entdeckt. Infolge des Krieges konnte man nicht nach Paris, und während er Europa verwüstete, erwies er sich für amerikanische Modemacher als Segen. Rubys Putzmacherin war Lilly Dache, Rachel schwärmte für den Hutmacher John Fredericks, und Rose stürzte sich auf einen aufsteigenden Stern am Huthimmel, Tatiana, Gräfin du Plessix.
Die La-Squandra-Schwestern, wie man sie hinter ihrem Rücken nannte, wurden geduldet, nicht, weil sie Geld ausgaben, sondern weil sie so offenkundig unbrauchbar waren. Man munkelte, daß sie nicht mal imstande seien, sich ihr Badewasser selbst einzulassen. Natürlich konnte man sie nicht für die Sünden ihres verstorbenen Bruders und Vaters verantwortlich machen.
Da sie nicht lange stehen konnten, machten sie es sich in den Frisierstühlen bequem, die Juts gekauft hatte.
Als sich Fannie Jump Creighton, von Verehrern umringt, an ihnen vorbeidrückte, fragte Rose: »Fannie Jump, meinst du, die Mädels haben Erfolg? So, wie die sich immer kabbeln.«
Fannie blieb stehen und bewunderte den flotten Hut mit den geschweiften gelben Federn. »Sie werden zu viel zu tun haben, um sich zu streiten.«
Celeste trat aus dem Privatraum, ein engelhaftes Lächeln im Gesicht. Sie schob sich zu Fannie hinüber.
»Celeste, Celeste, meine Liebe!« Rachel streckte die behandschuhte Hand aus und stieß in einem Anfall von Geistesklarheit hervor: »Du sollst wissen, ich habe es dir nie verübelt, daß du Brutus umgebracht hast. Auch wenn er mein Bruder war, er war ein brutales Miststück.«
Im Raum herrschte lautes Stimmengewirr, und nur Cora und Fannie bekamen diese Erklärung mit.
»Bist du wohl still, Kleines«, zischte Rose Rachel zu.
Ruby blinzelte mit ihren großen kobaltblauen Augen, als kehre sie soeben in die Welt zurück. »Aber sie hat es getan, Rosie, das weiß doch jeder.«
Cora schritt ein. »Wer weiß schon, wie solche Dinge geschehen? Er hatte viele Feinde, und 1920 liegt so lange zurück.«
»Ich weiß es!«, schmollte Rachel. »Er hat meinen Verehrer verprellt.«
»Dein Verehrer war nur hinter deinem Geld her«, brummte Rose. »Wenn Brutus ihn nicht rausgeworfen hätte, dann hätte ich es getan.«
»Eifersüchtig«, erwiderte Rachel triumphierend. »Aber Celeste, meine Liebe, es hat mir nicht das Geringste ausgemacht, daß du ihn erschossen hast.«
»Also Rachel, hänge mir nichts an, was du nicht nachweisen kannst.« Celeste hatte Brutus tatsächlich vor einundzwanzig Jahren aus mehreren Gründen erschossen, nicht zuletzt wegen der Schreckensherrschaft, die er in der Stadt ausübte. Sie hatte es nie zugegeben und würde es auch nie zugeben. »Was deinen Verehrer betrifft, das war vor meiner Zeit, aber wie ich hörte, sah er sehr gut aus.«
»Oh, er hatte so zarte Hände, Mädchenhände«, seufzte Rachel kokett.
»Ha!«, entfuhr es Ruby, bevor sie wieder in Schweigen versank. Celeste schob sich durch die Menge, dicht gefolgt von Cora und Fannie.
»Unbrauchbar wie Zitzen an 'nem Keiler«, murmelte Cora.
Popeye Huffstetler, der an der Eingangstür von Caesura Frothingham mit Beschlag belegt wurde, nutzte die Chance zur Flucht, indem er sich an Celeste heftete, die gut dreißig Zentimeter größer war als das mickrige Männlein.
Caesura rief ihm nach: »Popeye, Sie sind kein guter Reporter. Sie haben nicht herausgefunden, wer George Gordon Meade umgenietet hat.«
»Robert E. Lee«, antwortete ihr Celeste.
»Sie halten sich wohl für sehr geistreich, Celeste Chalfonte.« Caesura ließ sich noch ein Bier geben, das ihr in einem Sherryglas gereicht wurde, so daß sie häufig nachtanken mußte.
»Caesura, lassen Sie uns diese großartige Eröffnung feiern. Ich finde es schön, daß Sie vorbeigekommen sind.«
»Ich bin gekommen, um für Junior zu spionieren.«
»Trinken Sie noch einen Schluck«, empfahl Cora.
»Kann nicht schaden.«
»Junior marschiert da draußen auf und ab. Sie spioniert für sich selbst«, sagte Fanny mißbilligend.
»Mit dir spreche ich nicht.«
»Um so besser.« Fannie schob sich an Caesura vorbei auf die Straße.
Julia Ellen tanzte mit sämtlichen Jungen beider High Schools. Louise war so glücklich, wie man sie noch nie gesehen hatte. Sie hob ein paar Mal warnend ihren Finger in Marys Richtung, damit sie sich ja nicht mit Extra Billy davonstahl.
Die Feier dehnte sich bis ins samtene Zwielicht. Angeregt durch seinen Sohn und den Schnaps, erklärte Flavius Cadwalder den Hunsenmeir-Schwestern, er wisse, wie schwer die Schuld auf ihnen laste. Wenn sie mit der Zahlung in Verzug gerieten, würde er mit ihnen eine Lösung finden. Alles jubelte und stieß mit noch mehr Schnaps auf dieses Entgegenkommen an.
Jacob Epstein Jr. ein High-School-Kumpel von Extra Billy, kippte auf dem Bordstein um. Die Männer hoben ihn auf den Pritschenwagen, wo die Kapelle spielte. Er verschlief sämtliche Stücke und gab lediglich bei >Red Sails in the Sunset< ein leises Stöhnen von sich.
Junior hatte ihre endlose Parade satt, weshalb Caesura sich zu ihr gesellte und sie zur Nordseite des Platzes zurückgingen. Junior mußte die beschwipste Caesura stützen, die log, sie hätte sich den Knöchel verstaucht.
Das Wunder des Abends war, daß Julia Ellen und Louise keinen Streit hatten, nicht einen einzigen. Alle wußten, das würde nicht von Dauer sein.
Am Sonntag darauf waren die Schwestern bei ihrer Mutter in Bumblebee Hill zum Abendessen.
Ein leises Klopfen an der Tür veranlaßte Julia, von Coras Eßtisch aufzustehen.
»O Schatz, bleib sitzen«, sagte Chester, aber sie war schon draußen. Sie öffnete die Haustür und sah sich einem alten Mann gegenüber, der vielleicht einmal stattlich gewesen, nun aber gebeugt war.
»Ist Mrs. Hansford Hunsenmeir zu Hause?«, keuchte er.
»Ja. Warten Sie einen Moment.«
Sie kam zum Eßtisch zurück und flüsterte: »Mom, da draußen steht ein alter Kauz an der Tür. Geh lieber schnell hin, er sieht aus, als würde er jeden Moment tot umfallen.«
Cora legte ihre Serviette zusammen und ging zur Tür.
Juts, Chessy, Louise, Pearlie, Mary und Maizie hörten gedämpfte Stimmen, dann ein Schluchzen. Chessy und Paul liefen zur Tür.
Verwirrt folgten sie Cora, die dem alten Mann weinend zum Tisch half.
»Mädchen, dies ist euer Vater.«
»Der Mann ist nicht mein Vater.« Louise verschränkte die Arme vor der Brust.
»Also, wenn er nicht dein Vater ist, dann ist anzunehmen, daß er auch nicht meiner ist«, sagte Julia. Chester und Pearlie saßen in Louises großen Sesseln mit dem dicken wollenen Bezug, der wie ein Teppich aussah und bei warmer Witterung kratzte. Mary und Maizie wurden im Bett vermutet.
Die Mädchen schlichen sich zum Treppenabsatz, um zu lauschen. Bislang war es ihnen gelungen, sich still zu verhalten.
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