»Der Ursprung der Schwierigkeiten ist die Klugheit des Affen.«
»Du hättest den Kaffee nicht trinken sollen.«
»Er lernte auf zwei Füßen gehen, und so bekam er die Hände frei.«
»Das heißt, daß ich gehen muß?«
»Er stieg vom Paradies der Affen in den Baumwipfeln hinab auf den Waldboden.«
»Eine letzte Frage, bevor ich gehe: Hast du einen Plan für die Zukunft, sollten sich die Dinge zum Schlimmsten wenden?«
»Sie sprachen zu ihm, kehre zurück auf die Bäume, sonst zerreißen dich die wilden Tiere.«
»Steht dir eine ausreichende Pension zu, solltest du, was Gott verhüte, entlassen werden?«
»Er ergriff mit der Hand einen Ast, einen Stein mit der anderen und schritt vorsichtig vorwärts, indem er seine Augen nach vorn auf einen Weg ohne Ende richtete.«
Nagib Machfus ist derjenige arabische Autor des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich im Lauf seines langen Lebens am nachhaltigsten in die Weltliteratur eingeschrieben hat. Von den dreißiger Jahren bis weit in die neunziger war er als Autor tätig, rund fünfzig, teils ausgesprochen umfangreiche Werke hat er publiziert, überwiegend Romane und Erzählungen. Die arabische Literatur kennt keinen größeren Zeitzeugen und zugleich Chronisten des Wandels in dieser Epoche, die für die arabische Welt die turbulenteste seit dem Mittelalter war, angefüllt mit Revolutionen, Kriegen, Umstürzen, Terrorismus und einer alles verschlingenden Modernisierung, die, um nur das eklatanteste Beispiel zu nennen, dazu geführt hat, daß Kairo, die Geburts- und Heimatstadt von Machfus, die zur Zeit seiner Geburt im Jahr 1911 gerade einmal 750 000 Einwohner zählte, heute, immer noch zu Lebzeiten des Autors, auf fünfzehn Millionen oder mehr angewachsen ist und zu den größten Städten der Welt zählt. Dieser atemberaubende Wandel ist in allen Werken von Machfus mehr oder weniger realistisch verarbeitet. Seine Romane sind Mitschriften, Bestandsaufnahmen; in medizinischer Terminologie ließen sie sich als Diagnose, als Aufzeichnung eines Krankheitsverlaufs beschreiben, wobei das Instrumentarium dieses Romanciers, der, hätte sich sein Studienwunsch erfüllt, Arzt geworden wäre, den neuen, neumodischen Krankheiten seiner Gesellschaft entsprechend in fast jedem Jahrzehnt seines über sechzigjährigen Wirkens neu eingerichtet und geeicht worden ist. Aber was ihm als Arzt nicht angestanden hätte, macht des Romanciers Qualitäten aus: Er reibt seinen Lesern keine Rezepte für die Heilung unter die Nase, er beobachtet nur von sehr nahem, wobei ihm eine andere, nicht minder erstaunliche Eigenschaft zugute kommt: sich nicht anstecken zu lassen, ja geradezu immun zu sein. Während alles um ihn herum im Mahlstrom der politischen Wirren und neuen und neusten intellektuellen Debatten versinkt und er selber alles genau wahrnimmt und niederschreibt, bleibt er sich treu und ändert vielleicht ein wenig seinen Stil und sein Thema, nie aber seine Grundsätze. Die Schiffbrüche der ägyptischen Gesellschaft und ihr Zuschauer: Das ist Nagib Machfus mit seinen Romanen.
Wer sein Gesamtwerk oder auch »nur« die zwanzig Bände gelesen hat, die von ihm mittlerweile auf deutsch vorliegen, hat ein Panorama der ägyptischen Gesellschaft gezeigt bekommen und darf behaupten, den ägyptischen Mittelstand besser zu kennen als seine eigenen Nachbarn — beginnend bei denen, die allmählich in die Armut abdriften, bis hin zu jenen, die sich anschicken, darüber hinauszuwachsen (oder zumindest so tun). Obwohl dieses Bürgertum zweifellos den Mittelpunkt von Machfus' Œuvre darstellt — wo nicht im Thema, da in Mentalität oder Perspektive —, weist sein Werk dennoch eine verblüffende Vielfalt an Formen und Themen auf. Realistische Gesellschaftsromane reihen sich an märchenhafte Fortschreibungen von »Tausendundeiner Nacht« oder an legendäre Reiseberichte, historische Romane stehen neben Theaterstücken, Drehbüchern und autobiographischen Skizzen. Ohne Übertreibung kann man behaupten, daß sich bei diesem Autor Literatur für jeden Geschmack, jede Bildungsstufe und jedes Alter findet.
All dies macht Machfus zu einem wahrhaft modernen Autor. Man darf sogar sagen, daß mit Machfus die Moderne in der arabischen Literatur überhaupt erst beginnt. Vor Machfus' Geburt 1911 findet man jedenfalls kaum arabische Bücher, denen man dieses Prädikat ohne Abstriche zuerkennen möchte. Man bedenke: Als erster ernstzunehmender ägyptischer Roman gilt die 1914 publizierte Erzählung »Sainab« von Muhammad Hussain Haikai (1888—1956) — ein eher dilettantisches Machwerk im romantisierenden Stil. Der arabische Roman, wie wir ihn heute kennen, ist erst in der Begegnung mit dem Westen entstanden. Erstaunlicherweise kannte die klassische arabische Literatur — anders als etwa die alte persische oder indische — kaum epische Formen, lediglich meist belehrende Geschichten- und Anekdotensammlungen, die sogenannte »Adab«-Literatur. Heldenepen finden sich nur in der oralen, umgangssprachlichen Literatur, und noch die Sammlung »Tausendundeine Nacht«, die zwar ebenfalls aus einzelnen Geschichten besteht, aber mit ihrer Rahmenhandlung und dank längerer Erzählzyklen unserer Vorstellung von »Roman« recht nahekommt, galt in der klassischen Zeit aufgrund ihrer einfachen, oft fehlerhaften Sprache als minderwertige Literatur.
Die ersten Anstöße für die Araber, sich mit der bis dahin weitgehend ignorierten europäischen Zivilisation und schließlich auch mit deren Literatur zu beschäftigen, brachte Napoleons Ägyptenfeldzug 1798. Zahlreiche arabische Gelehrte und Studenten gingen im Lauf des 19. Jahrhunderts zu Studienzwecken nach Paris, um die Errungenschaften des Westens kennenzulernen. Auf diesem Weg wurde auch die Form des Romans in der arabischen Welt bekannt. Die ersten arabischen Erzählungen und Dramen waren dann freie Adaptionen abendländischer Stoffe oder aber, nach dem Vorbild Walter Scotts, Historienromane mit Themen aus der arabischen Geschichte, so etwa bei dem Libanesen Gurgi Zaidan (1861—1914). Dieses Genre war so beliebt und erfolgreich, daß noch Machfus in den dreißiger Jahren zunächst Historienromane verfaßte — mit Stoffen aus der ägyptischen Geschichte und mit einem beträchtlichen nationalistischen Pathos. In jener Zeit war das einzige ägyptische Prosawerk von internationalem Format, das zugleich ein realistisches Bild der ägyptischen Gesellschaft entwarf, Taha Hussains (1889—1973) bis heute lesenswerte Kindheitsautobiographie »Die Tage« (1929).
Um die späte Entwicklung der arabischen Prosaliteratur und die besondere Leistung von Machfus nachzuvollziehen, reicht es aber nicht, nur auf äußere Faktoren wie die verspätete Begegnung mit der europäischen Literatur zu verweisen. Die eigentliche Gattung der arabischen Literatur war seit jeher nicht Prosa, sondern die Lyrik, deren früheste, vorislamische Zeugnisse anderthalb Jahrtausende alt sind und bis in die Gegenwart eine unglaubliche Wertschätzung genießen. Die Fixierung auf lyrische Formen hatte die Entwicklung anderer Gattungen erschwert, zumal mit dem Islam ein literaturskeptischer und sprachkonservativer Einfluß hinzutrat. Der Schöpfer eines Kunstwerks befindet sich gemäß frommer Lesart immer in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zu Gott. Das gilt zumal für jedes sprachliche Kunstwerk, da sich die arabische Literatur derselben Sprache bedient, mit der Gott den Propheten Mohammed (570—632) im Koran angeredet hat — und der Koran besteht aus Prosa, wenngleich sehr rhythmischer, assonanzenreicher, oft sogar gereimter Prosa.
Man muß dieses hergebrachte, religiös aufgeladene Sprach- und Literaturverständnis nicht teilen (und die meisten zeitgenössischen muslimischen Autoren teilen es sicher nicht), um ihm dennoch ausgesetzt zu sein und seine Wirkungen zu spüren. Es hat nämlich zu einer grammatikalischen und morphologischen Kanonisierung des im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel verbreiteten Arabisch geführt, zu dessen wenigen autoritativen Zeugnissen außer dem Koran nur die vorislamische Dichtung zählt. Die aus diesem sehr beschränkten Sprachmaterial von den arabischen Grammatikern im achten Jahrhundert abgeleiteten Regeln und der überlieferte Lautstand der Sprache gelten bis heute als die einzig richtige Version der arabischen Schrift- und Hochsprache, und dies für rund 200 Millionen Sprecher in einem Gebiet, das sich vom Atlantik im Westen bis zum Persischen Golf im Osten erstreckt. Mit anderen Worten: Die heutigen arabischen Schriftsteller, und unter ihnen natürlich Machfus, verwenden, wenn sie nicht, wie es nur wenige tun, im Dialekt schreiben, exakt dieselbe Sprache mit derselben Grammatik und derselben Morphologie wie die arabischen Dichter vor anderthalb Jahrtausenden auf der arabischen Halbinsel. Die lokalen Dialekte, die die eigentliche Muttersprache der Autoren bilden, haben sich unterdessen auf natürliche Weise weiterentwickelt und differieren so stark vom Hocharabischen wie etwa das Mittelhochdeutsche von der deutschen Gegenwartssprache. Diese sprachliche Grundsituation stellt alle arabischen Autoren vor erhebliche Probleme, angesichts deren die Vorteile verblassen, wie etwa der Vorteil, daß ein hocharabischer Roman in der ganzen arabischen Welt gelesen werden kann, wenn die Leser eine halbwegs akzeptable Schulausbildung haben, oder daß dem Schriftsteller ein viel umfangreicheres und älteres Vokabular zur Verfügung steht (wovon eher die Lyriker profitieren).
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