Die Wirtin brachte uns eine Tasse heiße Zwiebelsuppe.
Schließlich erschien auch der Leichenwagen, aber dessen Fahrer hatte die Anweisung erhalten, auf den Kommissar zu warten, bevor er die Tote zur Pathologie brachte.
Nach gut drei Stunden kam der Kommissar. Auch er hielt sich zuerst bei der Wirtin in der Küche auf, wo bereits die zwei Totenträger und der Polizist saßen. Schließlich ging er mit der Fotoausrüstung und einem geheimnisvollen Köfferchen zu der Toten, die nun abtransportiert wurde. Kitty, die die Leiche gefunden hatte, sollte ihm oben im Badezimmer genau schildern, wann und wie das gewesen sei. Er fragte tatsächlich, warum das Handtuch naß in der Ecke läge, da sich Tote ja nicht abtrocknen. Kitty antwortete, wahrscheinlich habe sie Scarlett damit angefaßt. Scarletts Gepäck wurde in das Polizeiauto getragen. Ich war halbtot vor Angst, daß auch mein Koffer inspiziert würde. Aber es geschah nicht.
Schließlich wurden wir einzeln befragt. Anscheinend hatte einer der anderen Gäste, der unter uns wohnte, gehört, daß um Viertel nach drei noch Wasser lief, hatte sich darüber geärgert und sich die Zeit gemerkt. Kitty und ich sagten aus, daß wir absolut nicht wahrgenommen hätten, daß Scarlett noch so spät gebadet hatte. Auch Ernst erzählte nichts von Witolds später Zigarette, da er das wahrscheinlich vergessen hatte oder für unwichtig hielt. Die Wirtin hatte tief in der Nacht einen Wagen kommen hören, wußte aber nicht, wann. Die Gespräche mit dem deutsch sprechenden Kommissar zogen sich in die Länge.
Er war erst am späten Nachmittag mit uns fertig. Wir sollten am nächsten Tag in sein Büro kommen und die Protokolle unterzeichnen.
Ernst hatte sich nach dem Tränenausbruch und dem Verhör etwas gefaßt. Seine Sorge galt jetzt seinen Kindern. Er wollte ihnen die Nachricht persönlich, aber keinesfalls telefonisch mitteilen. Andererseits mußte er auf alle Fälle hierbleiben, bis alle Formalitäten geklärt und auch die Überführung der Leiche nach Deutschland geregelt war.
Witold schlug vor: »Wenn wir morgen bei der Polizei fertig sind, dann bitte ich dich, Kitty, mit meinem Wagen und Thyra heimzufahren. Ihr könnt hier doch nichts mehr für Ernst tun.
Ich bleibe hier bei ihm, übersetze bei den amtlichen Sachen und fahre ihn schließlich mit seinem Wagen heim. Aber natürlich müssen Annette und Oleg sofort informiert werden.«
Kitty fragte Ernst nach einer Person seines Vertrauens, die auch einen guten Draht zu den Kindern hätte. Ernst kam nun selbst auf die Idee, seine langjährige Apothekenhelferin und ein befreundetes Ehepaar anzurufen, das versprach, sich der Kinder anzunehmen und ihnen behutsam die schreckliche Wahrheit zu sagen.
Dabei fiel mir ein, daß ich bereits sieben Kinder — wenn auch keine kleinen — mutterlos gemacht hatte.
Keiner mochte an diesem Abend essen, aber die Wirtin brachte uns ungefragt eine Kleinigkeit aufs Zimmer, da sie uns vor der üblichen Heiterkeit der anderen Gäste bewahren wollte.
Wir gingen danach ein paar Schritte vor die Tür. Kitty hängte sich bei Ernst ein, sie ließ ihn sprechen, sich anklagen, weinen und hadern. Witold ging mit mir hinterher. Er war ebenfalls fix und fertig. Ein paarmal setzte er an und wollte etwas sagen, es gelang aber nicht.
»Thyra…«, begann er wieder ganz leise, »ach nichts.«
Ich hatte nicht Kittys Fähigkeit, ihn an der Hand zu nehmen.
Außerdem hatte ich auch keine Lust mehr dazu. Dieser Mann, das wurde mir immer klarer, würde, wenn ich viel Glück hatte, mal ein kurzes Techtelmechtel mit mir haben. Aber ich machte mir keine Illusionen, daß er treu und ehrlich bei mir bleiben würde. Beate hatte früher schon so etwas angedeutet: Eine Beziehung zu einem solchen Mann brachte nur Leid. Auch Scarlett hatte von einem »Ausbund an Charme« gesprochen, neben dem seine Frau Hilke stets im Schatten gestanden hatte.
Nein — keine Hand.
Aber plötzlich legte er los und war nicht mehr zu bremsen: »Thyra, drei Frauen sind tot. Eine davon war meine Frau, die hast du nicht kennengelernt, aber du warst bei ihrem Tod dabei.
Wir sind beide in diesem Fall schuldig geworden. Die nächste war Beate, deine Freundin, die ich durch dich kennengelernt habe und deren Tochter meine Geliebte wurde. Ein Zufall, könnte man sagen. Bei der dritten, die die Frau meines Freundes war, sind wir beide während ihres Sterbens nur wenige Meter entfernt gewesen. Ist das auch ein Zufall?« Er fing nervös ein fallendes Blatt auf.
»Wenn ich abergläubisch wäre«, fuhr er fort, »würde ich denken, daß wir — du und ich —, wenn wir zusammen sind, eine geheimnisvolle und unheilvolle Macht ausüben. Aber ich glaube nicht an Übersinnliches. Trotzdem, mir sind diese drei Todesfälle nicht geheuer. Ich weiß, am ersten bin ich selbst schuld. Aber die zwei anderen haben eine gewisse Parallelität dazu — auch da waren es Frauen, die weder krank noch alt waren und auf eine unnatürliche Weise umkamen. Was sagst du dazu?«
Ich überlegte. »Abergläubisch bin ich auch nicht. Es ist mir unvorstellbar, daß wir beide quasi als Todesengel Verderben bringen sollen. Wie könnte das vor sich gehen?«
Witold flüsterte, kaum hörbar: »Mord.«
»Einmal war es Totschlag im Affekt, zweimal war es ein Unfall«, antwortete ich kühl. »Der Unfall auf dem Turm war freilich spektakulär. Der in der Badewanne aber — statistisch gesehen — eigentlich nicht. Die meisten Unfälle, das weiß ich besser als du durch meine Arbeit in der Versicherung, geschehen nicht im Verkehr und Beruf, sondern im häuslichen Milieu.«
Witold gab sich damit zufrieden oder tat wenigstens so.
Am nächsten Tag fuhren wir nach einer Nacht mit qualvollen Träumen zur Polizei. Die Protokolle waren auf französisch abgefaßt, ordentlich getippt und zur Unterschrift bereit. Witold übersetzte, und wir unterschrieben. Danach fuhren wir zurück ins Hotel, Kitty und ich packten.
»Ich meine, Scarlett hatte irgendwo einen Lockenstab rumliegen«, sagte Kitty.
»So?« fragte ich.
Sie sah sich um, zuckte mit den Schultern. »Na, vielleicht hatte sie ihn schon eingepackt. Die Polizei hat ja ihren Koffer.
Wahrscheinlich suchen sie nach Drogen oder so was, wo sie doch Apothekersfrau ist.«
Wir verabschiedeten uns von den Männern. Witold tat mir nun doch leid, wie er sich käsebleich und schlecht rasiert die achte Tasse schwarzen Kaffee eingoß und die schwere Aufgabe nun vor ihm stand, mindestens für einen weiteren Tag dem trauernden Ernst zu helfen.
Kitty fuhr ruhig und zügig. Sie sprach wenig, was mir sehr recht war. Jede von uns hing ihren Gedanken nach.
»Magst du den Rainer?« fragte sie plötzlich sehr direkt.
»Schon«, sagte ich vorsichtig.
Sie lachte ein wenig.
»Wir fallen alle auf ihn rein. Warum soll es dir anders gehen als mir. Er ist ein lieber Freund, wenn man damit zufrieden ist.
Und wenn ich dir einen guten Rat geben soll, versuche, damit zufrieden zu sein.«
Ich hätte Kitty gern alles erzählt, so wie ich früher gern alles Beate anvertraut hätte. Aber über meine Liebe konnte ich nicht sprechen, denn sie war schließlich das Motiv für meine Verbrechen. Ganz klar war mir das aber selber nicht.
»Ach Kitty…«, begann ich, und tat mich so schwer, wie Witold am Abend zuvor.
»Kitty, ich laufe den Männern nicht mehr nach. An dieser Wanderung reizte mich die gemischte Gesellschaft, so etwas hatte ich vorher noch nie ausprobiert.«
»Ja, das verstehe ich. Nimm’s mir nicht krumm, daß ich so daherrede. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
»Ist schon gut, Kitty. Übrigens fahre ich gern mit dir Auto, du tust das so souverän.«
»Gut, daß ich nicht den dicken Apothekerschlitten fahren muß, dann wäre ich bestimmt nicht souverän.«
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