Ich mochte doch etwas länger geschlafen haben. Plötzlich meinte ich, von einem Geräusch geweckt worden zu sein. Kitty atmete ruhig; war Scarlett zurückgekommen und im Bett? Ich knipste das Lämpchen an. Es war halb vier, das Zusatzbett war leer. Mein ebenfalls leerer Magen knurrte, ich empfand brennenden Durst. Ich machte das Licht wieder aus und tappte die vier Schritte zur Badezimmertür, um Wasser zu trinken.
Die Bäder waren in diesem alten Haus nachträglich eingebaut worden. Man hatte von dem an sich großen Raum eine Ecke abgeknapst und in ein Mini-Bad verwandelt. Auf abenteuerliche Weise war es dem Architekten gelungen, ein schwenkbares Bidet, eine kleine Wanne, Klo und Waschtisch unterzubringen und somit den Vorschriften Genüge zu leisten.
Im Bad brannte Licht, aber es war nicht abgeschlossen.
Scarlett lag in der Wanne. Ich starrte sie an wie ein Gespenst.
Sie war ein wenig verlegen.
»Komm ruhig rein«, sagte sie, »ich schließe nie ab. Ich war so durchgefroren, da hilft mir nur ein heißes Bad.«
Ich nahm das Zahnputzglas und füllte es mit Wasser.
»Du warst nicht im Bett?« fragte ich.
Sie reagierte gereizt und aggressiv. »Wenn du es schon weißt, warum fragst du dann.«
In mir kochte es. »Du denkst wohl, eine alte Schachtel, ein hölzernes Gretchen, müßte gleichzeitig auch noch blöde sein?
Ich weiß, mit wem du draußen warst.«
Scarlett war kampfbereit. »Du hast uns belauscht«, stellte sie fest, »und zwar, weil du ihn selber willst. Pfui Spinne, ich finde das zum Kotzen!«
»Scarlett, wie du dich affigerweise nennst, was du gemacht hast, ist natürlich edel und anständig«, konterte ich.
»Ich habe wirklich nichts Unrechtes getan«, sagte sie, »aber wenn prüde und zu kurz gekommene Jungfern hinter allem und jedem Sünde wittern und andere Menschen belauschen, dann ist das für mich der Inbegriff von Schlechtigkeit.«
Ich schnaubte vor Haß und rang nach Worten, um es ihr heimzuzahlen.
Scarlett hob ihren hübschen kleinen Fuß mit den rotlackierten Zehnägeln hoch und betrachtete ihn zufrieden.
»Was war mit Beate?« fragte sie.
Mir stockte der Atem. »Wieso?«
»Sie hat was mit Rainer gehabt«, fabulierte das Biest, »und du hast sie aus Neid vom Turm gestoßen.«
Ich griff nach dem elektrischen Lockenstab, den Scarlett bei ihrem abendlichen Aufputz benötigt hatte. Der Stecker war eingeschaltet. Blitzschnell fegte ich ihn in die volle Badewanne.
Durch den Kurzschluß ging die Spiegelleuchte aus, aber die Deckenlampe zum Glück nicht. Scarlett wurde ohnmächtig.
Oder war sie tot?
Ich schloß geistesgegenwärtig die Tür ab. Ob Kitty von unserem — nicht sehr lauten — Gespräch wach geworden war?
Was sollte ich nun machen?
Ich zog den Stecker aus der Steckdose, den Lockenstab aus der Wanne. Ich besah mir die Nackte und fühlte den Puls, war mir aber nicht ganz sicher, ob ich ihn schwach spüren konnte oder nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß sie lebte. Sie würde bald zu sich kommen, schreien, mich verraten: Nicht nur, daß ich sie ermorden wollte, sondern auch die Sache mit Beate.
Meine Ärmel durften nicht naß werden. Ich krempelte sie hoch, setzte mich auf den Wannenrand und schob ihren Kopf langsam hinunter, bis er ganz unter Wasser war, dafür aber die Beine aus der kleinen Wanne ragten. Ich sah auf die Uhr und hielt den Kopf eine gute Viertelstunde in dieser Lage. Scarlett bewegte sich nicht. Die Augen stierten mir grün zwischen den roten, tangartigen Haarsträhnen entgegen, ihr sommersprossiger Körper erschien mir lappig und schwammig.
Sie war tot.
Ich trocknete mir gründlich die Arme ab, wickelte Scarletts Lockenstab in ein Hotelhandtuch und lauschte am Schlüsselloch, ob irgendwelche Laute von Kitty zu vernehmen waren. Nichts zu hören. Vorsichtig drehte ich den Schlüssel herum und öffnete unendlich leise die Tür. Kitty schlief fest wie seit Stunden. Mit dem Lockenstab im Handtuch schlüpfte ich aus dem Bad, schloß die Tür, tastete mich an meinen Koffer und versteckte das feuchte Bündel unter meinen Kleidern. Dann versuchte ich, mich ohne die geringste Erschütterung auf das Bett gleiten zu lassen. Kitty drehte sich ein wenig und murmelte »Rainer«.
Nun lag ich da und wußte, daß ich wieder krank werden würde. Diesmal fand man eine Leiche in meiner unmittelbaren Nähe. Das eine Handtuch war naß, Scarlett aber lag in der Wanne und hatte es nicht benutzt; das zweite Handtuch fehlte ganz — war das nicht überaus verdächtig? Ob mich jemand nachts im Garten gesehen hatte? Vielleicht hatte Ernst seiner Frau nachspioniert? Sah man einem Körper an, daß er einen Elektroschock erlitten hatte — gab es Spuren? Bei Starkstromverletzungen, das wußte ich, kam es zu schweren Verbrennungen. An Scarlett war mir äußerlich nichts aufgefallen, aber ich war weder Arzt noch von der Kripo. Auf keinen Fall durfte ich als erste aufstehen und die Leiche finden.
Witold würde Kitty wieder frühzeitig wecken. Sie würde dann ins Bad huschen, und ich mußte von ihrem grauenhaften Schrei geweckt werden.
Ich lag im Bett, es wurde langsam hell, ich wartete auf Witolds Klopfen und auf Kittys Schrei, aber es war schließlich acht, und nichts rührte sich.
Während die Minuten dahinschlichen, überlegte ich, ob ich Witold überhaupt noch wollte. Ich hatte solche Opfer für ihn gebracht, meine Freiheit, mein soziales Ansehen und auch alle meine bisherigen Lebensgewohnheiten aufs Spiel gesetzt.
Wenn er mich plötzlich — was unwahrscheinlich war, lieben würde, mit mir Tisch und Bett, Geld, Urlaub, Freunde und Gewohnheiten teilen wollte, war das eigentlich erstrebenswert?
Alles kam mir fragwürdig vor; er war mir im Grunde unendlich fremd. Verzweiflung überfiel mich; warum hatte ich drei Frauen umgebracht? Die erste mehr oder weniger aus Versehen, da konnte ich mir nicht viel vorwerfen. Eine schlimme Sache war der Mord an Beate, total überflüssig. Ich mochte nicht daran zurückdenken. Aber die heutige Tat — das Ertränken einer Hexe — erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung. Diese Frau hatte mich im Gegensatz zu den anderen aufs tiefste beleidigt.
Kitty rührte sich. Ich mußte mich fest schlafend stellen. Aus der Matratzenbewegung war zu schließen, daß sie sich aufsetzte, die Füße aus dem Bett schwang, wahrscheinlich auf die Uhr sah. Ich wußte, daß es halb neun war. Sie gab einen winzigen Laut der Verwunderung von sich, reckte und streckte sich und tappte auf bloßen Füßen ins Bad.
Der erwartete Schrei kam nicht, dafür eine von ihr bisher nicht benutzte resolute Lehrerinnenstimme: »Thyra, komm sofort!«
Das Kommando war durchdringend laut, so daß ich gehorchen mußte. Mit fahlem Gesicht und Übelkeit im Magen begab ich mich an den Ort meines Verbrechens. Die Fenster im Bad waren völlig beschlagen. Kitty hielt Scarletts Kopf aus dem Wasser.
»Pack an!« befahl sie, »halte sie unter dem rechten Arm, wir legen sie über den Wannenrand, damit das Wasser aus der Lunge laufen kann.«
Der schlaffe Oberkörper wurde mit vereinten Kräften über den Rand gehängt, lauwarmes Wasser tropfte in Mengen auf den Boden.
»Hol sofort die Männer! Ich halte sie in dieser Lage«, ordnete Kitty weiter an.
Ich raste ins Zimmer neben uns und machte auf, ohne anzuklopfen. Witold rasierte sich vor dem Waschbecken, Ernst schlief noch.
»Komm sofort, ein schrecklicher Unfall!« schrie ich; nicht Kitty, sondern ich war hysterisch geworden. Witold ließ den Rasierpinsel fallen, wischte den Schaum mit einem Handtuch weg und sauste mit nacktem Oberkörper ins Nachbarzimmer, ich hinter ihm her. Ernst Schröder war zwar wach geworden, konnte aber nicht so schnell reagieren.
Kitty kommandierte im Badezimmer: »Ernst soll mir helfen, sie aufs Bett zu tragen, damit ich sofort mit der Mund-zu-Mund-Beatmung anfangen kann. Rainer, du rufst Notarzt und Rotkreuzwagen!«
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