Ich war zutiefst beeindruckt von ihrer jugendlichen Schönheit, was zum großen Teil auch daran lag, dass ich lange nichts mehr mit einer Frau zu tun hatte und im vorgerückten Alter stand. Der Scheich erzählte ein wenig von meinem Leben und was ich mit dieser Reise erreichen wollte. Er schloss mit dem Satz: »Jedenfalls gehört er nicht zu denen, die schnell aufgeben.«
»Sie verdienen es, bewundert zu werden«, sagte Samija, und ich war zutiefst gerührt.
Es war Nachmittag geworden. Wir stellten uns hinter dem Imam auf, um gemeinsam zu beten — ein Umstand, der mich noch nachdenklicher stimmte. Als ich mich verabschiedete, verließ ich die Familie nur körperlich; Geist und Seele hielten diese Menschen ganz und gar gefangen. Es erfüllte mich eine tiefe Sehnsucht nach einem beständigen Leben, das mir Liebe, Zärtlichkeit und Wärme spendete. Wo war Arusa? Wo das Gaballand? Die Jugend — verloren gegangen in einem Loch unter der Erde. Wann würde ich mich endlich niederlassen und eine Familie gründen und Nachkommen zeugen? Wie lange würde ich mich noch zwischen zwei Rufen aufreiben?
Am nächsten Tag mietete ich eine Sänfte und ließ mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen — Ausbildungszentren, Zitadellen, große Fabriken, Museen, die alten Viertel. Mein Führer erzählte mir, dass die verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Moscheen, Kirchen und Tempeln das Leben ihrer Propheten darstellen. Also sagte ich ihm, dass ich mir solch eine Darstellung, bei der es um das Leben unseres Propheten ging, Heil und Segen über ihn, gern ansehen würde. Erbrachte mich zur größten Moschee der Stadt. Ich nahm zwischen den Zuschauern Platz, und dann begann die Vorstellung. Das ganze Leben des Propheten lief vor mir von Anfang bis Ende ab. Ich sah Ihn, seine Gefährten und die Schar der Ungläubigen, und das kam mir so verwegen vor, dass es für mich schon fast an Gotteslästerung reichte. Aber als Chronist musste ich ja alles kennen lernen. Die Person, die den Propheten spielte, tat das dermaßen überzeugend, dass ich glaubte, Ihn zu sehen. Hingerissen verfolgte ich das Geschehen, ähnlich erregt war ich noch nie gewesen. Was mich dabei am meisten verwunderte, war, dass diese Menschen durchaus aufrichtige und ernsthafte Gläubige waren.
Ich lud den Imam und seine Familie zum Mittagessen ins Gasthaus ein, denn es lag mir viel daran, diese Beziehung zu festigen. Bei der Gelegenheit teilte mir der Imam mit, dass er mit einem sehr bedeutenden Weisen gesprochen habe und dieser Mann, er heiße Marham al-Halabi, bereit sei, mich am nächsten Tag zu empfangen. Hocherfreut dankte ich ihm für seine freundliche Fürsorge. Wir verbrachten eine schöne Zeit miteinander; schon lange hatte ich mich nicht mehr so entspannt gefühlt.
Als ich mich am nächsten Morgen auf den Weg zu dem Weisen machen wollte, stieß ich in der Eingangshalle auf eine Menge Gäste, die aufgeregt durcheinander redeten.
»Es heißt, dass im Hairaland ein Kommandant den König stürzen wollte und er, nachdem ihm dies nicht gelungen sei, ins Halbaland geflüchtet wäre.« »Soll das heißen, dass er jetzt hier ist?« »Angeblich hält er sich in einer Oase auf.« »Viel wichtiger ist, dass der König dessen Verhaftung und Auslieferung gefordert hat.«
»Aber das verstößt gegen die Prinzipien der obersten Doktrin!«
»Deshalb wurde die Auslieferung auch abgelehnt.« »Ob die Angelegenheit damit erledigt ist?« »Man munkelt schon, dass es Krieg geben könnte.« »Was ist, wenn das Amanland die Gelegenheit nutzt und das Halbaland überfällt?« »Genau das ist das Problem.« Unruhe beschlich mich. Die Kriege trieben mich von einem Land zum nächsten. Ich trat vor die Tür, kam aber nicht weit. Massen von Menschen zogen über den Platz, riefen die unterschiedlichsten Losungen. Es waren verschiedene Kundgebungen, die auf mich den Eindruck machten, als seien sie von langer Hand geplant. Ich war gezwungen, stehen zu bleiben, und was ich da sah und hörte, konnte ich schier nicht glauben. Der eine Zug Menschen verlangte die Auslieferung des Kommandanten, der andere Zug warnte hitzig vor den Folgen. Wieder ein anderer Zug forderte, dem Hairaland den Krieg zu erklären, der nächste bestand auf Frieden, koste es, was es wolle. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, und die Frage, wie ein Herrscher diesem Wirrwarr unterschiedlichster Meinungen begegnen sollte, ließ nicht von mir ab. Ich wartete, bis sich der Platz geleert hatte, und dann stürzte ich los. Vor einer Stunde hätte ich bereits beim Weisen sein sollen. Er empfing mich in einem elegant eingerichteten Raum, in dem nicht nur Sofas und Sessel standen, sondern auch Polster auf dem Boden lagen. Er war ein großer, schlanker Mann mit weißem Haar und Bart, so an die sechzig Jahre alt. Er trug eine leichte, blaue Abaja. Ich entschuldigte mich für mein Zuspätkommen, er winkte ab und hieß mich willkommen.
»Möchten Sie in einem Sessel Platz nehmen, oder ziehen Sie ein Polster vor?«, fragte er.
Ich lächelte. »Ein Polster wär mir lieber.«
Er lachte laut los. »So seid ihr Araber, ich kenne euch. Ich habe eure Länder oft bereist und mich gründlich mit eurem Wissen beschäftigt.«
»Ich gehöre nicht zu den Gelehrten meines Landes«, erwiderte ich verschämt. »Ich bin auch kein Philosoph. Aber ich will mein Wissen erweitern, und deshalb habe ich diese Reise angetreten.«
»Allein das zählt«, sagte er aufmunternd. »Was ist das Ziel dieser Reise?«
Ich dachte eine Weile nach, dann sagte ich: »Das Gaballand zu besuchen.«
»Ich weiß von niemandem, der es kennt oder darüber geschrieben hat.«
»Und Sie? Haben Sie nie daran gedacht, sich dieses Land anzusehen?«
Er lächelte. »Wer auf seinen Verstand setzt, kann auf vieles andere verzichten.«
»Es geht mir nicht«, fügte ich hastig hinzu, »um das Gaballand an und für sich, sondern ich will meiner Heimat von dort etwas Nützliches mitbringen.«
»Da kann ich Ihnen nur viel Erfolg wünschen.«
»Um ehrlich zu sein, liegt mir mehr daran, Ihnen zuzuhören als von mir zu erzählen«, warf ich leise ein, als wollte ich mich entschuldigen.
»Haben Sie eine bestimmte Frage?«
»Nun ja, gewöhnlich erschließt sich einem das Leben eines Volkes mittels eines grundsätzlichen Leitgedankens.«
Er richtete sich auf. »O ja, und deshalb stellen uns wissenshungrige Menschen wie Sie für gewöhnlich die Frage, worauf sich unser Leben gründet.«
»Das Leben in diesem Land verdient es, erkundet zu werden.«
»Die Antwort ist sehr einfach, wir haben unsere Lebensweise selbst geformt.« Da ich gespannt zuhörte und kein Wort sagte, fuhr er fort: »Da ist kein Gott, dem dieses Verdienst gehört. Unser erster Lehrmeister war der festen Überzeugung, dass das Ziel allen Lebens die Freiheit ist. Von ihm ging die Forderung aus, ein Leben in Freiheit zu gewährleisten. Das hat sich von Generation zu Generation fortgesetzt.« Er lächelte und wartete ab, bis ich das Gehörte verarbeitet hatte. »Deshalb erachte ich alles, was frei macht, als gut, und alles, was einen zu etwas zwingt, als schlecht. Wir haben eine Ordnung aufgebaut, die uns vor jeglicher Willkür bewahrt. Unser Handeln ist der Bekämpfung von Armut geweiht, unser Streben nach immer mehr Wissen dem Kampf gegen Unwissenheit und Dummheit. Das ist ein langer Weg, der kein Ende kennt.«
Ich lauschte angestrengt auf jedes seiner Worte, war ich doch bemüht, sie mir genauestens einzuprägen.
»Der Weg, den wir zurückgelegt haben, war nicht leicht. Schweiß und Blut waren der Preis, den wir um der Freiheit willen zahlten. Wir waren Gefangene von Aberglauben und Willkür, und als die ersten Verkünder der neuen Botschaft auftraten, fielen etliche Köpfe. Es brachen Unruhen aus, es kam zu Bürgerkriegen, aber schließlich haben Freiheit und Wissen gesiegt.«
Als ich bewundernd nickte, begann er die Verhältnisse im Maschrik- und im Hairaland zu kritisieren und sich darüber lustig zu machen. Er spottete auch über das Amanland, das ich ja noch nicht kannte. Selbst meine Heimat, das Land des Islam, blieb von seiner scharfen Zunge nicht verschont. Offenbar sah er meinem Gesicht an, dass ich unangenehm berührt war, denn er hielt inne und schwieg.
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