Plötzlich versuchte Ragab, sich auf seinen Gegner zu stürzen, aber sie zogen den Ring dichter um ihn und hielten ihn an Armen und Taille fest. Vergeblich strengte er sich an, ihren Händen zu entkommen. Anis erhob sich, ging in die Küche, verschwand für einen Moment und erschien sogleich wieder mit einem Küchenmesser in der Hand. Jetzt stand er zwischen Tür und Kühlschrank, bereit, sich auf Leben und Tod zu verteidigen. Die Frauen kreischten, und Saniya drohte, die Polizei zu rufen, falls er sich rührte. Das Messer machte Ragab noch wütender; er überschüttete Anis mit Verwünschungen und Flüchen und versuchte wieder, über ihn herzufallen. »Wir müssen sofort gehen«, entfuhr es Khalid Azzuz. »Ich werde ihn umbringen, bevor er mich vernichtet.« Sie drängten ihn gegen die Tür, obgleich er sich heftig wehrte. Ihre Verbissenheit steigerte sich fast zur Prügelei.
Anis verfolgte verwundert die Szene. Sie ringen miteinander, die Bestie möchte töten, aber sie vermag es nicht. Plötzlich ließ Ragab ab, er stand nun unbeweglich, heftig die Luft ausstoßend und zitternd vor Wut. In seinen Augen blitzte der Wahnsinn.
»Ihr bildet euch ein, ich sei allein schuldig«, schrie er. »Laß das Reden, bis wir das Hausboot verlassen haben!«
»Ihr seid alle geflohen!«
»Sprechen wir draußen in Ruhe darüber!«
»Nein, ihr Schurken, ich gehe, ich gehe selbst zur Polizei, ich fordere das Verderben, den Tod und die Geister heraus.« Er stürzte hinaus, und sie hinterdrein. Ihnen folgten auch Saniya und Laila. Das Hausboot bebte und schwankte unter den schweren, wütenden Tritten.
Anis legte das Küchenmesser auf den Schrank, ging zum nächsten Kissen und setzte sich nicht weit von Sammara nieder. Beide starrten hinaus in die Finsternis, gaben sich der Stille und der Einsamkeit hin. Sie wechselten weder Blicke noch Worte. Eine Erschütterung ist durch die Welt gegangen, und sie wird bald bersten, sagte er sich. Er fühlte, daß sich Schritte näherten, die ihm vertraut waren, er drehte sich nicht um, bis der Alte hinter ihm stand: »Sie sind gegangen?« Er antwortete nicht.
»Der Satan hat bis zum Überdruß mit euch gespielt«, fuhr er fort.
Anis schwieg weiter. »Ich habe den Kaffee gebracht.« Er betastete seinen Kiefer. »Stell ihn hier vorne hin!«
»Trinken Sie ihn gleich, in ihm ist Segen, er wird den Schmerz stillen.«
Beharrlich hielt der Alte die Tasse vor ihn hin, bis Anis den Kaffee nahm und ausschlürfte. »Möge er heilsam sein!« sagte der Alte zu ihm, dann verließ er seinen Platz, ging zur Tür, blieb jedoch neben dem Wandschirm stehen und sagte:
»Ich hätte die Taue gekappt, hätte er Sie noch einmal geschlagen.«
»Aber dann wäre ich doch mit den anderen ertrunken«, sagte er bestürzt.
»Gott hat beides verhütet!« Damit ging er fort. Anis lachte leise und fragte Sammara: »Hast du gehört, was der Alte gesagt hat?«
»Wäre es nicht besser, einen Arzt zu rufen?« fragte sie zurück. »Nein, es gibt keinen Grund.«
Daß sie das Thema erneut ansprach, verursachte ihm wieder Schmerz, aber leichten Schmerz, denn der Kaffee wirkte schon. »Geht er wirklich zur Polizei?« fragte sie. »Ich weiß nicht, was sich draußen abspielt.« Sie zögerte ein Weilchen.
»Was hat dich.« Doch sie brach den Satz ab. Er begriff, was sie wollte, aber er antwortete nicht. »Der Zorn?« fragte sie.
»Vielleicht!« Dann lächelte er. »Ich wollte versuchen, das zu sagen, was gesagt werden mußte.« Sie überlegte kurz. »Warum?«
»Ich weiß nicht genau, vielleicht um zu prüfen, welche Wirkung das haben würde.«
»Und wie war sie?«
»Wie du gesehen hast.«
»Willst du ihn nicht anzeigen, falls er es selbst nicht tut?«
»Das willst du doch nicht.«
»Es ging über meine Kräfte, darum wurde ich besiegt.«
»Bewies das Experiment nicht, daß man standhalten kann?«
»Aber es scheint, daß auch du die Sache nicht ganz bis zum Ende betreiben wirst.«
»Nur habe ich dafür keine Gründe wie du.«
»Nun peinigst du mich wieder.«
Er schwieg lange. »Du liebst ihn, nicht wahr?« Sie flüchtete sich ins Schweigen.
»Hast du ihn anders gefunden als den trefflichen Bewerber, den du abgelehnt hast?«
»Der Kampfgeist hat dich immer noch nicht verlassen«, beklagte sie sich.
»Du brauchst dich deshalb nicht zu schämen. Ragab ist auch ein ausgezeichneter Mann.«
»Aber ohne Moral.«
»Moral gibt es längst nicht mehr, selbst bei Ahmad Nasr nicht.«
»Ich würde sagen, du übertreibst, aber ich habe kein Recht dazu.«
»Die Amoralität wird alle davor bewahren, eine moralische Dummheit zu begehen, und Ragabs Liebe wird dir zuteil werden.«
»Peinige mich, wie es dir gefällt. Ich weiß, ich habe es verdient.« Er lachte, so daß er den Schmerz in seinem Kiefer spürte: »Und nun gestehe ich dir, daß auch Eifersucht eines der Motive meines ungewöhnlichen Benehmens war.« Erstaunt blickte sie ihn an. Er lächelte.
»Ich darf dich doch nicht täuschen. Du könntest dir vielleicht einbilden, daß eine der Personen deines Stücks sich unter dem Einfluß deines Geredes in ihr Gegenteil verwandelt habe, oder durch die Tiefe der gemachten Erfahrungen. Das Ende könnte somit verfälscht werden.« Sie schaute ihn weiter an.
»Es gäbe auch ein anderes Ende, das nicht weniger lächerlich wäre, etwa, daß du meine Liebe erwidertest.« Sie senkte die Augen. »Wie siehst du denn das Ende?«
»Das ist das Problem, nicht nur das des Stücks.«
»Aber du sprachst von dem, was sein sollte.«
»Das ist richtig, es war nicht nur Zorn und Eifersucht, es kam mir auch in den Sinn, das zu sagen, was gesagt werden mußte, einen ernsthaften Standpunkt zu beziehen, um zu prüfen, welche Wirkung es haben würde. Da kam es zu einem Erdbeben, dessen Folgen wir nicht übersehen, und du selbst gibst dich geschlagen.«
»Du schändest noch meine Leiche.«
»Nein, ich liebe dich.« Tiefe Trauer verdunkelte ihre Augen.
»Ich gestehe dir, daß ich entschlossen hin, ernsthaft zu sein, ernsthafter, als ich es in Wirklichkeit bin.«
»Sag schnell, was du zu sagen hast, denn der Kaffee wirkt bald.«
»In meiner freien Zeit überkommt mich der Wunsch, mich treiben zu lassen, es überfällt mich wie Zahnweh.«
»Das sind die Symptome.«
»Aber ich kämpfe dagegen an mit dem Willen und dem Verstand.«
»Es ist nicht ausgeschlossen«, bemerkte er ironisch, »daß du die notwendige Entwicklung für den Verlauf des Theaterstücks in der Rückentwicklung der Heldin findest.«
»Nein, nein, ich bin fest entschlossen«, ereiferte sie sich. Er schwieg aus Mitleid mit ihr.
»Und dennoch bin ich überzeugt, daß es nicht nur eine Sache des Verstands und des Willens ist«, fügte sie hinzu. »Wessen Sache ist es dann?«
»Kennst du das Riesenrad im Lunapark?«
»Nein.«
»Es dreht sich mit den Fahrgästen von unten nach oben und von oben nach unten…«
»Und?«
»Wenn du hinauffährst, dann hast du auch das Gefühl, daß es aufwärts geht, und wenn du hinabfährst, hast du auch das Gefühl, daß es hinabgeht, und in beiden Fällen ohne daß Wille und Verstand beteiligt sind.«
»Erkläre mir das näher und vergiß nicht den Kaffee!«
»Wir gehören zu den Abwärtsfahrenden.«
»Und was ist zu tun?«
»Wir haben nichts außer Verstand und Willen.«
»Und die Niederlage?«
»Nein«, fuhr sie ihn scharf an. »Betrachtest du dich als ein Beispiel für den Sieg?«
»Unter den Hinabfahrenden gibt es welche, die über sich selbst hinausgewachsen sind, und auch solche, die sich selbst vernichtet haben.«
Sie sprach weiter über die Hoffnung, er aber blickte in die Dunkelheit. Die Nacht schlug mit den Flügeln, und die Geheimnisse funkelten wie Sterne. Ihre Worte wurden zu einem Flüstern, das aus den Niederungen eines Traumes auftauchte. Etwas sagte ihm, daß gleich das dunkle Wasser sich auftun und der Kopf des Wales auftauchen würde. Sie sprach zu ihm: »Du bist nicht mehr bei mir?« Und er sprach zu sich selbst:
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